Das Thema eines 'Choc der Multiplizität' wird während des Fin de Siècle mit der größten Explizitheit von Paul Bourget angesprochen, essayistisch in den Essais de psychologie contemporaine, narrativ in dem Roman Cosmopolis. Dabei handelt Bourget von Multiplizität, die er für ein gesellschaftliches Verhängnis hält, unter verschiedenen Aspekten: als Multiplizität der Stile, der Diskurse, der Kulturen oder der Ich-Instanzen. Der Vortrag möchte - etwa anhand analoger Motive bei Flaubert - zeigen, wie sich das Thema in der Literatur des späten Dix-Neuvième situiert. Dazu kommen die Abwandlungen, welche es in der deutschsprachigen Literatur bei Nietzsche und vor allem bei Musil erfährt, dessen 'Mann ohne Eigenschaften' unter anderem als eine ironisch positivierte Variation über das Bourget tief beunruhigende Phänomen des 'Dilettantisme' verstanden werden kann. Freilich bezweifelt der Vortrag, ob die Erscheinung kultureller Multiplizität auch im gegenwärtigen Fin de Millénaire nach wie vor eine dominante Tendenz darstellt. Er äußert vielmehr den Verdacht, daß sich mit der ideologischen Positivierung des Phänomens zugleich dessen Rhetorisierung verbunden hat. Sie begleitet quasi kompensatorisch machtvolle Unifizierungsinteressen, welche die aktuelle Kultur - innerhalb einer gewiß unvermeidlichen Pluralität sozialer Funktionssysteme - in der faktischen Realität weit stärker bestimmen als die vom kulturwissenschaftlichen Überbau gerne verbreitete Pluralitätsrhetorik.
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