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dietmar kamper

Philosoph · Kulturanthropologe · Soziologe · ...
Die Einbildungskraft, in den Kritiken Kants eher stiefmütterlich behandelt, ist nämlich anthropologisch unerläßlich und gefährlich zugleich. Die Einbildungskraft, von der man auf direktem Wege nichts wissen kann, wird an ihren Früchten erkannt und in ein produktives und ein reproduktives Vermögen unterschieden. Sie ist eine Mischung aus Spontaneität und Kunst, d.h. ein Ausdruck sowohl der originären Passivität des Menschen als auch der Negation dieser Passivität. Sie ist Bruchstelle und versuchter Brückenschlag zwischen Können und Sollen, zwischen dem sinnlichen Stoff der Mannigfaltigkeit der Welt und dem formvollendeten menschlichen Universum. Sie ist das Ende des Schlafs, der Dämmerung, des inneren Schmerzes und der Anfang der großen genuin menschlichen Aktivität des Denkens und Handelns, noch träumend, aber entschieden, bis zum Äußersten des Menschenmöglichen zu gehen. (...) So wie der Verstand das Vermögen der Begriffe ist und die Vernunft das Vermögen der Regeln, wie diese Begriffe zum allgemeinen Nutzen zu gebrauchen sind, so ist die Einbildungskraft das Vermögen der Erfindung von Regeln und Regulativen, für die es keine Regeln gibt. Diese offene Stelle, daß das Spiel der Phantasie zum Fortschritt der Gattung unerläßlich und zugleich gefährlich, das heißt: nicht vollends regulierbar ist, führt schon bei Kant zu einem epistemologischen Bruch, der die Anthropologie ins Offene stellt und für alle schlüssigen Theorien unerreichbar macht.

Dietmar Kamper,
Die Geschoßbahn der Frage: Was ist der Mensch?
Paragrana 11/2001

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Dietmar Kamper (*1936 †2001) lehrte von 1979 bis 2001 Soziologie an der FU Berlin.

2015
Dietmar Kamper
ARCA - Black Box - la chose
in der Ausstellung
Bodenlos – Vilém Flusser und die Künste

14.08.2015 bis 18.10.2015
ZKM, Karlsruhe >>

18.11.2015 bis 10.01.2016
Akademie der Künste, Hanseatenweg, Berlin >>