Uta Felten: Einleitung
"L'étonnant c'est que les films de Rohmer se voient tout de meme, en général, comme si la narration en était toute linéaire et sans tiroirs secrets. [...] On tend parfois à confondre ce gout maniaque du détail vrai, de la couleur locale, de la vérité de l'espace, avec une passion de transparance. Alors que c'est le contraire, tout est opaque dans les films de Rohmer. La transparence y est, si l'on peut dire, le masque de l'opacité" (Pascal Bonitzer, Eric Rohmer , Paris 1991, p. 69).
Es ist schon erstaunlich, bemerkt Pascal Bonitzer, daß Rohmers Filme im allgemeinen so angeschaut werden als handele es sich um "völlig lineare Filmerzählungen ohne geheime Schubladen. [...] Man ist manchmal geneigt Rohmers manische Freude am wahrhaftigen Detail, an der couleur locale, an der Echtheit der Schauplätze mit einem Willen zur Transparenz zu verwechseln. Genau das Gegenteil ist der Fall. In Rohmers Filmen ist alles opak. Die Transparenz nichts anderes als die Maske des Opaken."
Eine an Paradoxa orientierte Sprache ist nicht ungeeignet für ein Erfassen der komplexen Strukturen in Rohmers Filmen. Auch Rohmer selbst liebt es, in Paradoxa zu sprechen, denken und zu filmen. So erscheint ihm das Kino als "Theater ohne Theater" selbst als ein Ort der Paradoxie:
"C'est le paradoxe du cinéma, qui est un art sans être un art, un spectacle sans l'être, un théâtre sans l'être du théâtre, qui refuse le théâtre et qui en fait." (Eric Rohmer, Le goût de la beauté, Paris 1984, p.16).
Auch die gewohnten Dichotomien von Treue und Untreue, Natur und Kunst, Theater und Leben, Zufall und Planung werden bei Rohmer in paradoxe Spiegelverhältnisse zu einander gebracht, so daß sich ihr gegensätzlicher Sinngehalt verwischt, sich im Verlauf eines Films mehr und mehr auflöst. Im Spiel der Spiele, in den scheinbar endlosen Variationen amourösen Intrigen und Pseudo-Intrigen, werden die Begriffe und Vorstellungen von Treue und Untreue, Lüge und Wahrheit so lange durcheinandergewirbelt, bis sie zu frei flottierenden Signifikanten werden, die eine Vielzahl von Bedeutungen annehmen können.
So entsteht ein Kino der subtilen Brüche, das nachhaltig irritiert und anregt. Jene Brüche, Ambivalenzen und Leerstellen der Filme Rohmers, die sich zum Beispiel vor allem im Gegeneinandersetzen von Bild und Ton, von Gesprochenem und Gezeigtem manifestieren, bewirken oft eine Art Streuung, ein Sich-Wegbewegen von nur einem Sinn, einer wie auch immer gearteten "vérité".
Das Kino als ein Ort der Paradoxa lebt, so Rohmer, "von Lüge, Heuchelei und Geheimnis".
Rohmers Kino will nicht entlarven oder belehren, sondern erfinden: "Je ne découvre pas. J'invente."
Die deutsche Übersetzung der Contes moraux - der Titelklammer von Rohmers erstem Filmzyklus - mit moralische Erzählungen führt zu einer Reihe von Mißverständnissen und Fehleinschätzungen in der Rohmer-Rezeption. Laien nehmen an, Rohmers Filme hätten etwas mit Moral im Literalsinne zu tun und stünden gar im Dienste einer Belehrung. Diese Fehleinschätzung führt zu einer weiteren, die dann Rohmer in den Ruf eines wertekonservativen Filmemachers, der der Zeit hinterherhinke.
Daß die Filme des Contes moraux-Zyklus weder moralisch noch a-moralisch sind, sondern als subtile wertneutrale Beobachtungen von Seelenmechanismen in der Tradition der französichen Moralisten (La Rochefoucauld, La Bruyère, Marmontelle) zu begreifen sind, ist offensichtlich.
Auch die deutsche Übersetzung der Comédies et proverbes - des zweiten Filmzyklus Rohmers - mit Komödien und Sprichwörter kann weiteren Mißverständnissen Vorschub leisten. Die Titulierung, ein unmarkierter Verweis auf die Theaterstücke von Alfred de Musset, verweist auf die Anlage der Filme als willentliche Improvisationen, als aus dem Stehgreif gegebene Spiele. Die genannten Titulierungen sind keine oberflächlichen punktuellen Intertextualitäten und auch keine banalen Zeugnisse für die oft betonte Literarizität Rohmers, sondern autoreflexive Verweise auf die produktions- und rezeptionsästhetischen Prämissen der Filme.
Was Rohmer mit den französischen Moralisten (La Rochefoucauld u.a.) verbindet, ist nicht nur die Lust am Beobachten der Seelenmechanik, sondern die Freude an paradoxen Denkmodellen. Was Rohmer mit Musset verbindet, ist die Freude an der Improvisation, am geometrischen Spiel mit amourösen Codes.
Rohmer, der sich im Anschluß an André Bazin als ein Vertreter
eines cinéma impur versteht, sucht nach einer Sprache des Kinos
jenseits kinematographischer Konvention. Geeignete Referenzsysteme, die
es ihm ermöglichen mit den tradierten Kinokonventionen zu brechen,
sind für ihn vor allem das Theater, die Literatur, die Musik und die
Malerei. Rohmer betont immer wieder die Bedeutung des dramatischen und
literarischen Referenzsystems für ein filmisches Schaffen jenseits
der Konventionen:
"La volonté initiale de théâtre permet d'echapper
à la convention cinématographique." (Eric Rohmer, Le goût de la beauté, Paris 1984, 207).
"Le cinéma doit reconnaître la dépendance étroite qui le lie [...] aux arts même dont il avait toujours tenu à se distinguer: la littérature et le théâtre". (Eric Rohmer, "Nous n'aimons plus le cinéma", in: Temps Modernes 44, juin 1949).
Die rohmerschen Filme sind, so könnte man es als Arbeitshypothese formulieren, hochartifizielle intermediale palimpsesteartige Gebilde in denen die Spuren einer breiten filmischen, literarischen, philosphischen und dramatischen Tradition sichtbar werden, deren Referenzsysteme von den "conte à triangle" novellistischer Provenienz, der französischen Moralistik, dem Theater von Marivaux und Musset über Proust bis zum Kino von Ophuls und Renoir reichen.
Zu den zentralen Referenzsystemen der Rohmerschen Ästhetik der Intermedialität zählen: Musik, Musiktheater und Schauspiel, Malerei, Narrativik, Philosophie und natürlich das Kino.
Ein Großteil der genannten Systeme wird auf dem Kolloquium angesprochen
werden.
Das Referenzsystem Musik, genauer gesagt die Prinzipien der musikalischen
Komposition wie Variation, Wiederholung, Leitmotivik etc. bestimmen die
rohmersche Produktionsästhethik in besonderer Weise.
Rohmer selbst vergleicht seine filmische Arbeit gerne mit der eines
Musikers:
"[...] je proposerai plutôt l'exemple du musicien, puisque j'ai
conçu mes Contes moraux à la manière de six variations
symphoniques. Comme lui, je varie le motif initial, le ralentis où
l'accélère, l'allonge ou le rétrécis, l'étoffe
ou l'épure" (Eric Rohmer 1994: p. 90).
Filmographie
Filme als Regisseur
(in den meisten Fällen auch Drehbuchautor)
Sign of Leo (1959)
The Moral Tales: The Eric Rohmer Collection (1962-72)
La Carrière de Suzanne
Suzanne's Career (1963)
La Boulangère de Monceau
Girl at the Monceau Bakery (1963)
Paris Vu Par
Six in Paris (1965)
La Collectionneuse
The Collector (1971)
Ma nuit chez Maud
My Night at Maud's (1969)
Le genou de Claire
Claire's Knee (1971)
L'amour l'aprés-midi
Chloe in the Afternoon (1972)
La Marquise d'O...
The Marquise of O... (1976)
Parceval le Gallois
Perceval (1978)
La Femme de l'aviateur
The Aviator's Wife (1980)
Le Beau Mariage
A good Marriage (1982)
Pauline à la plage
Pauline at the Beach (1983)
Les nuits de la pleine lune
Full Moon in Paris (1984)
4 aventures de Reinett et Mirabelle
Four Adventures of Reinette and Mirabelle (1986)
Le Rayon vert
Summer (1986)
L'ami de mon amie
Boyfriends and Girlfriends (1987)
Conte de printemps
A Tale of Springtime (1990)
L'arbre, le maire et le médiathèque
The Tree the Major and the Mediatheque (1994)
Conte d'hiver
A Tale of Winter (1994)
Les rendez-vous de Paris
Rendezvous in Paris (1996)
Conte d'été
A Tale of Summer (1996)
Conte d'automne
A Tale of Autumn (1998)