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dietmar kamper

Philosoph · Kulturanthropologe · Soziologe · ...

Eckhard Hammel
Essayistisches Schreiben
Anmerkung zum Stil in den Schriften Dietmar Kampers

„Wir wissen seit Freud, gewiß seit Lacan, daß das menschliche Bewußtsein ein Verteidigungssystem ist, das sich belagert weiß. (...) Um diesem Wissen gerecht zu werden, habe ich eine Zeitlang das 'Andere' des Bewußtseins präferiert: Körper, Begehren, Wünsche, Leidenschaften, aber auch die Wahrnehmung bis zum Abriss ihrer Verbindung. Daraus folgte für mich das Hauptthema des letzten Jahrzehnts: die Einbildungskraft, Imagination, Phantasie in ihrer fundamentalen Form, als transzendentale Synthesis der Sinnlichkeit, als innerer Zeitsinn und, in ihrer abgespaltenen Form als mediales Imaginäres, wie es die audiovisuellen Bildmedien gegenwärtig zwanghaft strukturiert“
Dietmar Kamper (1981, S. 273)

Kampers Denken fordert gegen dieses so flache wie scheinbar unerschütterliche Imaginäre ein Denken des Körpers, das der Einbildungskraft Gehör verschafft und die Zeit als Vergänglichkeit und Sterblichkeit des Körpers reflektiert. Die Einbildungskraft, kommt nicht im imaginären Bewusstsein selbst, sondern seinem Anderen zum Ausdruck, in Körpern, Begehren, Wünschen und Leidenschaften. Als Kraft wirkt sie dynamisch und proaktiv und geht den Körpern in dem Sinn voraus, in dem man sagen könnte, dass die Lebenskraft den Körpern potenziell vorausgeht, sie ermöglicht und aktuell erhält, obwohl die Aktualität der Körper selbst das Leben ist und ein Leben ohne Körper schwerlich ohne esoterische Spitzfindigkeit vorstellbar ist.

Dass sich nun das Imaginäre einer luziferesken Abspaltung von der Einbildungskraft verdankt, heißt zunächst, dass es aus der Einbildungskraft hervorgegangen ist, also nicht wirklich jenseits ihrer situiert werden kann. Gerade weil die Einbildungskraft ursprünglicher ist als das Imaginäre, kann sich dieses als das Spätere wie eine undurchdringliche Barriere aufbauen, die den Rückblick auf die Einbildungskraft verwehrt und die unvorsichtige „Reflexion“ von sich abprallen lässt wie von einem Spiegel. Die imaginäre Simulation verweist schließlich nur rekursiv auf sich selbst und nicht über sich hinaus. Deshalb kann es sich, obgleich bloß abgespalten, in einer „Hysteron-proteron-Drehung“ als generatives Phantasma vor das Buch der Welt und ihre Bilder schieben - wahrhaft göttlich in seiner Anmaßung, die Welt erschaffen zu haben.

Auch mit dieser Strukturierung ist eine Art von Aktivität verbunden, die aber nicht dynamischer Natur ist, sondern einem statischen Mechanismus folgt. Der Zwang, den die Strukturierung ausübt, ist gerade keine Angelegenheit der Kraft, sondern vielmehr Zeichen ihres Versiegens. Zu sagen, das Imaginäre verleihe den Medien Struktur, bedeutet, dass es sein Innerstes in die Medien kopiert, diesen also wie ein Muster, eine Modell-Vor-Schrift vorausgeht (Kamper 1995, S. 10f; 1989, S. 538). „Weder lebendig noch tot“ (Kamper 1981, S. 73) existieren Medien in der Sphäre der Simulation, die nichts anderes besagt als die kontinuierliche Wiederholung dieser imaginären Vor-Schrift. Nur auf diesem Hintergrund kann es zu der Strukturierung dessen, was ist, kommen.

Unter einer globalen Perspektive bleibt es nicht bei diesem bloßen Vor-Schreiben. In Kampers Denken verbindet sich damit auch eine Art negativer Utopie. Die Kraft, die sich mit der einbildungskraft verbindet kann durch das Imaginäre nicht einfach tot gestellt werden. Sie akkumuliert im Imaginären, das sich innerlich auflädt und auf die Katastrophe seiner Explosion zusteuert, ohne dass diese eintritt. Das Imaginäre befindet sich in einem Zustand der Metastabilität, in dem alles überhitzt vor sich hin siedet, ohne wirklich zu kochen. Das zeigt sich in der Psychologie, im Sozialen und in der Ökonomie: eigentlich müssten schon alle wahnsinnig sein; eigentlich müsste längst der Krieg herrschen; eigentlich müsste das weltweite Bankensystem schon zusammengebrochen sein, aber all das geschieht deshalb nicht, weil hinter der statischen Fassade des Imaginären perfide Methoden der Kontrolle und Steuerung agieren, die den Prozess der „Strukturierung“ erst möglich machen und die Katastrophe gewissermaßen abpuffern. Kamper spricht sie wohl deshalb nur mal direkt, mal indirekt an, ohne sie systematisch zu entwickeln, weil sie nicht die Kraft selbst sind, sondern die Kraft ent-kräftend gegen sich selbst richten. Gleichwohl man mag darin auch eine der ungelösten Fragen der Philosophie Kampers sehen: wie es sein kann, oder unter welchen Bedingungen kann es sein, dass sich die Kraft (Einbildungskraft) gegen sich selbst richtet (Imaginäres)? Wir skizzieren hier einige dieser Methoden oder Regeln:

Das Imaginäre sichert damit seine „Immanenz“ (Kamper 1989, S. 541; 1981, S. 273). Nichts ist ihm so zuwider wie ein Außen. Seine Strategie ist also nicht in dem operativen Gegensatz von Zentralisierung und Dezentralisierung angesiedelt (wobei die Dezentralisierung etwas ausrichten könnte), sondern auf der Ebene von Innen und Außen. Das heißt die Peripherie ist sein Problem. Deshalb streckt es seine Tentakel in die Ränder und über sie hinaus. Das führt die traditionelle kritische Position, die wähnt, die Verhältnisse von außen betrachten zu können, schnell an ihre Grenzen, denn sie darf davon ausgehen, dass sie selbst nur ein perfider Ausdruck, nur eine durchaus erwünschte Störung im Regelkreis des Imaginären selbst ist, die schließlich nur der weiteren Stabilisierung dient.

Darin liegt eine grundsätzliche Schwierigkeit begründet, mit der sich das Denken Dietmar Kampers und das seiner Leser konfrontiert sieht: Wo sollte man die Kraft finden können, wenn sich das Imaginäre wie eine spiegelnde Hohlkugel um das Denken gespannt hat? In den Bildern der Träume und Phantasien? Jenseits der Spiegelfläche, was ihre Brüchigkeit voraussetzen würde? Wie einer Kraft zum Ausdruck verhelfen, ohne in die Fallen der Repräsentation oder Simulation zu tappen, insbesondere die der Sprache, die selbstreferentiell nur das Sich-selbst-Gleiche wiederholt, ohne ein Außerhalb je erreichen zu können? Wie soll man schreiben, wenn jeder Gebrauch der Sprache das Imaginäre subventioniert?

Die Feststellung, dass keine herkömmliche Diskursform dem Imaginären entkommen kann, führt zu der Frage des Stils, die bei Kamper in ein essayistisches Schreiben mündet (Kamper 1996a, S. 180f), das vieles gezielt offen lässt und manches Mal sein Ziel nur umkreist, anstatt es treffen zu wollen. „Treffen“ bedeutet „bezeichnen“. Wenn der Treffer mit der Bezeichnung sein Ziel vernichtet, indem er es zum Zeichen macht, dann gilt es vor allem Vorsicht walten zu lassen. Vielleicht muss man der Vor-Schrift mit einer Vor-Sicht begegnen. Deshalb sind „Geistesgegenwart“ (ebd., S. 144) und „Reflexion“ (Kamper 1981, S. 43, 282; 1996a, S. 88) geboten, um „innersprachlich eine Nicht-Sprache zu konstituieren“ (Kamper/Wulf 1984, S. 6). Dabei wendet sich Kamper keineswegs rigoros gegen die Methode der Wissenschaft, sondern nur gegen deren Alleinstellung, und fordert vielmehr ein „Sprachdenken (...) das radikal gegen seine Gewohnheiten verfährt, gegen seine Selbstverständlichkeiten, Gemeinplätze und stehenden Redewendungen“ (Kamper 1996a, S. 63). Der wissenschaftliche Diskurs kann nach Kamper durchaus einen Beitrag leisten, aber er hat eine gemeinsame Sprache mit der Kunst zu entwickeln, wie sie sich beispielsweise in einer „'poetischen' Anthropologie“ (Kamper 1981, S. 267, 273) zeigen könnte, oder einer Anthropolgie, die sich mit der bildenden Kunst verbündet. Hier gibt es keine festen Regeln und alles läuft daraus hinaus, mögliche Ebenen der Reflexion der Einbildungskraft, der Zeit und des Körpers erst einmal auszuprobieren. Tatsächlich kommt dem Ausprobieren, dem „Probeweise“, dem Experiment eine besondere Rolle zu, dazu zählt auch die Freiheit, eigene Modelle und Regeln zu erfinden.

Wir hatten uns in unseren Ausführungen selbst diese Vorsicht auferlegt und uns deshalb mehr mit der sozusagen „negativen“ Bestimmung des Imaginären als mit der immer riskanten „positiven“ Bestimmung der Einbildungskraft beschäftigt. Und doch ist zu bemerken, dass beide Richtungen in Kampers Denken oft nicht voneinander zu trennen sind, und dass, wie man zudem sieht, die Gedanken Kampers - die folgenden wurden Ende der 70er Jahre verfasst - ihre Gültigkeit nicht eingebüsst haben:

„Die einzige Lücke im System der Verwertungen und Subsumtionen, das jegliche Alternative bereits systematisch übergreift, ist das Spiel, der irre Traum, das system-entsetzende Gelächter, der gemimte Wahnsinn. Sich unkenntlich machen im fest geknüpften Kontext der Erkennungsdienste, sein Incognito wahren in der Welt wütender Identifizierungen, pseudonym oder anonym werden auf der Bühne der schnell verbrauchten Nummern, den Weg vom religiösen Täter zum Spieler zurückgehen, in Flora und Fauna der belebten Erde verschwinden statt sich herauszuheben usw. - all das scheint einen Weg anzudeuten, der allerdings die Bahnabendländischer Lebensläufe verläßt.“
Dietmar Kamper (1978, S.2 und 1981, S. 196f)

Zitierte Literatur von Dietmar Kamper

Anmerkung: Freie Teilübersetzung von Eckhard Hammel: Media Imaginary

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