Eric Voegelin
Eric Voegelin untersucht das gnostische Potential der Soziologie hauptsächlich vor dem Hintergrund der Idee des dritten Zeitalters, das sich in der Mehrzahl zyklischer Konzeptionen wiederfinden läßt: so in den drei Testamenten des Joachim von Floris oder in Vicos drei Zeitaltern der Götter, der Helden und der Menschen. All diese Geschichtszyklen zeichnen sich wie diejenigen Comtes durch die herausragende Rolle des dritten Zeitalters aus, das die ersten beiden gleichsam in sich einschließt:
"Joachim brach mit der augustinischen Auffassung einer christlichen Gesellschaft, als er das Symbol der Trinität auf den Ablauf der Geschichte anwandte. In seiner Spekulation hatte die Menschheitsgeschichte drei den Personen der Trinität entsprechende Zeitabschnitte. Die erste Periode der Welt war das Zeitalter des Vaters; mit dem Erscheinen Christi begann das Zeitalter des Sohnes. Aber das Zeitalter des Sohnes war nicht das letzte der Geschichte, es folgte ihm als drittes das Zeitalter des Heiligen Geistes."
Während die erste Zeit (sei´s das Alte Testament bei von Floris, das göttliche Äon bei Vico oder das theologische Stadium Comtes) sich noch als geschlossenes System einer geschlossenen Gesellschaft präsentiert, ist das zweite schon offen, d.h. auf die Zukunft hin ausgerichtet und impliziert somit Veränderung (die heroische Verwandlung bei Vico). Die interessanteste Position kommt in dieser Triade allerdings der dritten und letzten Zeit zu:
"Das erste dieser Symbole ist die Auffassung der Geschichte als einer Folge dreier sich ablösender Zeitalter, deren letztes das abschließende Dritte Reich ist. Als Variationen dieses Symbols sind die humanistische und die enzyklopädische Periodisierung der Geschichte in Altertum, Mittelalter und Neuzeit erkennbar; ferner Turgots und Comtes Theorie von der Aufeinanderfolge einer theologischen, einer metaphysischen und einer wissenschaftlichen Phase; Hegels Dialektik der drei Stadien der Freiheit und der selbstbewußten geistigen Vollendung; die Marxsche Dialektik von den drei Stufen des primitiven Kommunismus, der Klassengesellschaft und des endzeitlichen Kommunismus; und schließlich das nationalsozialistische Symbol des Dritten Reiches – obwohl dies ein besonderer Fall ist, der weiterer Untersuchungen bedarf."
Diese dritte Zeit synthetisiert in bester dialektischer Tradition ihre beiden Vorgänger, indem sie den rückwärts gerichteten Blick der ersten Zeit und den Zukunftsaspekt der zweiten zu verbinden vermag, denn sowohl bei Comte als auch bei Marx ist es das noch ausstehende Stadium, das den vorangegangenen überhaupt erst ihren Sinn verleiht. In diesem Sinne führte Comte das fort, was bei von Floris seinen Ausgang nahm:
"Die joachitische Spekulation war ein Versuch, dem immanenten Lauf der Geschichte einen Sinn zu verleihen, den sie in der augustinischen Konzeption nicht hatte."
Voegelin interessiert sich ebenfalls – wenn auch im Vergleich zu Sombart nur marginal – für die Herrschaftsansprüche der Soziologen:
"In der gnostischen Spekulation des Szientismus erreichte diese Variante ihr Extrem, als der positivistische Vollender der Wissenschaften die Ära Christi durch die Ära Comtes ersetzte."