REDA

Fetzen

Ein existenzialistischer Schund-Roman

[...]

Plötzlich macht's HOLPER! und zeitgleich SCHPRACHZ!
Scheiße, und ich bin fast schon eingeschlafen.
Wir sind über irgendwas drübergefahren.
„Was war denn das?“, fragt Sarah, nachdem sie den Wagen angehalten hat.
„Na, wir sind über irgendwas drübergefahren.“
„Das weiß ich auch, aber da war nichts.“
„Frau am Steuer. Das kommt von euren besser zusammengewachsenen Gehirnhälften.
Ihr könnt zwar 17 Sachen gleichzeitig machen, aber Autofahren ist echt nicht euers.“
„Ich geb' dir gleich euers. Ich hab' doch Augen im Kopf. Eben war da nix.
Es ist Nachmittag. Kein Verhurter treibt sich ohne einen bestimmten Grund bei diesen Temperaturen auf der Straße rum, muss sowas wie ein Hund gewesen sein.“

„Wahrscheinlich eine völlig dehydrierte Töle, die die Sonne schon halb mumifiziert hat, und du siehst das Ding nicht auf einer geraden Strecke. Lass mich besser wieder fahren.“
„Ach, halt den Rand, ich seh' mal nach, was das war.“
Sarah steigt aus und Isidor benimmt sich etwas unruhig. Was ist da los?
„Kommt mal raus, das müsst ihr euch ansehen. Ich hab' zwar schon einiges gesehen, aber das ist echt seltsam.“
Na gut, dann steigen wir eben auch aus. Ist sie dem Vieh über'n Kopf gefahren, oder was?

Kaum ausgestiegen, staune ich auch nicht schlecht. Scheiße, da legt einer, beziehungsweise, das was von ihm übrig ist.
„Ich sag' doch, Frau am Steuer. Wie hast 'n das geschafft, dass der so aussieht?“ „Keine Ahnung, hast du doch eben mitgekriegt. Also das kann ich nicht allein gewesen sein. Den muss vorher schon einer erwischt haben.“
Fürwahr. Der oder das da vor uns ist in seine Einzelteile zerlegt worden. Kopf, Arme, Oberkörper und Beine, inklusive Profilabdrücke von Autoreifen. Sieht aus, als wär' da schon mal einer drübergerutscht und hat ihn einfach liegen gelassen. Aber das ist nicht wirklich ausschlaggebend. Viel krasser ist, dass diese Fetzen noch leben!
„Was ist denn das?“

Sarah und ich sehen uns ratlos an. Vor allem, diese Fetzen zucken noch und die Hände zum Beispiel krabbeln mal nach links, mal nach rechts.
Und was macht Isidor? Der kramt in seiner Jackentasche.
Und was sucht er da? Jawoll, ein Büchlein.
Und was macht er damit? Er blättert drin rum, schlägt eine bestimmte Seite auf und hält sie mir unter die Nase.
UND SIEHE DA: AM DRITTEN TAGE WERDEN SIE WIEDERAUFERSTEHEN, UND SIE WERDEN SUCHEN DEN WÄCHTER DES HIMMELSREICHS, UND SIE WERDEN NICHT EHER RUHEN, ALS BIS ER IHNEN DAS TOR ZU GOTT WIEDER ÖFFNET.

Ich versuche, meine nicht so gut zusammengewachsenen Gehirnhälften wieder zu aktivieren.
„Moment mal, dieser ... Fetzen da ist einer von Krens potenziellen Passagieren?
Und weil Kren gekündigt hat, kommen die wieder, so zombiemäßig?“
Isi macht eine Notiz.
AN DEN SELBEN ORT IM SELBEN ZUSTAND IM AUGENBLICK IHRES TODES.

„Da kommt ja einiges auf uns zu. Na, da möcht' ich jetzt gerade nicht in einer Erlösungswabe auf mein Dahinscheiden warten. Und wie gehen die wieder weg, ich mein', bei dem hier die einzelnen Körperteile?“
SIE WERDEN SICH IMMER WIEDER ERNEUT REMATERIALISIEREN, UM KREN ZU SUCHEN, DAMIT ER SEINER PFLICHT WIEDER NACHKOMMT.
Kren suchen. Ich reibe mir mit dem Zeigefinger unter der Nase, und Tausende bunte Sternchen schwirren um Wickies Kopf.

„Ich hab's!“
Ich laufe zu einem der Unterarme und lege die Hand vor mir auf den Boden, und jetzt mal kucken, was passiert.
Hand liegt da, zappelt rum, kriecht zwei Meter nach vorne, dann nach links, und dann wieder zurück.
„Du, sag mal, Hans, hast du sie noch alle, was machst du da?“
„Verstehst du nicht, was da vor uns im Dreck liegt? Das ist ein Kompass, der uns immer Richtung Kren führt. Kuck mal, das Ding kriecht völlig planlos durch die Gegend, das heißt, Kren verändert dauernd seinen Standort.“
„Das glaubst du doch nicht wirklich, oder?“
„Isi, bin ich klug oder nicht klug? Mit dem Fetzen können wir Kren immer lokalisieren.“

Ausnahmsweise kann ich mal was mit Isis wenn auch schüchternem Kopfnicken anfangen.

Knospe scheint von der Hand auch begeistert zu sein, sie haut ihr mit den Tatzen immer auf die Finger. Jetzt hat sie den Daumen im Maul, aber die Hand ist auch nicht ohne. Hand „läuft“ rückwärts, zieht jetzt Knospe hinter sich her, die nicht loslassen will. Das lässt sich Knospe wiederum nicht gefallen.
Die sabbert der Hand auf den Finger. Hand reißt sich los, mit Brandblase von Knospes Säure auf dem Daumen und läuft weg, Knospe hinterher. Die Katze hat im Kren-Kompass einen neuen Spielgefährten gefunden, glaubt sie zumindest.

Schon drollig, die beiden, aber jetzt ist auch mal wieder gut, wir haben ja schließlich noch was vor.
Ich nehme ihr die Hand wieder weg und setz' mich wieder auf den Rücksitz des Autos, Hand in der Hand, wie bei einer Begrüßung. Zappelt ganz schön rum, das Ding. Schnauze voll, ich steig' wieder aus und schmeiß' sie zu Nora in den Kofferraum, da kann sie rumhampeln, bis sie schwarz wird.
„Kommt ihr jetzt mal? Wenn die Toten schon auferstehen, wird's echt Zeit, dass wir diese Geschichte hier zu Ende bringen. Außerdem bin ich müde, verkatert und deprimiert.“
„Und was ist hier mit der Leiche?“
„Is' doch schon tot. Kannst ja im Rückwärtsgang noch mal über den Kadaver fahren, das Geräusch eben fand ich sehr schön und außerdem: Der rematulisiert sich ja eh wieder, laut Isidor. Kommt jetzt!“

Der Rest der Addams Family steigt auch wieder ins Auto, immer noch etwas skeptisch die zuckenden Fetzen hinter dem Gottomobil begutachtend.
„So, und jetzt laßt mich mal ein bisschen schlafen. Ich muss meine Kräfte schonen für die Begegnung mit Kren!“
Ich höre noch in einem Hinterkämmerchen meines Kopfes Sarahs Kommentar („Typisch, ausnahmsweise hat er mal 'ne gute Idee und schon wird er größenwahnsinnig!“), bevor ich davon träume, wie ich auf einem stattlichen Ross mit güldener Rüstung den unter mir liegenden Gandhi mit Pferdeäpfeln segne.

© Gerd Reda, Fetzen, S. 101-104

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Gerd Reda

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