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3. Der Berg in Mythen und Religionen

Die Wichtigkeit der Berge bzw. des Symbols ‚Berg’ für unterschiedlichste Religionen und Kulturen der Welt wird nachfolgend anhand einiger ausgewählter Beispiele in groben Zügen betrachtet.

3.1 Christliche und jüdische Religion

Als Zeichen der Erscheinung und der Kraft Gottes zeigt sich der Berg in der Bibel[1], sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament. Der Berg wird unter anderem dargestellt als:

Ort der Errettung: In der Genesis etwa landet Noah mit seiner Arche auf dem Berg Ararat (Genesis 8,4).

Ort der Erscheinung des Herrn: „Abraham nannte jenen Ort Jahwe-Jire (Der Herr sieht), wie man noch heute sagt: Auf dem Berg läßt sich der Herr sehen.“ (Gen 22,14)

Ort des Segens: „Deines Vaters Segen übertrifft den Segen der uralten Berge, den man von den ewigen Hügeln ersehnt.“ (Gen 49,26)

Ort der Verehrung Gottes: „Gott aber sagte: Ich bin mit dir; ich habe dich gesandt, und als Zeichen dafür soll dir dienen: Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast, werdet ihr Gott an diesem Berg verehren.“ (Ex 3,12)

Ort der Verkündung der Zehn Gebote Gottes (Ex 20,1-21) oder der Bergpredigt Jesu (Mat 5,1 – 7,29)

Ort der Verklärung: „Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg, aber nur sie allein. Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann. Da erschien vor ihren Augen Elija und mit ihm Mose und sie redeten mit Jesus.“ (Mar 9,2-4)

3.2 Griechische Antike

In der griechischen Mythologie ist Rhea die Schwester und Frau des Kronos (griech. chrónos = Zeit). Als sie Zeus gebiert, versteckt sie ihn vor Kronos in einer Höhle des Berges Aigaion. Rhea

war freilich ebenso wenig nur unsere Große Mutter, wie die große Liebesgöttin nur die unsrige war, von der sie übrigens bei unseren orientalischen Nachbarn, in Kleinasien und Syrien und in noch weiter liegenden östlichen Gegenden, nicht immer leicht zu unterscheiden ist. Besonders in Kleinasien wurde sie verehrt als Meter Oreia, ‚Bergmutter’, mit vielen Namen, die fast immer aus einem Gebirgsnamen gebildet waren, und die Zugehörigkeit  zu  einer Berglandschaft  bedeuteten, wie  Berekyntia,  Dindymene, Idaia.[2]

Im folgenden Krieg zwischen Titanen und den Kindern der Rhea kommen „die alten Götter, die Titanen, vom Gipfel des Berges Othrys, Zeus und seine Geschwister vom Berg Olymp her“[3]. Die Griechen glaubten daran, „daß die Götter auf dem Olymp – dem höchsten, meist von Wolken umgebenen Berg – in kunstvollen Palästen wohnten. Hier oben lebten sie [...] in einer großen Hausgemeinschaft unter dem Gottvater Zeus.“[4] Da Zeus aber nicht die Erde erschuf, sondern „wie die Menschen aus der Natur“ stammte, wurden viele Plätze der Natur zu heiligen Orten, etwa „Quellen oder Berge“[5].

Die Römer, ursprünglich zumindest teilweise griechische Kolonien, übernahmen deren Gottheiten und Vorstellungen, versahen die Götter jedoch mit anderen Namen.

 

3.3 Australien

Für die Aborigines ist der Ayers Rock, der durch seine Ausstrahlung „jeden Betrachter [in seinen Bann zieht,] [...] seit Jahrtausenden eine heilige Kultstätte“[6].

Sie nennen ihn Uluru, zu deutsch: ‚schattenspendender Platz’. Seine Felsen, Höhlen und Wasserlöcher sind – den Legenden der Aborigines nach – Zeichen der Götter aus der Traumzeit. Bis heute sind einige Kultstätten rund um den Berg für Weiße tabu.[7] 

3.4 Buddhismus und Hinduismus

Der Buddhismus Tibets ist von einer Verehrung der Natur und der Berge geprägt. So findet sich etwa im Westen Tibets der Heilige Berg Kailash (Gang Rinpoche Kailāsa, 6714 m, übersetzt der „Kristall“[8]), der, vom Kloster Gompa von Driraphuk aus gesehen, „symmetrisch in den blauen Himmel [steigt], daß sich der Berg wie ein überdimensionaler Tempelturm ausnimmt“[9].

Nach der indischen Mythologie ist Kailāsa (der Kailash) der Wohnsitz von Shiva Mahadeva (Shri Kallash). [...] Auf dem Gipfel des Kailash steht auch die Stadt Brahmas, des obersten der Hindu-Götter.[10]

Für die tantrischen Buddhisten „symbolisiert das Schneejuwel die letzte aller Erkenntnisse [...], die Einheit aller Dinge und zugleich die Leerheit aller Erscheinungen [...]“. Es geht demnach nicht um die Schönheit der Natur, sondern um deren Wirkung auf den Menschen, die „Befreiung durch Sehen“[11], wodurch der Wanderer zum Pilger wird. Auch der Mount Everest ist einer dieser heiligen Berge. Die Tibeter bezeichnen den höchsten Berg der Welt ehrfurchtsvoll als ‚Chomolungma’, als „Göttin Mutter der Erde“[12], während er bei Nepali und Indern den respektvollen Namen ‚Sagarmatha’ trägt, „was soviel heißt wie ‚Himmelsgipfel’ oder ‚Gipfel in den Wogen des Meeres’“[13].

3.5 Schöpfungsmythen der Kalmüken

In der Mythologie der Kalmüken ist der ‚Sümmärberg’ von zentraler Bedeutung:

Die ersten himmlischen Flüchtlinge ließen sich auf demjenigen Teil unserer Welt nieder, welcher dem Himmel am nächsten liegt, nämlich auf der Scheitelfläche des Sümmär. Als die fortgesetzten Kriege im Himmel die Anzahl der Fliehenden vermehrten, wurden auch die anderen Absätze des Sümmär, so wie die sieben Gebirge mit göttlichen Niederlassungen besetzt.[14]

3.6 Die Azteken

Tlaltecuhtli, der ‚Herr der Erde’, verschmilzt teilweise mit „dem großen Kaiman, dessen gepanzerter Krokodilrücken die Gebirgsketten der Welt repräsentiert“[15]. Tlaltecuhtli „wird häufig jedoch als weiblich charakterisiert“, als eine „grausame Kreatur“[16], die von Quetzalcoatl und Tezcatlipoca in Stücke zerrissen und aus deren Körper die Erde erschaffen wurde:

Ihre Augen bilden Brunnen, Quellen und kleine Grotten, ihr Mund Flüsse und große Höhlen, aus ihrer Nase entstehen Bergketten und Täler.[17]

In den Werken Sahagúns[18] wird später über die Geburt des Huitzilopochtli berichtet. Seine Mutter Coatlicue verrichtete eine Bußübung am Berg Coatepec, als sie ein paar kostbare Federn findet. Indem sie die Federn in den Bund ihres Rocks steckt, wird sie mit dem Samen für Huitzilopochtli geschwängert. Wegen dieser Schande soll sie von ihrer Schwester Coyolxauhqui und ihren Kindern, den Centzon Huitznahua, getötet werden, doch Coatlicue flieht zum Coatepec. „Genau in dem Moment, als die Gruppe den Bergkamm erreicht, bringt Coatlicue den vollständig bewaffneten Huitzilopochtli zur Welt.“ Er zerstückelt Coyolxauhqui, „deren zerstückelter Leib bis an den Fuß des Coatepec hinabstürtzt“[19]. Dieses Ritual wiederholten die Azteken jährlich auf der Südseite des Templo Mayor: „Quellen aus dem 16. Jahrhundert berichten außerdem, daß die Südseite des Templo Mayor den mythischen Berg Coatepec und damit den Geburtsort Huitzilopochtlis symbolisierte.“[20]

3.7 Die Pima Indianer

Bei den Pima Indianern findet sich eine riesige Flut, die die Menschen bedrohte:

Doch sei noch einige Hoffnung vorhanden, wenn sie den Gipfel des Krummen Berges erklimmen würden. [...] Süddoktor führte die Menschen auf den Gipfel des Berges und bewirkte, als die Flut bis dorthin gestiegen war, durch seinen Zaubergesang, daß der Berg sich höher und höher über den Wogen erhob, die sich gegen sie heranwälzten, als sei das Land ganz eben.[21]

Die Flut steigt jedoch weiter, sodass Süddoktor, um die Menschen vor dem Ertrinken  zu retten, diese in Stein verwandelt. „Noch heute sehen wir sie dort in Gruppen beieinander.“[22]

So kann man zusammenfassend sagen, dass der Berg in den dargestellten Religionen vorwiegend als Sitz Gottes bzw. der Götter oder als Schutz vor der Vernichtung angesehen wird.

 



[1] Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung. Freiburg i. Breisgau 2002

[2] Kerényi, Karl: Die Mythologie der Griechen. Die Götter- und Menschheitsgeschichten. Bd. 1, Stuttgart 1997, S. 66, folgend zitiert als Kerényi: Mythologie der Griechen 1997

[3] Kerényi: Mythologie der Griechen 1997, S. 29

[4] Martin, Jochen / Zwölfer, Norbert: Geschichtsbuch. Band 1: Von der Urgeschichte bis zum Beginn des Mittelalters. 1. Auflage, 2. Druck Berlin 1994, S 64, folgend zitiert als Martin: Geschichtsbuch 1 1994

[5] Martin: Geschichtsbuch 1 1994, S. 64

[6] Emmler, Clemens: Australien. Der Rote Kontinent. Augsburg 2000, S. 112, folgend zitiert als Emmler: Australien 2000

[7] Emmler: Australien 2000, S. 112

[8] Thöni, Martin: Westtibet. Reise in ein verborgenes Land. 1. Auflage 1999, S. 143, folgend zitiert als Thöni: Westtibet 1999

[9] Thöni: Westtibet 1999, S. 122

[10] Thöni: Westtibet 1999, S. 143

[11] Thöni: Westtibet 1999, S. 144

[12] Kammerlander, Hans: Bergsüchtig. Sonderausgabe München 2002, S. 309, folgend zitiert als Kammerlander: Bergsüchtig 2002

[13] Kammerlander: Bergsüchtig 2002, S. 309

[14] Jacobi, Lis: Vom Werden der Welt und des Menschen. Schöpfungs- und Entstehungsmythen der Völker. Schaffhausen 1981, S. 73, folgend zitiert als Jacobi: Schöpfungsmythen 1981

[15] Taube, Karl: Aztekische und Maya-Mythen (Reihe: Mythen alter Kulturen). Stuttgart 1994, S. 62, folgend zitiert als Taube: Mythen alter Kulturen 1994

[16] Taube: Aztekische und Maya-Mythen 1994, S. 62/63

[17] Taube: Aztekische und Maya-Mythen 1994, S. 63

[18] vgl. Taube: Aztekische und Maya-Mythen 1994, S. 78

[19] Taube: Aztekische und Maya-Mythen 1994, S. 79

[20] Taube: Aztekische und Maya-Mythen 1994, S. 80                                        

[21] Jacobi: Schöpfungsmythen 1981, S. 125f.                                                              

[22] Jacobi: Schöpfungsmythen 1981, S. 126


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