4. Ein Streifzug durch die europäische Geschichte4.1 Die
Bronzezeit im Alpenraum
In den Dolomiten
finden sich bereits um 1300 v. Chr. „in großer Seehöhe, wie zum Beispiel auf
der Schlernhochfläche (2500 m) am Burgstall [...] und bei der Roterdspitze“[1]
Brandopferplätze, was zeigt, dass der Berg ebenfalls als Heiligtum angesehen
wurde: In diesem Fall
kann man sicher davon ausgehen, daß weithin sichtbare Geländepunkte für die
Darbringung von kultischen Brandopfern, vielleicht auch für die Errichtung
einer Art Bergheiligtümer, bevorzugt aufgesucht wurden.[2] Des Weiteren
wurden im Alpenbereich mit fortschreitender römischer Herrschaft Heiligtümer
„der aus Kleinasien kommenden Göttin Kybele“, auch bekannt als ‚Magna Mater’,
Große Mutter, „am Monte Brione (Gardasee) und bei Gauting südlich von München“[3]
nachgewiesen. 4.2
Mittelalter – Renaissance
Aus dem
europäischen Mittelalter sind insgesamt „nur fünf Aufzeichnungen“[4]
überliefert, die eine Gipfelbesteigung zum Inhalt des Textes haben. Dazu zählen
die „Langobardengeschichte, die der Benediktiner Paulus Diaconus um 790 im
Kloster Monte Cassino schrieb“[5],
die von einem anonymen Autor festgehaltene Besteigung des Rocciamelone[6],
die Besteigung des „Mont Canigou [...] am Nordostrand der Pyrenäen“[7],
verfasst von dem Franziskaner Salimbene von Parma. Dem folgt der wohl
berühmteste Bericht einer mittelalterlichen Bergtour: 1336 besteigt Francesco
Petrarca den Mont Ventoux: „Er sah Wolken zu seinen Füßen, dachte [...] an den
Olymp [...], er blickte in die Ferne, Richtung Italien.“[8] Die letzte,
bereits spätmittelalterliche Überlieferung ist der ungemein kühne Versuch, 1492
die Spitze des Mont Aiguille zu erklettern, was mithilfe von „Leitern [und]
[...] von anderem ‚sinnreichen Gerät’“[9] geschafft
wurde. Literarisch finden sich hingegen in Dantes Die Göttliche Komödie (zwischen 1307 und 1321) erste fiktive
Schilderungen einer Bergtour, nämlich wenn Dante selbst den Läuterungsberg[10]
emporsteigen muss. 4.3
Aberglaube und Hexen
Ab dem Jahr 1000
nimmt die Missionierung Europas durch die Christen zu, während die
einheimischen Glaubensrituale mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt werden.
Das Prinzip des Bösen wird immer apokalyptischer dargestellt, die Dämonen und
drohenden Geister aus der Gesellschaft aus- und auf die Höhen und Berge hinauf
getrieben. Der Berg wird zur unheimlichen Gefahr und tabuisiert, treffen sich
doch Hexen und Teufel auf ihm. In Tirol finden
wir zwischen 1506 und 1510 die ersten dokumentierten Hexenprozesse, von denen
die ‚Urgichten’, „die zusammenfassenden Schlussgeständnisse erhalten geblieben
sind“[11]. So ist überliefert, dass eine gewisse
Juliana Winklerin „auf dem Schlern“[12] vom Satan
verführt worden sei. Der Schlern, mythischer Berg und Wahrzeichen Südtirols,
war nicht nur beliebter Treffpunkt ortsansässiger Hexen: Auch andere
Frauen, die der Teufelsbuhlschaft bezichtigt wurden, sowie berühmte
Hexenmeister wie der Lauterfresser
Perger oder das Pfeifer Huisile
trieben dort ihr Unwesen, indem sie mit Hilfe des Satans und seiner Dämonen Wetter, Schauer, Blitz und Donner
erzeugten.[13] Andere Sagen
ranken sich um Hexentreffen auf dem Birchboden oberhalb von Lengstein am
Ritten. Dorthin sollen „Schlernhexen, aber nicht nur sie“ gekommen sein, „denn
aus Welschtirol und aus dem Nonsberg, vom Zamserpurschel, vom Teufelsberg und
vom Sass de Stria [übersetzt ‚Hexenstein’, J.R.]“ flogen die Hexen hierher, um
die „Schwarzkunst zu üben und Hexentänze aufzuführen“. Ein übermütiger Bursche,
der sich unter die Hexen mischte und entdeckt wurde, soll mit dem Gesicht
derart ins Gras gedrückt worden sein, „bis er leblos liegenblieb“. Der Abdruck
ist selbst heute noch erkennbar. Die Versteinerung als Bestrafung menschlichen
Freveltums findet sich auch in Sagen. Nördlich von Innsbruck ließ eine
„Riesenkönigin, Frau Hitt genannt“, ihren Sohn, der in den Schlamm gefallen
war, mit Brosamen reinigen und wurde als Strafe dafür „auf ewige Zeit“[14]
versteinert, ein Schicksal, das auch „König Watzmann und seine Sippe“[15]
traf, die nach einem Unwetter infolge ihrer Brutalität ebenfalls in Stein verwandelt
wurden. 4.4 Die
Entwicklung bis zum beginnenden 19. Jahrhundert
Aegidius Tschudi
(1505-1572), steigt „für die erste Alpentopographie ‚De Prima ac vera Alpina
Rhaetia’ bis in die Gletscherregionen auf“[16], während
Josias Simlers (1530-1576) Werk „‚De Alpibus Commentarius’ [...] als erste
alpine Enzyklopädie gelten kann“. Die Aufklärung
verdrängt im 18. Jahrhundert mehr und mehr den Aberglauben, was die Eroberung
der höchsten Berge der Alpen nach sich zieht. So setzt „der Genfer Professor
Horace-Bénédict de Saussure [...] 1760 einen Preis“ aus für denjenigen, der den
Montblanc als Erster besteigt. 1786 stehen mit Michel-Gabriel Paccard und
Jacques Balmat die ersten Menschen auf dem „höchsten Punkt der Alpen. Ein Jahr
später steigt de Saussure selbst auf den Gipfel und kann dort seine geplanten
wissenschaftlichen Beobachtungen durchführen.“[17] Die Alpen rücken
aber nicht nur in den wissenschaftlichen Blickpunkt, auch die Literatur bedient
sich mehr und mehr der Bergwelt, stellt sie doch zum industriellen Alltag einen
Gegensatz dar, den es zu entdecken gilt. So unternimmt Goethe auf seiner Reise
nach Italien einen Umweg über den Gardasee in Kauf, um sich selbst von der
Schönheit dieses Winkels, wo „das Ufer, auf beiden Seiten von Hügeln und Bergen
eingefaßt“[18]
ist, zu überzeugen: Heute Abend hätte
ich können in Verona sein, aber es lag nur noch eine herrliche Naturwirkung an
der Seite, ein köstliches Schauspiel, der Gardasee, den wollte ich nicht
versäumen, und bin herrlich für meinen Umweg belohnt.[19] Die Sehnsucht
nach der unberührten Schönheit der Natur, der proklamierte Ausstieg aus einer
entfremdenden industriellen Gesellschaft, zeigt sich unmittelbar danach in der
Epoche der Romantik. So beginnen nun mit Ludwig Tiecks Runenberg (1802) die nachfolgenden Untersuchungen der Berge und Bergsteiger in der Literatur des
19. und 20. Jahrhunderts. |
[1] Fontana, Josef u.a.: Geschichte des Landes Tirols. Bd. 1. Von den Anfängen bis 1490. 2. überarb. Auflage Bozen 1990, S 88f., folgend zitiert als: Fontana: Tirol 1990 [2] Fontana: Tirol 1990, S. 89 [3] Fontana: Tirol 1990, S. 196 [4] Borst, Arno: Alpine Mentalität und europäischer Horizont im Mittelalter. In: Borst, Arno: Barbaren, Ketzer und Artisten. Welten des Mittelalters. München, Zürich 1988, S. 476, folgend zitiert als Borst: Alpine Mentalität im Mittelalter 1988 [5] Borst: Alpine Mentalität im Mittelalter 1988, S. 477 [6] Borst: Alpine Mentalität im Mittelalter 1988, S. 484 [7] Borst: Alpine Mentalität im Mittelalter 1988, S. 503 [8] Borst: Alpine Mentalität im Mittelalter 1988, S. 508 [9] Borst: Alpine Mentalität im Mittelalter 1988, S. 516 [10] Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Stuttgart 1959, S. 145 ff. [11] Benedikter, Hans: Hexen und Zauberer in Tirol. Bozen 2000, S. 168, folgend zitiert als Benedikter: Hexen und Zauberer 2000 [12] Benedikter: Hexen und Zauberer 2000, S. 170 [13] Benedikter: Hexen und Zauberer 2000, S. 176 [14] Pertl: Sagenhafte Bergwelt 1977, S. 80/82 [15] Pertl: Sagenhafte Bergwelt 1977, S. 105 [16] Dauer, Tom: Von Petrarca zum freien Klettern. Bergsteigen im zweiten Jahrtausend – 1. Teil. In: Alpin. Das Bergwelt Magazin 12 (1999), S. 93, folgend zitiert als Dauer: Bergsteigen 1999 [17] Dauer: Bergsteigen 1999, S. 94 [18] Goethe, Johann Wolfgang: Italienische Reise. Teil 1. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Frankfurt a. M. 1993, Bd 15/1, S. 32, folgend zitiert als Goethe: Italienreise 1993 [19] Goethe: Italienreise 1993, S. 32 |