6. Fazit
Es hat sich gezeigt,
dass Berge und Bergsteiger in der Literatur der letzten 200 Jahre recht
unterschiedlich gesehen wurden. Die literarisch vermittelten Eindrücke können
in etwa folgendermaßen tabellarisch zusammengefasst werden:
Auffallend ist, dass
dem Berg als Medium der Selbsterkenntnis sehr viel Bedeutung beigemessen wird,
dass der Mensch hier „nicht nur körperlich frisch und leistungsfähig“[1] wird, sondern dass vor allem „auch Geist, Gemüt
und Charakter“[2] gestärkt werden, eine Erkenntnis, die in der
Romantik etwa durch die Kunst oder durch Geister vermittelt wird. Andererseits zeigt sich
vor allem bei literarischen Werken, die „projektiv-aneignende“[3] Interpretationen für wissenschaftliche
verkaufen, die Gefahr, erst überhaupt nicht nach dem ‚Gewebe von
Überzeugungssystemen’ des Textproduzenten zu fragen, sondern „das Überzeugungssystem
des Interpreten bzw. des Analysierenden [...] direkt zur Analyse bzw.
Interpretation“[4] zu verwenden. Beispiele hierfür finden sich im
Kapitel Der erste Weltkrieg und seine
Folgen, aber auch in Berg ohne Gnade oder
Mallorys zweiter Tod, wo es zu einer
teilweise frei erfundenen „Sinn-Besetzung“[5] kommt. Eine solche pseudowissenschaftliche
Herangehensweise vereinfacht es, bspw. den Tod am Berg zum Heldentod, F.A. Cook
zum Opfer des Kapitalismus und der Religion oder George L. Mallory zum Propheten
zu stilisieren. Die Diskussion, ob
Bildung und Wohlstand nicht gleichzeitig die Urwüchsigkeit einer Landschaft und
deren Bewohner bedrohen, findet sich früh in der Literatur. Rosegger zeigt die
beiden Aspekte nebeneinander, ohne – und hier hat sich auch nach dem ‚Jahr der
Berge 2002’ nichts geändert – eine definitive Lösung bieten zu können, genauso
wie Heer den Tourismus als lebenswichtige Finanzquelle erkennt, die
Arbeitsplätze schafft. Wichtig erscheint hier die Überlegung Theodor Wundts,
dass es nicht zu einer Übererschließung der Alpen kommen darf, dass zumindest
„die Hochregionen [...] unberührte und ausschließliche Naturstätte sein“[6] sollten. Äußerst interessant ist
Lalićs Warnung vor der Vereinsamung des Menschen in der Natur. Bei ihm
verliert der Mensch, der zu lange allein in der Wildnis lebt, sein Ich, die
Realität. Der Mensch kann langfristig nicht alleine existieren, denn er braucht
Menschen, um Mensch sein zu können, um zu leben. Ein weiterer
faszinierender Aspekt dieser Untersuchung war es festzustellen, dass sich durch
das Vorhandensein von Geistern – etwa Astragalus oder der Geist Mallorys – eine
Beziehung zwischen den ersten Werken der Romantik und dem Buch Messners findet.
Was bleibt jedoch dem
Leser nach 200 Jahren Literatur, die sich mit Bergen und Bergsteigern befasst?
Vielleicht die Erkenntnis, dass das eigene Ich in den Bergen durch Reduktion
erfahrbar wird, dass unnütze Gedanken des Alltags als solche erkannt und
ausgeschwitzt werden, dass es das „Schöne am Weg“[7] erneut zu entdecken gilt, welches in den Bergen
durch eine Verminderung der äußeren technischen und zivilisatorischen Einflüsse
wieder fassbar und erfahrbar wird. Fallen die Antworten zu diesen Überlegungen
in den betrachteten Werken – von Tieck bis Messner – recht unterschiedlich aus,
so sind sie doch durch das Element des Blicks nach innen, der Selbsterkenntnis,
die der Mensch am Berg finden kann, verbunden. In Ich und die Berge (1917) schreibt Theodor Wundt: Der dort oben immer
wieder nach innen gerichtete Blick ließ mich das äußere Leben mehr und mehr als
das ansehen, was es in Wirklichkeit ist, eben als eine Äußerlichkeit, mit der
man sich humorvoll abfindet, und der Umgang mit der Natur wendete den Blick
immer wieder auf das Große und Natürliche. Einen starken Einfluß hat dabei auch
der Umgang mit den besseren Führern auf mit gehabt [...]. Bei ihnen habe ich
Achtung vor dem Menschen a n s i c h
gelernt, sie haben mir mehr gesagt, als manche ‚Kulturträger’ mit ihrem
Ehrgeiz, ihrer Eitelkeit, Nervosität, Empfindlichkeit und was sonst noch solche
liebliche Dinge sind.[8] Damit schließt sich der
Kreis zu Kofi A. Annans eingangs zitierten Überlegungen zum ‚Internationalen
Jahr der Berge 2002’, wo Berge durch ihre Größe „Demut gebietend und erhaben
zugleich“ wirken. Es gilt, ein „Kulturerbe der Bergvölker“ zu schützen und zu
pflegen, und es muss allen daran
gelegen sein, auch künftigen Generationen die Teilhabe an diesem „Reichtum der
Bergregionen der Welt“[9] zu sichern, eine innere Herausforderung, der sich
die Literatur – etwa Theodor Wundt – schon früh gestellt hat und der sich jeder
Bergsteiger – egal ob Wochenendtourist oder Profibergsteiger – auch nach dem
‚Internationalen Jahr der Berge 2002’ stellen muss. |
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
[1] Wundt: Wanderleben 1917, S. 361 [2] Wundt: Wanderleben 1917, S. 361 [3] Tepe: Mythos & Literatur 2001, S. 125 [4] Tepe: Mythos & Literatur 2001, S. 125 [5] Tepe: Mythos & Literatur 2001, S. 125 [6] Wundt: Wanderleben 1917, S. 365 [7] Wundt: Wanderleben 1917, S. 363 [8] Wundt: Wanderleben 1917, S. 360 [9] Annan: Berge 2002, S. 3 |