1.04 Vorgehensweise
1. Man konzentriert sich auf die Erhebung von Daten und
Fakten, die in gesetzmäßige Beziehung gebracht werden sollen. Der literarische
Text ist zu beschreiben und dann zu erklären. Die rationale Analyse hat
Vorrang. Wie in der Botanik oder Chemie wird jedes Werk sorgfältig
in seine Bestandteile zerlegt, um selbst das Künstlerische und Geniale auf
einen Kausalnexus zurückzuführen, der auf dem Prinzip der absoluten
Erklärbarkeit beruht. 2. Die Subjektivität, die subjektiven Anteile des
Wissenschaftlers, vor allem die nur vom Subjekt abhängigen Glaubensdinge sollen
möglichst weitgehend ausgeschaltet werden, damit die Nachprüfbarkeit der
getroffenen Aussagen gewährleistet ist. Das erkennende Subjekt tritt zurück, das gegebene Objekt
steht im Zentrum. Nur die empirisch gegebenen Sachverhalte zählen. Jede
subjektive Wertung des Analyseobjekts durch den Forscher gilt als unwissenschaftlich.
Man will ganz empirisch und möglichst exakt, ohne jeden metaphysischen Zusatz,
ohne jegliches subjektive Moment vorgehen. 3. Neben die Beschreibung und die Analyse tritt der
Vergleich; der Vergleich erst macht Klassifikationen und Gruppierungen möglich,
wenn einander ähnliche Elemente im Werk eines Künstlers als solche erkannt und
auf der Grundlage dieser Ähnlichkeiten allgemeine Regeln gefunden werden
können. Dazu gehört das Abstrahieren von Nebensächlichkeiten und das
Herausstellen von Haupteigenschaften eines Textes bzw. Autors. Am Anfang der gesicherten literaturwissenschaftlichen
Kenntnisse stehen einzelne Fakten, die in größere Gruppen geordnet und deren
Merkmale induktiv in allgemeinere Aussagen überführt werden können. 4. Erst der Vergleich verhilft nach Scherers Ansicht auch
den Literarhistorikern zu sicheren Erkenntnissen über Zeiträume, für die sie
nur wenig Tatsachenmaterial besitzen. Das Analogisieren soll ermöglichen, literarische Phänomene
der Vergangenheit durch solche der Gegenwart besser zu verstehen. Scherers
Methode der ‘wechselseitigen Erhellung’ gründet auf der Voraussetzung, daß die
grundlegenden menschlichen Tätigkeiten in allen Epochen der Geschichte ähnlich
und vergleichbar sind. Es ist daher möglich, über eine ferne Zeit, von der wir
nur fragmentarische Urkunden besitzen, zuverlässige Schlüsse zu ziehen, indem
wir auf sie das Wissen anwenden, das wir aus unserer engeren Vertrautheit mit
einer modernen Epoche geschöpft haben. Dieses Konzept hängt wiederum mit der Grundüberzeugung
zusammen, daß ähnliche Ursachen immer analoge Ergebnisse zeitigen werden.[1] 5. Positivistische Forschung ist nicht denkbar ohne die
Bemühungen um gesicherte Textgrundlagen. Da alles, was von einem Werk auf den
ersten Blick als Tatsache vorliegt, nur sein Text sein kann, muß dieser in
aller philologischen Gründlichkeit ediert werden. [1]
Der Methode der "wechselseitigen Erhellung" lag die Erkenntnis zugrunde, daß bestimmte sprachliche Entwicklungsprozesse zu
unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Sprachen nach denselben Gesetzen verliefen. Unterstellte man
die generelle Gleichförmigkeit dieser Prozesse, so ergab sich daraus die Möglichkeit, solche Prozesse, die in
ferner Vergangenheit abgelaufen und nur lückenhaft dokumentiert waren, in Analogie zu jüngeren, vollständig dokumentierten Abläufen derselben
Art zu rekonstruieren. Umgekehrt konnte dann die Kenntnis früherer Abläufe das Verständnis der gegenwärtigen, noch unabgeschlossenen Perozesse fördern.
Scherer schloß nun aus den Beobachtungen der Sprachwissenschaftler auf das Vorhandensein derartiger Analogien auch in der ökonomischen, politischen
und geistig-kulturellen Geschichte der Völker - in dem Sinn, daß auch hier ähnliche oder vergleichbare Ursachen immer zu ähnlichen oder vergleichbaren
Ergebnissen führen. "Das Deutliche, Vollständige, besser Bekannte dient zur Erläuterung des Undeutlichen, Unvollständigen, weniger Bekannten; namentlich
die Gegenwart zur Erläuterung der Vergangenheit." (Scherer 1888, 67)
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