2 Geistesgeschichte

[zurück]

2.03 Konjunktur

1. Das Jahr 1906 gilt mit dem Erscheinen von Diltheys Schrift Das Erlebnis und die Dichtung als das Jahr, in dem sich die Geistesgeschichte ‘überzeugend als Führerin einer neuen Richtung der Literaturwissenschaft dokumentierte’. (Kluckhohn) Dilthey gilt als Hauptbegründer der geistesgeschichtlichen Methode im Ganzen, als der große Revolutionär, der die größte Revolution der Geschichte der Literaturwissenschaft durchführte. (Maren-Grisebach, 23, 26)

2. In der Literaturwissenschaft setzte sich die geistesgeschichtliche Methode seit 1906 immer stärker durch; ihre Blütezeit fällt in der Zwanzigerjahre und knüpft sich in erster Linie an die Namen Rudolf Unger (1876-1942), Hermann August Korff (1882-1963), Fritz Strich (1882-1963) und Paul Kluckhohn (1886-1957). Die Arbeiten der einzelnen Gelehrten kann man jedoch nur von ihrer gemeinsamen Grundlage her als geistesgeschichtlich im Sinn einer geistesgeschichtlichen Schule bezeichnen, da sie in ihrer Betrachtungsweise stark voneinander differieren. (Gutzen, 164)

3. Der literaturwissenschaftliche Positivismus erhält zwischen 1900 und 1910 von der Geistesgeschichte eine Konkurrenz, die ihn schließlich verdrängt. Dies gilt in jeder Überblicksdarstellung als unumstrittene Tatsache der Geschichte der Germanistik. Andererseits zeigt ein genauerer Blick auf die historischen Gegebenheiten, dass weder ein abrupter Übergang stattgefunden hat noch daß von einem bestimmten Zeitpunkt an etwa alle Universitätsgermanisten Geistesgeschichte betrieben. Und die, die es taten, folgten in ihrer Arbeit keineswegs exakt den gleichen Grundsätzen: Geistesgeschichte ist keine ‘einheitliche, präzise abgrenzbare Forschungsrichtung’. (Kolk) Sie dominierte im Fach von 1910 bis 1925. (Baasner, 53)

4. Von den meisten Literaturhistorikern wird der Durchbruch der „Geistesgeschichte“ in die frühen zwanziger Jahre gelegt. Genau gesehen, stellt jedoch die deutsche Geistesgeschichte eher das methodische Sammelbecken sämtlicher „neuidealistischen“ Strömungen seit 1900 dar. (Hermand, 37)


[zurück]