2.14 Einzelne Ansätze
1. Innerhalb der geistesgeschichtlichen Richtung kann die
Ideenorientierung ganz im Vordergrund stehen, sie kann aber auch mit einer
historischen Denkweise verbunden sein. Bei den reinen Geistakzentuierenden, die philosophisch auf
Hegel basieren und deren Wirken in Rudolf Haym, Karl Rosenkranz, Kuno Fischer,
Karl Voßler, Rudolf Unger repräsentativ vertreten ist, kann man auch von
‘idealistischer’ Methode sprechen. Das Ideeorientierte überwiegt zuweilen
derart, daß eine Darstellung der übergreifenden Ideen ohne jede Nennung von
Dichtern oder Ideeurhebern, das heißt aber ohne Fixierung an konkret
geschichtliche Personen, möglich wird. Dilthey nimmt eine Zwischenstellung ein. Bei aller
idealistischen und lebensphilosophischen Einstellung ist er auch ein
historischer Kopf, er würde einer zeitenthobenen Betrachtung der Ideen in der
Literatur nie zugestimmt haben. Er hat den Widerspruch bestehen lassen zwischen
Übergeschichtlichkeit der Ideen, der immer gleichbleibenden Bedingungen im
menschlichen Subjekt und der geschichtlichen Abhängigkeit und Relativität.
(Maren-Grisebach 26f.) 2. Die These von der Irreduzibilität des Werkes kann auf
unterschiedliche Weise aufgefasst werden. Das Trennen von Leben und Werk kann
durch die Vorstellung vom ‘Lebenszusammenhang’ wieder relativiert werden, es
kann aber auch zu einer literaturwissenschaftlichen Ausrichtung allein auf das
Werk kommen. So ist für einige Vertreter Biographie als etwas Tatsächliches für
die verstehende Begegnung mit dem Werk irrelevant. (Maren-Grisebach, 29) 3. Die Sicht des literarischen Werks als eines
transrationalen Gebildes kann unterschiedliche Ausformungen erfahren. Einige
fassen das Verstehen auf extrem irrationale Art auf: „Das Kunstwerk kann nur
als Ganzes erlebt, niemals begrifflich erfaßt werden.“ (Walzel 1923, 18) Bei
Dilthey folgen demgegenüber auf das Verstehen als Akt des ganzen Menschen
Analysis und rationales Erkennen. Dadurch bleibt in diesem Verfahren die
Bedingung der Allgemeinverbindlichkeit gewahrt. Auch nach Dilthey gilt jedoch:
„nie wird das Erkennen, welches in den Wissenschaften tätig ist, des
ursprünglichen Erlebens Herr“. (Dilthey 1883, 137) Wenn also im Begegnen mit
Literatur das Erleben das Frühere und Eigentliche ist, kann es in einer
wissenschaftlichen Arbeit nie ganz übersetzt werden, der
Literaturwissenschaftler muss sich mit gewissen Annäherungswerten seiner
Untersuchungen begnügen. Das ist eine völlig andere Auffassung als diejenige
strenger Positivisten oder Neopositivisten, die keinen Restbestand zugeben.
(Maren-Grisebach, 30) 4. In der ideengeschichtlichen Strukturforschung werden
Ideenzusammenhänge innerhalb der Literatur und vor allem mit der Philosophie
hergestellt. Keineswegs sollen den philosophischen Systemen, den diskursiv
schlüssigen Gedankengängen gleichartige Gebäude in den Dichtungen gefunden
werden, auch keine Belege für die Geschichte der Philosophie. Es kommt darauf
an, mögliche Einflüsse aus philosophischen Werken zu ermitteln und deren
Umwandlungen zu konstatieren, wie es auch in umgekehrter Richtung von der
Dichtung zur Philosophie erforschbar ist. Gleiche geistige Grunderfahrungen,
gleiche Ideen in Literatur und Philosophie sind zu ermitteln. Dabei wird
konsequenterweise das Ideelle mehr betont als bei der formal-ästhetischen
Betrachtung, sollte aber theoretisch nicht losgelöst von den Gestaltfragen
behandelt werden, denn es wirke eine ‘prästabilierte Harmonie zwischen Gehalt
und Gestalt’. (Unger) Dass im Ganzen das Philosophische gegenüber dem Formalen
vorherrscht, ist auch aus einer Abneigung gegen die Positivisten entstanden,
denen man jeden philosophischen Sinn absprach. (Maren-Grisebach, 34f.) 5. Die Ausgestaltung der geistesgeschichtlichen
Perspektive fand von verschiedenen Ausgangspunkten her unter wenigen
dominierenden Leitbegriffen statt. Typisch für den Zeitraum ist die
Arbeitsteilung zwischen Philosophie – wo Systematiker wie Dilthey Grundlegungen
vornehmen – und der Literarhistorie, in deren Anwendungen die theoretische
Leistungsfähigkeit der ersteren nicht reflektiert wird. Typisch ist gerade die
Orientierung an vereinfachenden Entwürfen: Hermann August Korff popularisiert
in seinem Monumentalwerk Geist der Goethezeit
(1923-53) die Geschichte des Geistes als Abfolge von gegeneinander abgrenzbaren
abstrakten Ideen (Ideengeschichte),
Walter Rehm konturiert in Der
Todesgedanke in der deutschen Dichtung vom Mittelalter bis zur Romantik
(1928) einen Längsschnitt als Problemgeschichte.
Beide Richtungen kompilieren Motivsammlungen als Grundlage der geistigen
Geschichte, deshalb werden sie oft auch als Motivgeschichte
bezeichnet. (Baasner, 57) 6. Der verstärkten Berücksichtigung literarischer Formen
in der Stil- oder Formgeschichte tritt die Werkinterpretation zur Seite, die den
Text von seinen geschichtlichen Zusammenhängen abtrennt und als ahistorischen
untersucht. Werkinterpretation löst sich schon bald aus dem gemeinsamen
historischen Zusammenhang heraus und bildet einen eigenen Ansatz. (Baasner,
59f.) 7. Zu unterscheiden ist zwischen einer ‘abstrakten’
Geistesgeschichte und der Stil- und Formgeschichte, die stärker literarische
Texte und ihre spezifischen Formen berücksichtigt. Fritz Strich nimmt z.B. eine
stilgeschichtliche Unterscheidung von Epochen wie Klassik und Romantik vor.
Während in der ‘abstrakten’ Geistesgeschichte primär der ideelle Gehalt von
Werken interessiert und ihr Kunstwerkcharakter vernachlässigt wird,
konzentriert sich die Stil- und Formgeschichte auf deren (Text-)Form. Die
‘abstrakte’ Geistesgeschichte ist über weite Strecken Philosophiegeschichte im
Spiegel der Literatur, betrieben von Gelehrten mit philosophischer Bildung. |