8 Werkinterpretation

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8.14 Einzelne Ansätze

1. Zu Hussels Begriff von der „Intentionalität“: Der intentionale Charakter eines Wortes, einer Sache ist das Auf-etwas-Hindeuten, das Verweisen. Intention als Richtung auf etwas. Jedem Wort, jedem Satz eignet diese Intentionalität und nicht  nur als äußeres Akzidens, sondern „Das-sich-auf-Transzendentes-Beziehen, es in dieser oder jener Weise meinen, ist doch ein innerer Charakter des Phänomens“ (Husserl 1958, 46). Der intentionale Charakter erlaubt dann, das mit Worten Intendierte, das Gemeinte, zu bezeichnen. Das Gemeinte des Dichters bleibt dabei immer in strenger Abhängigkeit vom Text, hat als Funktion im Gesamtgefüge der dreigliedrigen Struktur (Wort, Bedeutung, Betrachter) kein eigenes Dasein. Dadurch wird der Gefahr begegnet, Gedanken einem Text zu entnehmen, sie von ihrem nur ihnen eigenen Wortlaut zu lösen, um dann mit ihnen als unabhängigen Denkgebilden zu operieren. Das Intendierte ist von der Wortgestalt unabtrennbar, eine Verbindung von Inhalt und Form, von Gehalt und Gestalt ist gegeben. Stellt man phänomenologisch den Gehalt einer Dichtung fest, so ist man gleichzeitig eingedenk, dass dieser bestimmte Gehalt nur mit diesem bestimmten Wortlaut und in dieser bestimmten Wortkombination gegeben ist. Ändert sich der Wortlaut, das Phänomen, so ändert sich damit die Intentionalität, die Richtung auf das Gemeinte, also auch das Gemeinte selber. (Maren-Grisebach, 46)

2. In Heideggers Lehre von der Hermeneutik, der Auslegung wird eine „Vorstruktur“ des Auslegenden zugegeben, ja gefordert. Die in der existentiellen Methode integrierte „Stimmung“ des Interpreten und die Vormeinung, die „notwendig in jedem Auslegungsansatz liegt“ (Heidegger 1960, 150), werden auch von dem Phänomenologen aufrechterhalten. Das ist ein Verbindungspunkt zwischen existentieller und phänomenologischer Sicht.

Außerdem steht nach Heidegger dem Offenbaren des Phänomens das Verborgene gegenüber. Und die Wahrheit oder das jeweilige Wesen, die im Kunstwerk realisiert sind, gehören „zunächst und zumeist“ nicht zu dem Offenbaren. In diesem Heideggerschen „Entbergen“ des möglicherweise Verborgenen liegen die Ansätze zum Auslegen des Textes, zur Ausdeutung des intentionalen Charakters. Spricht man also bei dieser Methode von „immanenter Deutung der Texte“, so ist dies anzureichern durch das Intentionale, das auf das Verborgene Weisende. (Maren-Grisebach, 47)

3. Einige Phänomenologen sind primär bestrebt, die Wirkung des Werkes auf das Subjekt zu beschreiben. Das ursprünglich auslösende literarische Werk ist dann das Transzendente, und die Beschreibungen der bewusstseinsimmanenten Erfahrungen können sich weit von ihm entfernen. In dieser Rezeptions- oder Eindrucksphänomenologie überwiegen Bezeichnungen für subjektives Erleben; hier läuft der Wechselpfad zwischen phänomenologischer und existentieller Methode; ebenso wie jener zwischen Sachzugewandtheit und Ichbezogenheit, bzw. Unsachlichkeit. Exemplarisch nachweisbar ist dies an Wirkungsbeschreibungen von Johannes Pfeiffer. (Maren-Grisebach, 49f.)

4. „Die Phänomenologie verfährt schauend aufklärend“ (Husserl 1958, 58). Husserl sieht bei der Schau den Akzent auf dem Verstandesfernen, er strebt die „möglichst reine Intuition“ an. In Heideggers Vorstellung vom Schauen sind hingegen mehr Verstandeskräfte beigemischt. Generalisierend lässt sich sagen, dass vom Schauen gesprochen wird, um sich gegen ein der Reflexion ganz zugehöriges diskursives Denken abzusetzen. (Maren-Grisebach, 50f.)

5. Im Gegensatz zu Staiger, der auf ein didaktisch aufgebautes Lehrbuch verzichtet und die Vorbildwirkung seiner ‘genialen’ Interpretationen geltend macht, vermittelt Kayser in Grundbegriff-Kapitel ein Minimum an interpretatorischer Ausbildung. (Baasner, 69)

Während Staiger die im subjektiven Gefühl gründende Interpretation betont, akzentuiert Kayser den objektiv fassbaren Formkomplex. Auch Staigers problematische „Stimmigkeits“-Norm wird relativiert. Indem Kayser Brüche und Spannungen ästhetisch legitimiert, sie innerhalb des Werk-Ganzen aber wieder aufgehoben sieht, bleibt er doch im engeren Bereich der „immanenten Interpretation“. (Rusterholz, 383)

Während Wolfgang Kayser Studenten und Studentinnen das technische Rüstzeug feingliedriger Analysen lieferte, suchte Emil Staiger die Praxis eines textnahen Arbeitens, das dem Kunstcharakter der gelesenen Texte gerecht werden sollte, hermeneutisch und philosophisch auf den Punkt zu bringen. Vorausgesetzt wird eine hermeneutische Differenz zwischen einem subjektiven Gefühl, das der Text erzeugt, und der Notwendigkeit, die durch den Text provozierten Gefühle zu rationalisieren. Es geht dann darum, „zu begreifen, was uns ergreift“. Den Prozeß dieser Rationalisierung beschreibt Staiger als hermeneutischen oder, bezogen auf die konkrete Textarbeit, philologischen Zirkel, in dem ein Austausch zwischen der subjektiven Annäherung an den Text und der Objektivierung des subjektiven Bezugs durch den Text stattfindet. Ein ständiges Gleiten zwischen singulären Textpartikeln und Textganzem ist gefordert; denn nur mit Bezug auf den ganzen Text können nach Ansicht Staigers einzelne Textpartikel ihre Bedeutung gewinnen. Ganz ähnlich formulierte Cleanth Brooks 1951, daß die Hauptschwierigkeit für die Literaturwissenschaft das Problem der Einheit sei. (Weitz, 358)


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