8.15 Verdienste
1. Was die Methode der
werkimmanenten Interpretation auszeichnet, das ist vor allem die Orientierung
am poetischen Wort, also ihre Textnähe. Das Kunstwerk tritt als ein solches,
d..h. in seiner Autonomie in den Vordergrund. Der ursprüngliche Bezug des
Lesers zum Kunstwerk wird zum Ausgangspunkt der Analyse genommen, die sich auf
Thematik und Form eines Textes konzentriert und die Vermittlung beider Momente
zu erhellen sucht. Dadurch erweist sich werkimmanente Interpretation als eine
recht komplexe Betrachtungsweise, weil sie nicht einen bestimmten Aspekt
gesondert verfolgt, sondern alle ästhetischen Phänomene bewusst zu machen
sucht. Dafür nimmt sie in Kauf, dass außerliterarische,
entstehungsgeschichtliche, zeit- und geistesgeschichtliche Aspekte keine
Berücksichtigung finden und auch die Wirkungsgeschichte von Literatur
unbeachtet bleibt. (Petersen, 131) 2. In den besten Beispielen
entwickelte die Werkinterpretation eine Sensibilität der Wahrnehmung und der
Lektüre, die wir in der Praxis wissenschafts- und literaturtheoretisch
anspruchsvollerer Methoden allzu oft vermissen – eine notwendige, wenn auch
gewiß noch nicht hinreichende Voraussetzung für die sinnvolle Anwendung jeder
Methodik der Interpretation. (Rusterholz, 382) 3. Es ist nicht zuletzt das
Verdienst der werkimmanenten Interpretationslehre Kaysers, einen präzisen und
differenzierten Begriffsapparat der literaturwissenschaftlichen Methodik
entwickelt zu haben. Die werkimmanente Literaturwissenschaft als Textwissenschaft
erzog durch ihr exaktes analytisches Vorgehen wieder zum literarischen Lesen
(„close reading“), das die großzügigen Entwürfe der geisteswissenschaftlichen
Richtung weitgehend vernachlässigt hatten. Textnähe wurde wieder zum
wesentlichen Kriterium der wissenschaftlichen Analyse. (Klein/Vogt, 47) 4. Es darf als Verdienst dieser
Richtung angesehen werden, die Aufmerksamkeit der Literaturwissenschaft von den
Zusammenhängen, in denen Texte stehen, wieder stärker auf die Texte selbst, auf
deren sprachliche Bilder und deren Aufbau gelenkt und damit den Interpreten als
Leser, den Leser als Interpreten ernstgenommen zu haben. (Brackert, 415) 5. Das große Verdienst des New
Criticism ist es, Paul de Man zufolge, gewesen, „die Autonomie des
literarischen Werkes und die feine Ausgewogenheit seiner Struktur vor der
Vereinnahmung durch grob deterministische Systeme zu bewahren“. (Weitz, 356) |