9.1 Existentielle Ansätze9.19 Abgrenzung
1. Abgelehnt wird nicht nur die in der
geistesgeschichtlichen Methode vorgenommene Trennung von Leben und Werk,
sondern auch der positivistisch gesehene Kausalnexus, da das logisch
aufgliederbare Nacheinander zu einem existentiell bedingten Gleichzeitigen
verbunden werden soll. (Maren-Grisebach, 54) 2. Einwände, dass es für die Literatur nicht gleichgültig
sein kann, ob man bei noch so erschütterter Haltung ihren Aussagesinn
verändert, sind exterritorialer Herkunft. (Maren-Grisebach, 55) 3. Das Ideal der nur scheinbaren Objektivität ist ein
wichtiges Angriffsziel. (Maren-Grisebach, 56) 4. Innerhalb des existentiellen Ansatzes wird dem
Wesensmerkmal der Gestimmtheit eine besondere Erkenntnisfähigkeit zugesprochen,
die weiter reicht als jene des nur rationalen Erkennens. „Die
Erschließungsmöglichkeiten des Erkennens tragen viel zu kurz gegenüber dem
ursprünglichen Erschließen der Stimmungen“ (Heidegger 1960, 134). Das lässt
sich gut gegen positivistische Literaturwissenschaft und auch gegen reine
Geist-Interpreten ins Feld führen.
(Maren-Grisebach, 58) 5. Die Schranken, die sich einige Positivisten setzten, um
ihr exaktes analytisches Wissen zu erreichen, sind negativwertig, da sie das
Ursprüngliche gerade ausgrenzen, es in einen unbetretbaren Urgrund abschieben.
Demgegenüber sollen gerade die vorwissenschaftlichen Kräfte wieder in ihr Recht
gesetzt werden. (Maren-Grisebach, 60) 6. Wohl lässt sich unter dem existentiellen Aspekt der
Todesproblematik eine Dichtung des neunzehnten mit einer des siebzehnten
Jahrhunderts verbinden, da aber das Entscheidende in dem jeweils einzelnen
verwirklicht ist, müsste zumindest eine dialektische Form zwischen Generellem
und Individuellem, Typischem und Atypischem gefunden werden. Die Opposition
gegen das Typensehen in der geistesgeschichtlichen Methode bestärkte die
philosophische Grundposition der existentiellen Literaturwissenschaft. Damit
hängt auch eine äußerste Skepsis gegenüber den Epochenbegriffen zusammen, ein Zurückscheuen vor der Einordnung des
Dichters in Gruppen, auch wenn sie sich selbst zu solchen zusammengeschlossen
haben, eine Aversion gegen stammeskundliche und geistesgeschichtliche
Zusammenhänge. (Maren-Grisebach, 64) 7. Biographismus und pure Literatur“geschichte“ sind sinnlose
Arbeitsgänge, wenn nicht zugleich das Werk im zeitlichen Kontinuum bis zur
Gleichzeitigkeit mit seinem Betrachter verschoben wird. (Maren-Grisebach, 66) 8. Abzugrenzen ist die existentielle Methode gegenüber der
positivistischen; Subjektivität, Innerlichkeit und Ungeschichtliches sind
geradezu anti-faktische Stellungnahmen. Interesse, Leidenschaft, Stimmung,
Irrationales und Atypisches sind dem Positivistischen entgegengesetzte
Vorlieben. Aber auch gegen die geistesgeschichtliche Methode sind die Abneigungen
stark, obwohl das gemeinsame Contra gegen die Positivisten sie verbindet. Die
Abneigung gründet vor allem auf der geistesgeschichtlichen Loslösung der Ideen
von den einzelnen Subjekten, durch die das „eigentlich Existentielle“ verloren
geht. Auch in der Überbetonung des Gehaltes, des Thematischen und der Bedeutung
von Philosophie läßt sich Gemeinsames beider Methoden sehen. (Maren-Grisebach,
66f.) |