3.10 Literaturtheoretische Grundannahmen
1. Foucaults Analyse erfasst breit gefächerte
Strukturzusammenhänge, denen jeweils wechselnde historisch-thematische Lagen
entsprechen. Genau diese Korrespondenzrelation hat Foucaults Arbeit für die moderne Literaturwissenschaft
interessant gemacht. Denn Literatur kann nun doppelt, nämlich teils als eine
Diskursart, also systematisch, und teils geschichtlich, als Objekt einer
historiographischen Epistemologie beschrieben werden. Dazu noch ist es möglich,
über den Historismus und die These eines positiv wissbaren Ereignisfeldes
‘hinter dem Text’ hinauszugelangen. (Bossinade, 37) 2. Foucault weist den Rekurs auf ein Ich-Subjekt zurück,
kritisiert den spekulativen Zug von Interpretation und Sinnverstehen und
rehabilitiert das reale Dokument. (Bossinade, 161) 3. Literatur stellt sich nach Foucaults Sicht als ein
Diskurs dar, der seinerseits aus verschiedenen Diskursen oder Diskursschichten
aufgebaut ist. Die Rekonstruktion dieser Diskursschichten gestattet es, den Ort
eines literarischen Werks im Raum gesellschaftshistorischer Umbrüche annähernd
zu bestimmen. Die Diskursanalyse hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den Arbeiten
der epochengeschichtlichen Motivforschung. Der zeitgeschichtliche Kontext eines Werks kann und darf
nicht als dessen einfaches ‘Außen’ isoliert werden; er ist dem Werk auf der
Diskursebene mit eingeschrieben. Genau hier liegt die Chance zu einer
diskursanalytisch unterbauten Textinterpretation. (Bossinade, 162f.) 4. Literatur ist keine beliebige Wissensform. Sie ist,
wenn nicht „mehr“, so doch etwas anderes als „Wissen“ oder dessen
Widerspiegelung. (Kammler, 38) 5. „Literatur“ ist aus einer Foucaultschen Perspektive
keine Substanz, sondern nur ein Name, der in unterschiedlichen Diskursen
unterschiedlichen Gegenstandsformationen zugeschrieben werden kann. Solche
Zuschreibungen sind nicht nur innerdiskursive Effekte, sondern werden von
nichtdiskursiven Elementen wie politischen und privaten Interessen mitbestimmt. (Kammler, 44) |