3.12 Einzelne Ansätze
1. Drei Richtungen
diskursanalytischer Literaturwissenschaft lassen sich unterscheiden. (1) Für die historisch-psychoanalytische
Richtung sind charakteristisch die Einleitung zum Band Urszenen und F.A. Kittlers Aufschreibesysteme.
Foucaultsche Grundannahmen werden mit Konzepten der Psychoanalyse und der
Linguistik verbunden. Angenommen wird, dass es unbewusste kulturelle Verbote
gibt, „die das Sprechen steuern“ und sich einem reflexiven Erfassen entziehen,
und zum anderen „Mythen“, die diese Verbote verschleiern. Beides aufzudecken
ist Ziel der Diskursanalyse. Zu den Diskursen, die diese Verbote und Mythen verwenden
und reproduzieren, zählen auch Interpretationen im traditionellen Sinne, die
als Kommentare verstanden werden, die literarische Texte lediglich
‘verdoppeln’. Ferner werden solche Diskurse untersucht, denen „paradoxe
Sprechakte“ zugeschrieben werden: Rhetorik und Literatur. In einem
literarischen Text wird der wahrheitsfunktional bestimmte Diskurs alltäglicher
oder wissenschaftlicher Rede durch selbstbezügliches Sprechen ‘übertreten’,
d.h. literarische Texte thematisieren immer ihr eigenes ‘Geschriebensein’. In den konkreten Analysen werden Beziehungen zwischen
literarischen Texten und anderen – medizinischen, pädagogischen – Texten und
Dokumenten hergestellt, die demselben Diskurs angehören sollen. Das Bindeglied
wird meist in einem gemeinsamen Thema, einem Denkmuster oder einer
Schreibtechnik gesucht. Auch die eigenen Bezugstheorien werden mit den
historischen Texten gekoppelt. Ferner werden direkte Verbindungen zwischen
fiktionalen und nicht-fiktionalen Informationen hergestellt. (2) In der historisch-philologischen
Richtung dominiert der historisierende Zugang. Auf der Grundlage
Foucaultscher Prämissen bindet z.B. N. Wegmann die Diskursanalyse an die
philologische Konzentration auf die Schrift zurück und nicht an einen
‘dahinterliegenden’ metaphysischen Sinn. Ein Ziel dieser Richtung liegt in der Revision
literaturhistorischer Klassifikationen, beispielsweise des Epochenbegriffs
‘Empfindsamkeit’. Das Vorgehen traditioneller Literaturwissenschaftler, nur
bestimmte Typen von Kontextwissen zu berücksichtigen, also stark auszuwählen
und so ein einheitliches Bild der Epoche zu entwerfen, wird abgelehnt. Statt
dessen soll nach den diversen Diskursen gefragt werden, die einander in einem
bestimmten Zeitraum überschneiden, ergänzen und widersprechen, nach diskursiven
Abgrenzungsstrategien und nach der „Leitdifferenz“, die „empfindsames“ Sprechen
kennzeichnet. Ein Problem beider Richtungen stellt der Literaturbegriff
dar: Ist Literatur eigentlich als Gegendiskurs oder ‘nur’ als Schnittmenge von
Diskursen aufzufassen? (3) Die semiotische
Richtung zieht Modelle und Verfahrensweisen der Semiotik heran, die sich mit
der Struktur sprachlicher Zeichen und außersprachlicher Zeichensysteme befasst
und ein Repertoire textanalytischer Kategorien zur Verfügung stellt. Der erste
Schwerpunkt des Interesses ist die besondere Funktionsweise literarischer
Texte, der zweite ist das Verhältnis von Literatur und Diskursen. J. Link
differenziert „Diskurselemente“ in solche, die nur in einem Diskurs vorkommen,
und solche, die in mehreren Diskursen vorkommen. Diese „interdiskursiven
Elemente“ verbinden die zahlreichen spezialisierten Einzeldiskurse. Eine
semiotische Diskursanalyse kann zum einen die Funktion untersuchen, die ein
„Kollektivsymbol“ in einem literarischen Text hat; zum anderen kann sie das
Netzwerk der Beziehungen analysieren, in dem der Text mit der Verwendung dieses
Symbols steht. (Winko, 473ff.) 2. Es ist sinnvoll, vorrangig solche Positionen zu
behandeln, bei denen die Bezugnahme auf Foucault präzise rekonstruierbar ist.
Zu unterscheiden ist zwischen (1) denjenigen Adaptionen, die bewusst selektiv
verfahren, und dabei mitunter auch einzelne Foucaultsche Theorieelemente in ein
hermeneutisches Gesamtkonzept von Literaturwissenschaft integrieren; und (2)
dezidiert „diskursanalytischen“ Ansätzen, die eine Anwendung und/oder
Weiterentwicklung des Foucaultschen Analyseinstrumentariums in bezug auf den
spezifischen Objektbereich der Literaturwissenschaften versuchen. (1) Japp z.B. sieht Foucaults Analyse der Funktion des Autors nicht als grundsätzliche
Infragestellung der produktiven Rolle des schreibenden Individuums im Prozess
der Herstellung von Literatur, sondern als Bereicherung des traditionellen
Bildes des Autors. Dieser ist nicht genialisches Schöpfer-Subjekt und
alleiniger Urheber „seines“ Diskurses. Ebenso wie die diskursanalytische
Liquidierung eines imaginären „Autor-Gotts“ (Japp) kann eine auf Erweiterung
ihres Fragehorizonts bedachte Hermeneutik auch eine
diskurstheoretisch-funktionale Analyse des Werkbegriffs
als Bereicherung ihrer Fragestellung akzeptieren. Der Diskurstheorie käme in
diesem Zusammenhang eine selbstreflexive Aufgabe innerhalb des
literaturwissenschaftlichen Diskurses zu. Komplementär zu einer solchen
„Beobachterperspektive“ bliebe demnach aber eine hermeneutische
„Teilnehmerperspektive“ in ihrem Recht, die weder auf den Werkbegriff noch auf
die Arbeit des Kommentars verzichten
kann. Dies hätte für die Diskursanalyse eine grundlegende hermeneutische
Infragestellung ihrer von Foucault postulierten gegenstandsexternen
Beobachterposition zur Folge. (2) F.A. Kittler hat die Diskursanalyse um die Dimension
der Entnahme, Speicherung und Verarbeitung von Daten erweitert, die in einer
Kultur relevant sind und gezeigt, dass die Literatur ab 1900 zunehmend in
Konkurrenz zu den neuen Medien tritt, wobei sie ihre Rolle als dominantes Bildungs-
und Unterhaltungsmedium einbüßt. In den Arbeiten J. Links wird ein scharfer Trennstrich
gegenüber allen Varianten hermeneutischen Sinnverstehens gezogen. Mit seinem
Konzept von „Literaturanalyse als
Interdiskursanalyse“ knüpft Link
dabei explizit an Foucault an. Link nennt „Interdiskurs“
diejenigen diskursiven Elemente, die mehreren Diskursen gemeinsam sind.
Wichtig sind hier die „imaginären“ Elemente (Metaphern, Symbole usw.). Als
typisches Beispiel führt Link die „Kollektivsymbole“
an, Sinnbilder, die in den unterschiedlichsten Praxisbereichen und von
verschiedenen sozialen Trägern verwendet werden. Dadurch wird es möglich, den
spezifischen Ort der „Literatur“ innerhalb der Vielfalt der Diskurse zu
bestimmen. Der literarische Diskurs
wäre demnach ein „auf spezifische Weise elaborierter Interdiskurs“ (Link ), der eigenen, nämlich literarischen Regeln
gehorchte. Die Frage nach der Dominanz
bestimmter Regeln innerhalb eines „Regelapparates“ beantwortet Link mit Hilfe
des – von Foucault als Instrument gesellschaftlicher Globalanalyse abgelehnten
– Ideologiebegriffs. (Kammler, 46ff.) 3. Festzuhalten bleibt, dass es eine genuin Foucaultsche
Literaturwissenschaft nicht gibt und nicht geben kann, da es in jedem Falle
spezifischer Verfahren zur Analyse literarischer
Diskurse bedarf. Im Rahmen einer Arbeitsteilung könnte der historischen Diskursanalyse allenfalls
die Aufgabe zukommen, das Feld der sozialen Konnotationen literarischer
Bedeutungsstrukturen zu untersuchen. Will Literaturwissenschaft sich nicht auf das bloße
„Ausgraben“ toter Gegenstände und historisch ausgedienter Regeln beschränken,
will sie die Literatur als kritisches und widerständiges Potential innerhalb
einer auf zunehmende „Normalisierung“ ausgehenden Gesellschaftsordnung nutzbar
machen, so muss die „Archäologie“ zur
„Genealogie“ werden. Erst dadurch,
dass man diskursive Regeln zu durchschauen lernt, lernt man sie auch zu
benutzen und zu überschreiten. (Kammler, 51) 4. Gegen den Ausschließlichkeitsanspruch
diskursanalytischer Verfahren scheint sich zunehmend die Einsicht
durchzusetzen, dass Diskursanalyse und Hermeneutik sich ergänzende
methodologische Programme sind, „die sich nicht hierarchisieren lassen“
(Karpenstein-Eßbach). (Kammler, 52) 5. Wieso gibt es keinen eigentlichen literarischen
Diskurs, während Literatur doch weit verbreitet und auch wichtig ist? Jürgen
Links Ansatz erklärt gerade das Zusammengesetzte, Mosaikartige literarischer
Texte in Bezug auf die ‘großen’ Foucaultschen Diskurse zum Spezifikum:
Literatur konstituiere einen Diskurs, in dem Teile aller anderen Diskurse ohne
wechselseitige Ausgrenzungstricks artikuliert werden können. Der Diskurs
Literatur bietet somit eine Art allgemeinverständlicher Schnittmenge, die
weicheren Formationsregeln unterliegt als die Spezialdiskurse und die einen
weiter reichenden Verständigungsrahmen aufspannt als die letzteren. Dieser
Diskurs zwischen den Spezialdiskursen heißt Interdiskurs.
Sozialhistorisch bindet Link die Spezialdiskurse an die Verständigungsformen
hochdifferenzierter gesellschaftlicher Funktionsbereiche, den Interdiskurs aber
an übergreifende Verständigungsbedürfnisse mit allgemein verbreiteter
kultureller Prägung. Aus dem Interdiskurs stammen alle Angebote kollektiver
Sinnstiftung, wie sie die Literatur bereithält. Exemplarischer Gegenstand der
Analyse ist für Link das Symbol, dessen Genese und Funktion zwischen seiner
ästhetisch-literarischen und seiner allgemeingültigen kulturellen Ausprägung
untersucht wird. Nicht die ursprüngliche Intention einzelner Verfasser kann
weitreichende Symbole erzeugen, sondern nur die feste Integration bestimmter
Zeichenkombinationen in den Interdiskurs. (Baasner, 137f.) 6. Jürgen Links
Untersuchungen zur Kollektivsymbolik. Links Konzept des Interdiskurses geht
aus einer Kritik an Foucaults ambivalenter Verwendung des Diskursbegriffs
hervor, der einerseits um ein internes diskursives Regelsystem kreist,
andererseits aber soziale Praktiken, Rituale und Institutionen als
konstituierend hervorhebt. Eine Koppelung dieser Aspekte lässt sich Link zufolge
in Anlehnung an Niklas Luhmann nur struktural-funktional erklären. (Wechsel,
460) 7. Ausgangspunkt der Argumentation ist die wachsende
Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft. Besonders seit der
Industrialisierung geht die gesellschaftliche Arbeitsteilung mit einer
Funktionstrennung der kulturellen Diskurse einher. Das wachsende Wissen der
modernen Gesellschaft wird in zunächst voneinander isolierten medizinischen,
juristischen, ökonomietheoretischen, naturwissenschaftlichen, religiösen und
anderen Spezialdiskursen gewonnen und verwaltet. Zugleich besteht jedoch stets
die Notwendigkeit einer Funktionsintegration; um einen Austausch über das
Wissen der einzelnen Spezialdiskurse zu gewährleisten, ist ein Interdiskurs
notwendig, der dieses Wissen über die Einzeldiskurse hinaus auch Laien
zugänglich macht. Die Alltagssprache, politische, journalistische und
populärwissenschaftliche Diskurse, aber auch die Literatur fungieren
solchermaßen als Interdiskurse. Bestimmte „elementar-literarische Anschauungsformen“, wie
etwa Analogien, Metaphern und Symbole, überführen das Spezialwissen in eine
anschauliche und allgemeinverständliche Form und ermöglichen damit erst das
Gespräch über die Diskursgrenzen hinweg. Dabei spielen vor allem die von einer
Gesellschaft kollektiv verwendeten Symbole, denen gesamtgesellschaftliche
Erfahrungen zugrunde liegen, eine wichtige Rolle. (Wechsel, 460f.) 8. Link geht es darum, wie solche Kollektivsymbole
literarisch verwendet und verarbeitet werden. Als Beispiel dient ihm das seit
der Erfindung des Ballons im 18. Jahrhundert in literarischen und
journalistischen Texten häufig verwendete Symbol des (Fessel-)Ballons. Den
Erfolg dieses Symbols erklärt Link aus der Tatsache, dass sich in ihm
zahlreiche Diskurse berühren: Das Ballonsymbol repräsentiert als Vehikel oder
Maschine einerseits den Diskurs der Naturwissenschaften; als
Jahrmarktsspektakel wird der Ballon andererseits zum technisch realisierten
Wunder. Das Wissen der Aufklärungsgesellschaft tritt demnach neben den Glauben
des religiösen Diskurses. Die unmittelbare Erfahrbarkeit durch die Massen macht
den Ballon schließlich zu einem geeigneten Symbol des Fortschritts im
politischen Diskurs der Befürworter der Französischen Revolution. (Wechsel,
461) 9. Kollektivsymbole sind in ein festes semantisches Raster
eingebettet, das jedoch kollektiv erweitert werden kann. Positive und negative
Konnotationen bestimmen die Grundstruktur von Kollektivsymbolen. Diese
Ambivalenz ist die Bedingung für ihren Gebrauchswert, weil erst sie es ermöglicht,
unterschiedliche Positionen und Konflikte diskursiv auszutragen. Indem
Kollektivsymbole durch neue Konnotationen erweitert und indem ihre Bewertungen
verändert werden, passen sie sich zudem dem historischen sozialen Wandel an.
Das System der Kollektivsymbole lässt sich als eine Art Netz mit Kreuz- und
Querverweisen vorstellen. (Wechsel, 461f.) 10. Links Textanalyse bieten eine Fülle von Beispielen für
die diskursive Verwendung von Kollektivsymbolen. Für die Literatur des 18. und
19. Jahrhunderts untersucht er in erster Linie den Wandel diskursiver
Positionen – von der Begeisterung für die Französische Revolution bis zur
Restauration – sowie die Nutzbarmachung von Kollektivsymbolen für die Bildung
nationaler Mythen und Symbole und für die zeitgenössische politische
Diskussion. Link zeigt aber auch, wie gerade die Literatur es versteht, den
Konnotationsreichtum stereotyper Bilder für sich zu nutzen. (Wechsel, 462) 11. Eine andersartige generative Theorie der literarischen
Produktion entwickeln die Literaturwissenschaftler Jürgen Link und Ursula
Link-Heer. Es geht darum zu erfassen, „wie und nach welchen Regeln (vor allem
nach unbewussten Regeln) literarische Texte produziert werden“ (Link 1983, 9).
Der Autor erscheint als ein „Strukturbündel“, eine komplexe Variable, die auf
unterschiedliche ästhetische, ideologische und soziale Achsen bezogen werden
kann. Der Autor ist kein autonomes, frei wählendes oder gar erfindendes
Individuum, sondern er wird von einer durch die Diskurse zur Verfügung
gestellten Strukturposition ‘in Dienst genommen’. Er verwirklicht mit seinen
Texten etwas, das als Möglichkeit von der Entwicklung der gesellschaftlichen
Diskurse erst eröffnet wird. (Dörner / Vogt, 82f.) 12. Die Diskurse können selbstverständlich konkrete Texte
nicht völlig determinieren, so dass ein gewisser Spielraum für den Zufall
verbleibt, der dann mit zu dem beiträgt, was tatsächlich als Produkt eines
Autors zu Papier gebracht wird. Als Beispiel verweist Jürgen Link auf Kleists
Novelle Michael Kohlhaas, deren
markanter Stil ihm als Mischung aus dem Ton der zeitgenössischen
Zeitungsberichterstattung, juristischem Diskurs, Chronik-, Märchen- und
Bibelton erscheint. Kritik. Sind
diese Bezüge jedoch das Entscheidende des Textes oder aber die nirgends
vorgeprägte stilistische Synthese in den Kleistschen Novellen? Sollte man den
Schwerpunkt auf das Diskursmaterial legen, das in die Werke eingeht, oder auf
die kreative Leistung, diese Materialien zu einer völlig neuen Struktur zu
integrieren? – Links Sichtweise ist eng angelehnt an die Diskurstheorie
Foucaults. Er bestimmt „Diskurse“ als sprachliche Praktiken, die strikt
aufgrund von institutionellen Regeln produziert werden. In komplexen
arbeitsteiligen Gesellschaften ist eine Reihe von Wissensbereichen und
Spezialdiskursen ausdifferenziert, so dass Bewusstsein und Kommunikation
hoffnungslos parzelliert wären, gäbe es nicht vermittelnde „Interdiskurse“. Wichtiges Bindeglied ist die „elementare Literatur“:
‘halbfertige’ Versatzstücke des Diskurses wie die (von Link analysierten)
Kollektivsymbole. Der institutionalisierte literarische Diskurs ruht auf der
Basis der elementaren Literatur. (Dörner /Vogt, 83f.) 13. In Anlehnung an Althusser binden Link und Link-Heer
schließlich die Literaturproduktion an Institutionen, die dazu dienen, eine
gesamtgesellschaftliche Integration der verschiedensten Kräfte zu leisten, ohne
die grundlegenden Herrschaftsverhältnisse anzutasten. Es formieren sich jeweils
„Publiken“, d.h. soziale Gruppen von Rezipienten, und auf der anderen Seite Schriftsteller,
die gegenüber bestimmten Gruppen einen „sozialen Auftrag“ erfüllen.
(Dörner/Vogt, 84) 14. Eines der grundlegenden Probleme der F’schen
Diskursanalyse ist die Frage, wie sich die einzelnen Diskurse zu der
allgemeinen Ordnung des Diskurses verhalten. Es stellt sich die Frage, ob an
der Theorie eines allgemeinen Diskursbegriffes überhaupt noch zwingend
festgehalten werden muss oder ob nicht vielmehr das Zusammenspiel der einzelnen
Diskurse in den Mittelpunkt der Analyse rücken sollte. Jürgen Link und Ursula Link-Heer haben den Diskursbegriff
zu dem des Interdiskurses erweitert. Der Begriff des Interdiskurses meint
Link/Link-Heer zufolge die Reintegration der in den einzelnen Spezialdiskursen
der Wissenschaft gebildeten Wissensformen in andere Diskurse. Literarische
Texte erweisen sich als ein ausgezeichnetes Beispiel für Interdiskursivität, da
sie in besonderem Maße diskursübergreifend arbeiten. (Geisenhanslüke, 129) 15. Der Interdiskurs nennt zunächst die Schnittmenge
zwischen den einzelnen Spezialdiskursen. Die Funktion der Literatur besteht nicht allein in der
Verknüpfung historischer Spezialdiskurse, sondern darüber hinaus in der
Verknüpfung von diskursivem Wissen und individueller Subjektivität. Literatur ist nicht einfach Ausdruck und Vermittlung von
freier Individualität, sie vollzieht zugleich die Umwandlung diskursiv
vorgegebenen Wissens in subjektive Erfahrung. Eine besondere Rolle spielen
dabei die Kollektivsymbole als Summe der bildlichen Redeelemente eines
Diskurses. Sind die Kollektivsymbole einerseits außerhalb der Literatur in
wissenschaftlichen Diskursen entstanden, so werden sie andererseits von
literarischen Texten weiterverarbeitet und verändert. Die Begriffe des
Interdiskurses und der Kollektivsymbolik tragen damit gegen die Autonomisierung
des Diskurses ein politisch-soziales Moment in die literarische Diskursanalyse
ein, das auch bei F. von Anfang an eine Rolle gespielt hat. (Geisenhanslüke,
130) 16. Bogdal. B.
geht es um die Frage nach der Vermittlung zwischen der Diskursanalyse und
traditionellen Verfahren der Literaturwissenschaft. Der Ertrag der
Diskursanalyse liege nicht in der Begründung einer autonomen Theorie des
Diskurses, sondern der Möglichkeit, der Literaturwissenschaft im Rahmen einer
historisch ausgerichteten Analyse neue Kontexte zu erschließen. Bogdal teilt Foucaults kritische Prämisse, die Hermeneutik eine dem Diskurs vorhängige
Kategorie der Bedeutung konstruiere, um damit eine bestimmte Form der
Subjektivität zu etablieren. Im Unterschied zu F. geht es ihm jedoch nicht um
das Verschwinden der Bedeutung hinter dem leeren Gesicht des Diskurses, sondern
um die historischen und strukturellen Bedingungen, denen eine epistemologische
Ordnung in ihrer Geschichte unterworfen ist. Damit wird der radikale Anspruch
von F’s Begründung einer allgemeinen Theorie des Diskurses ein Stück weit
zurückgenommen. (Geisenhanslüke, 130f.) |