3.14 Kritik
1. Die Diskursanalyse hat tradierte und konventionelle
theoretische Voraussetzungen explizit gemacht und in Frage gestellt, etwa die
Kriterien, nach denen Texte als ‘literarisch’ eingestuft werden, die
Implikationen der Behauptung, der Autor sei authentischer Urheber eines Textes,
oder die Annahme, Texte ließen sich säuberlich von Kontexten unterscheiden.
Strittig sind aber gleichwohl die Alternativen, die die Diskursanalyse
vorschlägt. (1) Probleme mit dem Status der Textanalyse: Wenn der literarische
Text nicht mehr als intersubjektiver Zielpunkt literaturwissenschaftlicher
Forschung angenommen wird, verliert auch die Einzelinterpretation ihren
Erkenntnisanspruch. Bedeutungszuordnungen werden beliebig, wenn es keinen
Näherungswert gibt, auf den sich Interpretationen zubewegen, oder wenn es kein
Kriterium mehr gibt, das ihre Intersubjektivität zumindest hypothetisch
garantiert. Wenn in diskursanalytischen Arbeiten Beziehungen zwischen
literarischen Texten und Diskursen der Entstehungszeit nachgewiesen werden, so
kann ein solches Vorgehen aus der Sicht hermeneutischer Literaturwissenschaft
zwar interessant sein, aber keine ‘erheblichen’ Einsichten in den Text als ein
Ganzes eröffnen. (2) Probleme mit den Präsentationsformen:
Diskursanalytiker haben einen neuen Stil des Sprechens über Literatur
etabliert, der besondere Rezeptionshaltungen fordert (und fördert). Auffällig
sind zunächst die deutliche Vorliebe für wohlgelungene (und wohlklingende)
Formulierungen, nicht selten auf Kosten der argumentativen Prägnanz und
Klarheit, sowie eine Tendenz zum emphatischen Sprechen. Das Verständnis wird
auch dadurch erschwert, dass die theoretischen Prämissen und Begriffe meist
nicht expliziert werden. Eine dritte Schwierigkeit liegt darin, dass in vielen
diskursanalytischen Arbeiten eine erhebliche Menge an Informationen präsentiert
wird, ohne dass der Bezug zum behandelten literarischen Text immer ganz klar
wäre. Wenn keine Auswahlkriterien genannt werden (was in diskursanalytischen
Arbeiten ‘per definitionem’ ein Problem ist), wirkt die Bezugnahme beliebig.
Dem entspricht auf der Mikroebene der Argumentation eine eher assoziative
Verbindung von Argument und Konklusion, die nur nachvollziehbar ist, wenn Leser
‘gleich denken’. Gründe hierfür liegen auch hier unter anderem im Verzicht auf
die kategoriale Unterscheidung zwischen Objekt- und Metasprache, zwischen
literarischer Rede und Rede über Literatur, der Folgen für den Sprachgestus und
die Maßstäbe der Argumentation hat. (Winko, 477f.) 2. Die relative Unbestimmtheit des Begriffs ‘Diskurs’
erleichtert seine Applikation; zum Diskurs kann dieses und jenes erklärt
werden, ohne dass daraus gleich eine Bindung an feste methodische Vorgaben
entstünde. Wenn die Merkmale des verwendeten Diskursbegriffs nicht offen liegen,
entsteht dem Namen und dem Anspruch nach zwar eine Diskursforschung, die jedoch
nicht notwendig eine theoretische Kontinuität aufweist. (Baasner, 129) So anregend Foucaults Diskursbegriff gewirkt hat, so
schwankend ist er seiner theoretischen Grundlegung nach. Mit anderen
Definitionen von ‘Diskurs’ hat sich Foucault nicht zwingend auseinandergesetzt.
Unklar ist in seinem Entwurf, welche Vermittlung es zwischen dem geben soll,
was einen Diskurs konstituiert, und dem, was ihn mit anderen Diskursen zu größeren
Bedeutungseinheiten zusammenzufügen erlaubt. (Bossinade, 36) Das Foucaultsche Denken stellt auch für die
Literaturwissenschaftler eher einen „Markt der Möglichkeiten“ als ein
konsistentes Theoriegebäude dar. (Kammler, 51) 3. Ordnung bleibt in diesem Konzept etwas Geheimnisvolles,
das sich der wissenschaftlichen Erkenntnis entzieht. (Baasner, 131) 4. Die Herleitung der Dreiteilung der episteme aus der
französischen Kulturgeschichte eignet sich nicht ohne weiteres für eine
Übertragung auf die anders gelagerten deutschen Zustände. Als
Differenzierungsinstrument sind diese Riesenepochen im übrigen wenig
trennscharf, wie der historische Wandel von der einen zur darauffolgenden vor
sich geht oder gar motiviert wäre, bleibt im Dunkeln. (Baasner, 132) 5. Ist Diskurs im Zeichensystem verankert oder in einem
System historischer Institutionen/Handlungen, oder in beiden? Die Widersprüche,
welche die unsystematische Ausarbeitung von Foucault selbst zeitigt, zwingen
seine Exegeten zu verschiedenen Klärungsansätzen. (Baasner, 135) 6. Es stellt sich die Frage, warum
literaturwissenschaftliche Analyse sich auf ein Diskursmodell einlassen muss,
das im Grunde Literatur ausgrenzt, um sie am Ende als etwas zu beschreiben, was
eigentlich kein richtiger Diskurs ist. Sollte die Annahme gelten, dass
Literatur nur eine Wissensmenge ist, die aus Bruchstücken anderer Wissensmengen
besteht (wie zum Beispiel auch die Alltagsrede), dann scheint die
Literaturwissenschaft hier ihren Gegenstand Literatur nicht so wichtig zu
nehmen, dass sie ihm spezifische Literarizität zubilligt. Unter dieser
Perspektive führt Diskursanalyse nicht zu einer stringenten
Literaturwissenschaft, sondern lenkt von deren Perspektive ab. (Baasner, 138) 7. Die Grenzen von Foucaults Machtbegriff sind nicht zu
verkennen. Foucault klammere, so Fink-Eitel, das Subjekt so weit aus, es schwierig werde, eine Position des
Widerstands zu finden und die Zerstörung oder Selbstzerstörung der quasi
omnipotenten Macht zu denken. (Bossinade, 166) 8. Literatur als „Gegendiskurs“
zum Wissen der Moderne ist bei Foucault Gegenstand einer Mystifikation. Als
Ausdruck des Regellosen schlechthin bildet sie den (im Sinne der ursprünglichen
Wortbedeutung) anarchistischen Fluchtpunkt eines von seinem Selbstverständnis
her streng analytischen, ja „positivistischen“ Theorieansatzes, der nichts als
die Realitätsbedingungen der wirklich gesagten Dinge untersuchen will, dabei
jeden transzendentalen Erklärungsansatz verwirft und dessen politisches
Erkenntnisinteresse weitgehend unklar bleibt. (Kammler, 42) 9. Scharf kritisiert worden ist das szientistische Selbstverständnis des Linkschen Ansatzes, das in der
These von der restlosen Beschreibung diskursiver Sinngehalte seinen Ausdruck
findet. (Kammler, 50) |