4 Literatursoziologie und Sozialgeschichte: Neuere und neueste Ansätze

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4.02 Literaturtheoretische und 'übergreifende' Voraussetzungen. Die wichtigsten Ansätze

1. Diskurstheoretische Ansätze.

Den Vermittlungsmodellen ist ein Geschichtsverständnis gemeinsam, demzufolge Geschichte eine von den historischen Texten unabhängige, kohärente Wirklichkeit darstelle, die es auf dem Umweg über die Texte zu rekonstruieren gelte. Wirklichkeit wird verstanden als einheitliches Sinngefüge, als durch die erkennenden Leistungen des Subjekts zu erschließende Totalität.

Dieser Auffassung lässt sich entgegnen, dass Wirklichkeit und damit auch Geschichte immer nur über kulturelle Äußerungen, über literarische und nicht-literarische Texte, über Artefakte und andere Dokumente zugänglich ist. Solche kulturellen Äußerungen transportieren und formen die Diskurse, über die sich eine Gesellschaft erst formiert. Das Selbstverständnis einer Gesellschaft existiert folglich nicht außerhalb der Texte, es bildet keine Folie, vor deren Hintergrund sie interpretiert werden könnten, sondern wird vielmehr erst durch die Texte selbst hervorgebracht. (Wechsel, 453)

2. Hinter einer derartigen Textualisierung des Wirklichkeitsbegriffs steht die Abkehr des Poststrukturalismus von den „großen Schlüsselerzählungen“, den letztlich metaphysischen Sinnkonzepten der abendländischen Philosophie. Für eine Literaturkritik auf der Grundlage poststrukturalistischer Annahmen hat das zur Folge, dass die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Geschichte nicht mehr über den Begriff der „Vermittlung“ bestimmt werden kann, dem die Vorstellung einer unabhängig existierenden (und erkennbaren) Wirklichkeit zugrunde liegt. (Wechsel, 453f.)

3. Einige neuere Ansätze knüpfen methodisch an die historische Diskursanalyse Foucaults an. Foucault verwendet den Diskursbegriff zunächst für das Gesamtfeld kulturellen Wissens als einer unüberschaubaren Ansammlung von Aussagen und Ereignissen. Weil Kontroll- und Regulierungsmechanismen diesen Diskurs strukturieren und die diskursive Praxis einer Gesellschaft bestimmen, ist das, was wir über die Wirklichkeit wissen und was wir über sie sagen, der Ordnung des Diskurses unterworfen. Gegenstand der Diskursanalysen Foucaults sind die Machtverhältnisse und Machtmechanismen, die die Wissensdiskurse einer Gesellschaft, das medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Spezialwissen, kontrollieren.

Da Literatur kein Wissensdiskurs ist, muss eine diskursanalytisch ausgerichtete Literaturwissenschaft nach dem Verhältnis von Literatur zu den herrschenden Diskursformationen einer Gesellschaft fragen.(Wechsel, 454)

4. New Historicism. Der amerikanische Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt widerspricht dem Anspruch auf Objektivität, mit dem der „New Criticism“ die Literaturkritik als ernstzunehmende wissenschaftliche Disziplin an britischen und amerikanischen Universitäten einst etabliert hatte.

In den Arbeiten zum „New Historicism“ – inzwischen bevorzugt Greenblatt die Bezeichnung „Cultural Poetics“ – geht es weniger um ein theoretisches Konzept als vielmehr um konkrete Beispiele für eine neue Methode der Textanalyse. Sie wendet sich gegen die an amerikanischen Universitäten herrschende Praxis der textimmanenten Interpretation in der Tradition des „New Criticism“, der den literarischen Text als geschlossenes und in sich schlüssiges Kunstwerk betrachtet, losgelöst vom sozialen Umfeld seiner Entstehung. Auch die in den siebziger Jahren an den Universitäten etablierte Dekonstruktion hatte in der spezifisch amerikanischen Ausprägung der „Yale Critics“ nicht mit dieser textzentrierten Leseweise brechen können.

Gegen ein solch ahistorisches Textverständnis richtet sich die Forderung des „New Historicism“, literarische Werke wieder zu den historischen sozialen Bedingungen ihrer Entstehungszeit in Beziehung zu setzen. Aber im Unterschied zu früheren ideologiekritischen und sozialgeschichtlichen Ansätzen verabschiedet sich der „New Historicism“ von einem ontologischen Geschichtsverständnis zugunsten der Kontingenz von Geschichte. Damit sind auch Texte kontingent, Teil der sozialen Praxis, durch die sich eine Gesellschaft selbst auslegt und damit zugleich immer wieder neu konstituiert. (Wechsel, 454f.)

5. Betrachtet man die historische Situation als ein Kräftefeld, in dem literarische Texte mit anderen kulturellen Äußerungen und Ereignissen nebeneinander wirken und miteinander verwoben sind, hat das zur Konsequenz, dass die Funktion der Interpretation nicht mehr darin liegt, die einzelnen Elemente eines Textes in einen kausalen oder funktionalen Gesamtzusammenhang zu bringen. Die Analysepraxis des „New Historicism“ konzentriert sich vielmehr auf das Verhältnis von Literatur zu anderen Texten. Gefragt wird nach den Austauschbeziehungen, den „Transaktionen“ zwischen kulturellen Äußerungen; Verhaltens- und Sprachformen, Gesten und Rituale, kollektive Anschauungen und Erfahrungen werden vom literarischen Text nicht einfach übernommen, sie fließen vielmehr als soziale Energie ein und werden unter bestimmten Bedingungen angeeignet und modifiziert. (Wechsel, 455f.)

6. Bei der Suche nach Spuren solcher Transaktionen werden elisabethanische Dramen, politische Traktate, Anekdoten, religiöse und ethnographische Schriften, die zunächst keinerlei Zusammenhang vermuten lassen, miteinander verknüpft. Erst durch das Nebeneinander unterschiedlicher Textsorten können Stück für Stück soziale Praktiken und Machtstrukturen der englischen Renaissance aufgedeckt werden. Das elisabethanische Zeitalter steht dabei paradigmatisch für die Entstehung der modernen westlichen Kultur, so dass die Untersuchungen der Machtstrukturen letztlich die kulturkritische Haltung des „New Historicism“ zu erkennen geben.

Literatur verweist nicht nur als Zeichen auf die gesellschaftliche Realität, sondern ist selbst an der diskursiven Konstituierung von Machtstrukturen beteiligt. (Wechsel, 456)

7. Die Auffassung vom literarischen Text als Stimmenvielfalt oder Polyphonie im Sinne Bachtins bestimmt auch Greenblatts kulturelle Sichtweise. Das Ziel der „Cultural Poetics“ ist die Aufhebung von Grenzen, Hierarchien und der Polarisierung von Eigenem und Fremden.

Als problematisch erweist sich in Greenblatts Ansatz die Betonung der allumfassenden Machtstrukturen, die ein Durchbrechen des herrschenden Diskurses und damit die Möglichkeit des Engagements letztlich auszuschließen scheinen. (Wechsel, 456f.)

8. Als New Historicism wird ein Ansatz der Literaturwissenschaft bezeichnet, der in den späten 1970er-Jahren in der US-amerikanischen Anglistik entstanden ist. Im Laufe der Zeit wurde er auf andere Philologien übertragen und ist international auf breites Interesse gestoßen.

Den Status einer geschlossenen Theorie beansprucht der New Historicism nicht, statt dessen handelt es sich – erklärtermaßen – um eine integrative Mischung, deren Elemente unterschiedlichen Theoriefeldern entstammen. Entsprechend divergieren die Schwerpunkte in der Rezeption. Ob generell eine postmoderne Orientierung, eine Verarbeitung der Foucaultschen Diskurstheorie oder aber der Anschluss an Clifford Geertz’ Kulturhermeneutik vorliegt, bleibt vorerst Gegenstand der Kontroverse. (Baasner, 239)

9. Die Begründer des New Historicism, Stephen Greenblatt und Louis Montrose, griffen alle drei genannten Einflüsse auf. Der Ansatz konturiert sich durch Abgrenzungen, zunächst gegen einen ‘Old Historicism’ anglo-amerikanischer Prägung, dem vorgeworfen wird, Urteile und Meinungen zu kulturellen Epochen dogmatisch, generalisierend und ohne jede Differenzierungsperspektive festzuschreiben. Weiterhin opponiert der New Historicism gegen das literaturwissenschaftliche Programm des New Criticism, dem seine ahistorische Konzentration auf formalistische Aspekte der Literatur zur Last gelegt wird.

Da diese Abgrenzungen für die europäische Situation der 1990er Jahre keine Relevanz mehr haben, laufen viele der ursprünglichen Argumente in der europäischen Diskussion ins Leere. (Baasner, 239)

10. Poetik der Kultur. Im New Historicism soll eine Poetik der Kultur entwickelt werden, eien Anleitung zur Decodierung kultureller Phänomene. Dabei wird nicht eine normierende Betrachtungsweise angestrebt, sondern eine offene Wahrnehmung vielseitiger und facettenreicher Ausprägungen von Kultur. Ziel der leitenden Fragestellungen ist es, Abweichungen kultureller Phänomene von festgefügten Epochenstrukturen und Gattungshierarchien zu rekonstruieren.

Eine Anarchie willkürlich gesetzter kulturhistorischer Entwürfe – wie sie von Kritikern befürchtet wurde – tritt deshalb nicht ein, weil dem Konzept trotz aller gegenteiligen Beteuerung ein sehr starker Kanon, ein Gattungs- sowie ein unumstößlicher Epochenbegriff zugrunde liegen. New Historicism bietet also eine kritische Rekonstruktion auf der Basis eines überkommenen Geschichtsbildes. (Baasner, 240)

11. Die Gegenstandserschließung beschränkt sich nicht auf sprachliche Zeugnisse, sie inkorporiert Formate der Präsentation, wie Bilder, Denkmale u.a., die ebenfalls als ‘Texte’ aufgefasst werden. Die Verbindung zu sprachlichen Texten wird hergestellt, indem die Deutbarkeit dieser Artefakte, ihr Eingewobensein in sinnstiftende Umgangsweisen, als Analogon zur Textur angesehen wird. Historische Zeugnisse erscheinen, unabhängig von ihren medialen Formen, als Material. (Baasner, 240)

12. Zwischen den Dokumenten des Materials werden Beziehungen angenommen, die auf soziale Interaktion zurückführbar sind. Als Verhandlungen wird ein allseitiges ‘Geben und Nehmen’ zwischen den Positionen der Texte beschrieben, in dessen Verlauf soziale Energie kursiert. Dies bleibt ein unspezifischer Terminus, der den Prozess des Austauschs nicht näher bestimmt, zugleich aber auf die soziale Eingebundenheit jeden Transfers hinweist. So werden durch die Texte hindurch soziale Größen sichtbar, die Subjekte, Gruppen, Institutionen u.a. umfassen. An Foucault geschult werden Macht oder Machtanspruch thematisiert, das Ensemble der Kultur wird als machtdurchwaltete Entität beschrieben, in der epochenspezifische Ideologien herrschen. (Baasner, 241)

13. Als positive Forderung lässt sich die nach einem Modell von Kulturgeschichte ausmachen, das einer Alltagsgeschichte Platz gibt und sich keiner Geschichtsphilosophie verpflichten will.

Unausgelotet bleibt dabei das Verhältnis zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Die Stellung zur Vergangenheit wird bestimmt vom Wunsch, in die alten Zeiten wieder einzutreten (re-entering).

Theoretisch besonders problematisch ist die Vorstellung vom kulturellen Wandel. So kann sich in Greenblatts ideologisch verfestigten Epochen nichts bewegen, dabei wäre gerade für eine Kulturgeschichte, die kein Telos kennt und doch im Fluss sein soll, ein Modell kontinuierlichen Wandels erforderlich. (Baasner, 241)

a) F. versuchte, in der Ausarbeitung einer allgemeinen Theorie des Diskurses ein theoretisches Interesse mit einem geschichtlichen Gegenstand, z.B. der Untersuchung der Geschichte des Wahnsinns oder der Sexualität, zu verbinden. Die Schwierigkeiten der Begründung eines allgemeinen Diskursbegriffes haben dazu geführt,  die historische Dimension von F’s Denken von der Forschung stärker berücksichtigt wurde, ohne F. selbst schon als Vertreter einer Kulturwissenschaft verstanden wurde. Den Schritt von der Diskursanalyse zur Kulturwissenschaft vollzieht Stephen Greenblatt.  Die Gemeinsamkeit mit F. liegt in der Leugnung einer teleologischen Geschichtsausrichtung und der Kritik des hermeneutisch-textimmanenten Verfahrens des New Criticism. Greenblatt geht jedoch im Rahmen einer allgemeinen Kulturanthropologie auf ein dynamisches Bild der Geschichte als Zirkulation sozialer Energien zurück.

(Geisenhanslüke, 131f.)

b) Leitfaden seiner Untersuchung ist die Intensität von Shakespeares Stimme in der Geschichte der Kultur.

Soziale Energie manifestiere sich als eine Ordnung von sprachlichen, auditiven und visuellen Spuren in einem sozialen Kontext, der über ein System von Tauschprozessen gesteuert werde.

G. versteht die Literatur daher wesentlich als eine soziale und kulturelle Praxis. Damit leistet der New Historicism einen Beitrag zu einer Historisierung der Diskurstheorie.

(> Kritik) Kann eine vollständige Überführung der Literaturwissenschaft in die Kulturwissenschaft überhaupt sinnvoll sein? Die Hinwendung zur Geschichtlichkeit der Texte birgt eine doppelte Gefahr in sich, die zum einen in der Auflösung der Spezifität der Literatur im vagen Begriff der Kultur und zum anderen in der Wiedereinführung der traditionellen hermeneutischen Begriffe von Geschichte und Subjekt besteht. (Geisenhanslüke, 132f.)

14. Die Kulturanthropologie von Clifford Geertz. Nach Geertz sind auch kulturelle Handlungen wie Texte zu deuten. Er konstruiert einen semiotischen Kulturbegriff, der sich an den Gegenstandsbereich der Literatur anlehnt. Vorausgesetzt wird Max Webers Diktum vom „selbstgesponnenen Bedeutungsgewebe“, in dem Menschen als Subjekte und Kollektive handeln.

Die angestrebte Erkenntnis zielt auf Verstehen; diese hermeneutische Zugriffsweise soll einem klaren Konzept von Hypothesenbildung, Begründung und Plausibilisierung unterworfen sein.

Es geht nicht allein um den kulturellen „Code“, sondern darum, wie Akteure ihn tatsächlich nutzen. Nichts muss in einer bestimmten Weise ablaufen, bloß weil etwa der Code gegeben ist, es sind vielmehr konkrete Entscheidungen von Akteuren, die einen rekonstruierbaren Sinn erzeugen. (Baasner, 241f.)

15. Als Verfahren der Erkenntnisgewinnung wie auch zugleich der Darstellung dient eine „dichte Beschreibung“ des Beobachtbaren und möglichst auch wirklich Beobachteten liefert, aus der die Rekonstruktion erfolgen kann. Damit wird eine ‘weiche’ Erklärung als Schlusspunkt der kulturanthropologischen Arbeit postuliert. (Baasner, 242)

16. Mentalitätsgeschichte und Habitustheorie. Eine Möglichkeit, den Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Bereichen menschlichen Denkens und Handelns in einer Epoche genauer zu erfassen, bietet die Habitustheorie Pierre Bourdieus, die gemeinsame Strukturen des Denkens und Handelns und damit Vermittlungsinstanzen zwischen Kollektivem und Individuellem sowie zwischen sozialen, ökonomischen und künstlerischen Gegebenheiten erarbeitet.

Ebenso wie die Sprache als System von Regeln gelernt und beherrscht wird, die den Sprecher dazu instand setzt, immer neue und kompliziertere Zusammenhänge sprachlich auszudrücken, werden auch die verschiedenen kulturellen Praktiken aus einem Ensemble von Grundmustern generiert und weiterentwickelt. Bourdieu nennt dieses System von Grundmustern „Habitus“. (Röcke, 646f.)

17. Für die Konzeption einer Sozialgeschichte der Literatur ist dieser theoretische Ansatz nützlich, weil er es erlaubt, den wechselseitigen Bezug der unterschiedlichen Kunstformen, Deutungsmuster und Wertungssysteme in einer Epoche genauer zu fassen, als dies früher möglich war. (Röcke, 647)

18. Soziologie der symbolischen Formen: Pierre Bourdieu. Bourdieus erste Studien, die sich mit der traditionalen kabylischen Gesellschaft im nordafrikanischen Algerien beschäftigen, sind vom ethnographischen Strukturalismus Claude Lévi-Strauss’ geprägt. Das strukturalistische Moment in Bourdieus Arbeiten nimmt im Laufe der Zeit jedoch immer mehr ab und sein Augenmerk richtet sich zunehmend auf eine Ethnographie der (französischen) Gegenwartsgesellschaft, die wissens- und bildungssoziologische Studien und eine Theorie der sozialen Ungleichheit umfaßt.  (Baasner, 230)

19. Mit der Kategorie des sozialen Sinns (eigentlich: sens pratique) rückt die Kultursoziologie ins Zentrum seiner Gesellschaftstheorie, die die Konstitution und Reproduktion sozialer Ordnungsstrukturen und Hierarchien in den Blick nimmt. Besonderes Interesse gilt dabei den Praxen der Distinktion, der Gruppenabgrenzung durch ‘die feinen Unterschiede’ kultureller und ästhetischer Wertzuweisung. Die Bourdieusche Kunst- und Kulturbegriff bezieht sich dabei immer auf die sozialstrukturelle Wirksamkeit ästhetischer Produktion, Konsumtion und Beurteilung. In seiner Theorie wird Kultur bedeutsam als Gegenstand und Medium von Auseinandersetzungen in der ‘Sozialwelt’, der Sphäre gesellschaftlicher Positionierungskämpfe. (Baasner, 230)

20. Die Logik der Felder und Kapitalien. In Auseinandersetzung mit Karl Marx formuliert Bourdieu eine allgemeine ‘Ökonomie der Praxis’, in der gesellschaftliches Handeln nach dem Vorbild wirtschaftlicher Prozesse beschrieben werden kann. Sie besteht aus verschiedenen sozialen Feldern, ‘Wertsphären’ – von denen die ‘eigentliche’ Ökonomie, der Bereich des wirtschaftlichen Handelns, nur eine darstellt –, in denen mit je eigenen Mitteln um soziale Macht gerungen wird. Der Machtkampf ist immer – auch in ‘nicht-ökonomischen’ Bereichen wie der Kunst – auf Profitmaximierung und Kapitalakkumulation gerichtet, wobei der Gewinn eben nicht nur ein materieller, sondern auch ein symbolischer sein kann. Das Feld ist ein sowohl in der sozialen Praxis als auch in der Vorstellung der Handelnden abgegrenzter relativ autonomer Raum. Innerhalb eines solchen Feldes entstehen Beziehungsmuster, vermittelt über die spezifische Verteilung der Kapitalsorten. Das Feld ist aber nicht so starr, wie der Begriff der Feldstruktur vermuten ließe: mitgedacht sind neben der objektivierten Struktur auch immer die individuelle und kollektiv Handelnden und ihre Strategien, mitgedacht sind auch die spezifischen Konflikte des jeweiligen sozialen Teilraums. Die reativ autonomen Felder sind zwar durch die Gültigkeit spezifischer Regeln abgegrenzt, trotzdem gegeneinander durchlässig.

Die Raummetapher des Feldes wird ergänzt mit den Begriffen der Position und der Positionsnahme (prise de position), ersterer beschreibt den durch Klassenstellung, Habitus, Dispositionen bestimmten Ort innerhalb der institutionalisierten Strukturen des Feldes, zweiter das Element der strukturierenden Struktur, der Sinngeneration und -reproduktion in der Praxis. (Baasner, 231)

21. Neben dem ökonomischen (materiellen) Kapital nimmt Bourdieu zwei weitere Kapitalsorten an: soziales und kulturelles Kapital. Den Terminus des symbolischen Kapitals verwendet Bourdieu uneinheitlich: einmal als Oberbegriff zur Bezeichnung für die Wertigkeit aller Kapitalsorten im Positionskampf, zum anderen als vierte Kategorie neben den drei genannten. Bei allen Kapitalien fragt Bourdieu nach deren Substrat, d.h. nach dem empirisch einigermaßen Fassbaren, wie Geld (ökonomisches Kapital), Einfluss (soziales Kapital), Bildungstitel oder Wissen (kulturelles Kapital), und nach der Konvertierbarkeit, d.h. dem Tauschwert und der Tauschfähigkeit.  (Baasner, 231f.)

22. Klasse und soziale Positionierung. Die soziale Auseinandersetzung sieht Bourdieu als Klassenauseinandersetzung, als Klassenkampf. Die marxistische Terminologie erfährt dabei allerdings wichtige Veränderungen. So wird die Klassenzugehörigkeit zwar u.a. durch den Besitz von Kapitalien bestimmt, aber nicht durch die dichotomische Verteilung von (i.e.S. ökonomischen) Produktionsmitteln. Die Teilhabe an den verschiedenen Kapitalformen entspricht sozialen Positionsmarkierungen, die in habituellen Lebensstilausprägungen ihren Ausdruck finden.

Diese soziokulturelle Klassentheorie geht davon aus, dass eine soziale, ökonomische und kulturelle Verteilungsungleichheit in sozialer Beziehungsungleichheit mündet. Das Haben bestimmt das soziale Sein und dieses wiederum das Bewusstsein, insofern jeder Klassenzugehörigkeit spezifische Formen der Klassifikation – der Wirklichkeitswahrnehmung und -orientierung – korrespondieren.

Der Klassenkampf manifestiert sich so als Auseinandersetzung von Klassifikationssystemen. (Baasner, 232)

23. Wie bestimmt sich nun die Zugehörigkeit zu einer Klasse? Klassenmerkmale sind die dem Individuum oder der Gruppe typischerweise zur Verfügung stehende Quantität des Kapitals sowie dessen Zusammensetzung aus den verschiedenen Kapitalsorten. Diese veränderlichen, aber letztlich dem einzelnen äußerlich bleibenden Faktoren prägen – im Zusammenspiel mit anderen Merkmalen, die quer zum Klassenstatus liegen (Geschlecht, Alter, Nationalität etc.) – den Klassenhabitus. Neben diesen gruppentypischen Habitus tritt der individuelle Habitus, der das Individuum, das ‘emirische Ich’ mit seinem konkreten ‘sozialen Lebenslauf’ berücksichtigt. (Baasner, 233)

24. Struktur, Habitus, Praxis. Die segmentäre Einteilung der Gesellschaft in Felder wird ergänzt durch die allgemeine Begriffstrias Struktur – Habitus – Praxis, die von Bourdieu auf alle Gesellschaften und alle Gesellschaftsbereiche angewandt wird. Mit ihrer Hilfe werden die generativen und reproduktiven Prozesse der Gesellschaftsformation gefasst.

Mit den genannten Begriffen sind unterschiedliche Grade von Dynamik verbunden. Innerhalb der Grenzen setzenden Struktur sieht die Bourdieusche Theorie durchaus Spielraum vor, sowohl für kollektive wie für individuelle Akteure.

Sowohl Habitus als auch Praxis werden durch die gegenläufigen Kräfte von Beharrungsvermögen und Veränderungsdrang einer ständigen Verschiebung unterworfen.

Der Habitus selbst fungiert als in Dispositionen gegossenes kollektives Gedächtnis, das keinen expliziten Geschichtsbezug braucht und damit wirksamer ist als jede offizielle Verpflichtung auf Kontinuität. (Baasner, 233f.)

25. Das literarische Feld. Seit den 1970er-Jahren beschäftigt sich Bourdieu mit dem literarischen Feld und dessen gesamtgesellschaftlicher Funktion. Zwei Interessen sind dabei ausschlaggebend: die soziale Distinktion, die über literarische Produktion und Rezeption und über die Legitimationsstrategien der hegemonialen Kultur geleistet wird, und die Organisation und Struktur des literarischen Feldes selbst.

Wie andere soziologisch und sozialhistorisch vorgehende Autoren wendet Bourdieu sich gegen die traditionelle ideographische Literaturgeschichtsschreibung, in deren Mittelpunkt Werk und genialischer, sich selbst schaffender Künstler stehen. Der Literaturbegriff ist ein pragmatischer, das Werk wird zum Werk durch Wertzuschreibung, wobei diese auf die gesellschaftliche, klassifizierende Institutionalisierung ästhetischer Produkte verweist.

Darüber hinaus lehnt Bourdieu die traditionelle Literatursoziologie als reduktionistisch ab, da sie die Vermittlungsebenen zwischen Literatur und Gesellschaft ignoriere. Ihm ist der soziale Sinn ästhetischer Positionen wichtig, nicht der soziale Gehalt literarischer oder programmatischer Texte. (Baasner, 234f.)

26. Die Konzeption der relativen Autonomie des literarischen Feldes ist verknüpft mit der Analyse literarischer Autonomisierungsprozesse im 19. Jahrhundert. Das literarische Feld ist ein Kraftfeld, das seine spezifischen Handlungsregeln bereithält.

Das literarische Feld ist Teilsystem des kulturell-intellektuellen Felds. Dieses unterscheidet sich nicht prinzipiell, sondern in der Art der produzierten Güter und der funktionalen Gewichtung von anderen Teilen der Gesellschaft und ist mit diesen über Homologien verbunden. Exogene Einflüsse und Anforderungen werden nach der Logik des Feldes re-interpretiert. (Baasner, 235)

27. Bourdieu beschäftigt sich zwar in einer umfassenden Konzeption mit der Strukturierung des literarischen Feldes und den in einer Gesellschaft ablaufenden ästhetisch-kulturellen Positionskämpfen, seine eigene Forschungspraxis beschränkt sich zunächst jedoch auf Schriftsteller als individuelle oder Schriftstellergruppen als kollektive Akteure. (Baasner, 235)

28. Wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche ist das literarische Feld ein Raum des Kampfes mit spezifischen Mitteln. Die Anbindung der Literatur an die Sozialwelt ist sowohl ökonomisch als auch symbolisch vermittelt: kulturelle Güter sind gleichzeitig Ware und Bedeutung, sie haben einen symbolischen und einen ökonomischen Tauschwert. Literarisch-ästhetische Normen sind Akkumulationsort kulturellen und sozialen Kapitals, wobei die maximale Entfernung des Literaturprogramms von heteronomen ästhetischen Standards mit der maximalen symbolischen Wertschätzung einhergeht. Mit anderen Worten: je stärker und expliziter ein ästhetisches Programm um Vorstellungen von Autonomie zentriert ist, desto ‘künstlerischer’ erscheint es und wird auch so rezipiert. Autonomie ist dabei ein Postulat des Programms, Merkmal der Positionsnahme, keine tatsächliche Verweigerung der ökonomischen und symbolischen Verwertung. (Baasner, 236)

29. Als Kanonisierungsinstanzen rücken vor allem Akademie und Universität ins Blickfeld, die Autorität dieser Legitimationsinstanzen bestimmt Kräftestrukturen des Felds, die Beziehung der einzelnen Autoren oder Gruppen von Autoren zu diesen Instanzen deren Position. Der Kanon interessiert also vor allem als Deutungskanon. Die genannten Instanzen treten auf als Hüterinnen der orthodoxen Kultur, der hegemonialen Ästhetik, ihre Ausrichtung ist (auf-)bewahrend, konservativ.

In der Kunst der Moderne ist das Innovationspostulat selbst Element der orthodoxen Ästhetik: jeder Traditionsbruch bedient somit ebenfalls wieder die Tradition. (Baasner, 236)

30. Bourdieu unterscheidet zwischen einem stark marktorientierten Raum der Produktion kultureller Massenware und einem Sektor der ‘begrenzten Produktion’, der diesem eigene (ästhetische) Normen entgegensetzt. Dabei scheint eine Reziprozität zwischen symbolischer und ökonomischer Wertzuweisung zu bestehen; das ästhetisch hochgewertete Kunstprodukt ist elitär, mit seiner Verbreitung, mit seiner Akzeptanz schwindet der symbolische Wert. Als Distinktionskriterium wird eine bestimmte Literatur dann unbrauchbar, wenn alle an ihr partizipieren. (Baasner, 236f.)

31. Ästhetische und soziale Distinktion. Bourdieu formuliert mit seinem Konzept der Distinktion eine Gesellschaftstheorie des Ästhetischen und der Ästhetik. Er kennt vier grundsätzliche Positionen, die gegenüber der kulturellen Doxa bezogen werden können: Orthodoxie, Heterodoxie, Paradoxie, Allodoxie. Die erfolgreiche Akkumulation kulturellen Kapitals besteht nicht notwendig im Anschluss an Tradition, dem sozialen Status entsprechend kann die ostentative Verweigerung kultureller Anpassung ebenso gruppenbildend wirken. (Baasner, 237)

32. Erfolgreich ist kulturelle Kommunikation nicht durch erfolgten Kunstgenuss, sondern durch die souveräne soziale Positionierung, die durch sie erreicht wird. Das adäquate Verständnis für Kunst beruht auf der Kenntnis ihrer sozialen Gebrauchsweisen und nicht auf einem inhärenten Geschmacksvermögen. Die Unterwerfung unter die kulturelle Doxa ist aber auch auf der Rezipientenseite keineswegs der Königsweg. Im Gegenteil ist die überzogene Anpassungsleistung des Kleinbürgertums sowohl Zeichen von Entfremdung und Selbstunterwerfung als auch von Misserfolg gekennzeichnet: die zum Mainstream gewordene Hochkultur bedeutet eben nicht die selbstbewusste Teilhabe an der bestimmenden kulturellen Praxis, sondern deren Imitation. (Baasner, 237)

33. Die Kultursoziologie von Pierre Bourdieu stellt die funktionale Einbindung aller kulturellen Gebilde in das Geflecht gesellschaftlicher Hierarchien in den Mittelpunkt des Interesses. Deren besonderer Erkenntniswert besteht darin, dass eine ausgefeilte soziologische Gesellschaftstheorie in aller Radikalität auf „Textwelten“ angewandt wird. Das fiktionale Szenario wird als eines der sozialen Welt analysiert, und es kann nachfolgend gesehen werden, in welcher Relation Textwelt, Vorstellungswelt des Autors und sein reales Umfeld zueinander stehen. (Dörner/Vogt, 88)

34. Moderne Gesellschaften strukturieren sich für Bourdieu nicht nur nach Klassen, sondern auch nach den Dimensionen „Kapital“, „Feld“ und „Habitus“. Bourdieu sieht im Medium des Kapitals das wichtigste soziale Einflussmittel. Mit „Kapital“ meint er nicht nur im herkömmlichen Sinn ökonomisches Kapital, sondern auch soziales (Verwandtschaft, Beziehungen), kulturelles (Bildung, Titel, Sprachkompetenz) und schließlich symbolisches Kapital (Umgangsformen, Kleidung, aber auch Ehre, Reputation, Prestige).

Wie die Systemtheoretiker geht auch Bourdieu davon aus, dass sich in der Moderne eine Differenzierung von eigenständigen Handlungsbereichen mit jeweils eigenen Regeln und Legitimationsnormen vollzieht. Diese verschiedenen gesellschaftlichen ‘Felder’ strukturieren sich nach jenen Macht- und Einflussbeziehungen, die sich aufgrund der unterschiedlichen Verteilung von verschiedenen Kapitalsorten konstituieren und den Positionen bzw. den sie ausfüllenden Personen so ihren jeweiligen Ort im Gesellschaftsgefüge zuweisen. Untereinander stehen die verschiedenen Felder ebenfalls in einer strukturhomologen Beziehung: große Macht auf einem Feld erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass man auch auf einem anderen Feld ein gewichtiges Wort mitreden kann. (Dörner / Vogt, 88f.)

35. Um den geheimen Abstimmungsmechanismus zwischen Gesellschaft und Individuum auch terminologisch herauszustreichen, verwendet Bourdieu den Begriff des „Habitus“. Damit ist eine komplexe, im Prozess der klassenspezifischen Sozialisation erworbene Matrix von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmustern gemeint. Der Habitus steuert unser individuelles Handeln, ohne dass wir uns überhaupt einer solchen Steuerungsgröße bewusst wären. Auf diese Weise vollzieht sich eine Inkorporierung gesellschaftlicher Strukturen in den Menschen hinein. Sinnlich faßbar wird das überall dort, wo sich tatsächlich eine klassenspezifische Körperlichkeit in Haltung, Mimik und Gestik ausdrückt. (Dörner / Vogt, 89)

36. Literarische Textwelten lassen sich mit dieser ‘Brille’ des Soziologen wie Sozialwelten analysieren: Welche Figuren erreichen mit welcher Kapitalausstattung welche Position im Feld?

Welche Kapitalformen sind überhaupt wirksam, Geld, Prestige, Ehrenzeichen usw.? Textwelten sind als Zeichenräume interpretierbar, in denen unterschiedliche Lebensstile und Habitusformen aufeinander stoßen.

Der Künstler selbst löst sich im Text durch seine Literaturproduktion und seine fiktiven Welten aus allen sozialen Determinationen heraus. Flaubert, so Bourdieu, versucht auf diese Weise seine eigene Position als Autor in der Fiktion ‘aufzuheben’. Interessant wird die Analyse dort, wo man das Verhältnis zwischen Textwelt und sozialer Welt untersucht: sind sie homolog oder unterschiedlich strukturiert? Ist im Text eine illusorische oder kritische Gegenwelt, eine Utopie oder ein Mythos gestaltet? (Dörner/Vogt, 89)

37. Rezeption. Eine Soziologie der literarischen Rezeption hat zu klären, inwieweit Rezeptionsprozesse gesellschaftlich ‘produziert’ sind.

Im Mittelpunkt des Interesses stehen Rezeptionsprozesse und Fragen nach der gesellschaftlichen Funktion von ästhetischen Objekten in der Soziologie Pierre Bourdieus. Wenn man den Bereich der literarischen Rezeption in soziologischer Sicht thematisiert, so ist als erstes zu betonen, dass jeder Rezeptionsakt einen bestimmten Wahrnehmungs- und Entschlüsselungscode enthält. Was der Leser aus einem Text macht und was nicht, das ist abhängig von seiner kulturellen Sozialisation und literarischen Bildung. Literaturkompetenz ist insofern klassenmäßig verteilt, als sie erstens in primärer Sozialisation in der Familie erworben und zweitens über klassenspezifisch strukturierte Bildungsinstitutionen vermittelt und eingeübt wird.  (Dörner/Vogt, 90)

38. Während der gebildete Leser sofort den ‘frühen Hölderlin’ oder den ‘späten Goethe’ erkennt, steht der ‘Ungebildete’ verständnislos vor einem eigentümlich formulierten Gebilde, das sein Gefühl der Fremdheit auch gegenüber den ‘gebildeten Kreisen’ noch verstärkt. So wie die Chancen auf die Aneignung entsprechender Kompetenzen klassenspezifisch verteilt sind, so wirken sie andererseits als eine Form kulturellen Kapitals an der zeichenhaften Zementierung der Klassengrenzen mit. Der souveräne Umgang mit ‘literarischem Kulturgut’ ermöglicht es den höheren Klassen, sich von den unteren sichtbar zu unterscheiden und die so zum Ausdruck kommenden hierarchischen Positionen zu legitimieren.

Die Pointe des Ansatzes besteht darin, kulturelle Praktiken nicht isoliert, sondern als Element spezifischer Geschmacksformen oder Lebensstile zu betrachten. Vorlieben für Musik, Kleidung, Design, Essen und Literatur stehen in einem systematischen Zusammenhang. Für die Literaturwissenschaft ist daraus die Folgerung abzuleiten, literarische Rezeption nicht mehr losgelöst von anderen Kulturpraktiken zu untersuchen. (Dörner/Vogt, 90f.)

39. Die im Anschluss an Bourdieu formulierte „Feldtheorie“ befasst sich mit dem Kampf um die legitime Benennungsmacht und die daraus resultierende Strukturierung des literarischen Feldes. Die relevanten Positionen werden markiert durch Autoren, Lektoren und Verleger, Kritiker, Publikum, partiell auch Schule und universitäre Literaturwissenschaft sowie schließlich eine Reihe von Akademien, Stiftungen und Institutionen, die Stipendien und Preise verleihen und so über die Verteilung symbolischen und ökonomischen Kapitals in das Feldgeschehen eingreifen.

Die Macht- und Einflussstrukturen des Feldes gehen schon in die Werkstruktur ein.: Jeder Autor hat, bewusst oder unbewusst, konkrete Vorstellungen und Bilder von seinen Mitstreitern im Feld, von möglichen Lektoren, Verlegern, Kritikern und Lesern, die sich in seiner Schreibweise auswirken. Der Autor entwickelt, je länger er sich im Feld aufhält, einen Sinn dafür, welche Position das Feld für ihn vorsieht. (Dörner/Vogt, 96f.)

40. Daneben gibt es auch die Variante, ein Autor sich in eine bestehende Marktlücke hineinschreibt und so die vom Feld definierte Rolle als eine ‘zweite Haut’ anzieht.

Lektoren und Verleger sind die nächsten Stationen auf dem Weg des Manuskripts durch das „Feld“. Durch Ablehnung oder Annahme sowie durch die verlagspolitische Kategorisierung des Werkes bestimmen sie wie eine marktwirtschaftliche Zensurbehörde über die Wirkungsmöglichkeiten und versehen es mit einem Qualitätsstempel. Diese Stempel wirken nach der Veröffentlichung wiederum als symbolisches Kapital, das die Wahrscheinlichkeiten steuert, welcher Kritiker in welchem Medium auf welches Werk eingeht und mit seiner beglaubigten Benennungsmacht dieses symbolische Kapital durch seinen Segen vermehrt oder durch seine Verdammung schmälert. (Dörner/Vogt, 97f.)

41. Selbstverständlich bedenken Lektor und Verleger ihrerseits die möglichen Reaktionen von Kritikern und Publikum mit. Der Antizipationsmechanismus durchzieht das ganze Feld.

Verlage und Autoren haben ja über Lob und Tadel für Kritiker wiederum Einflussmöglichkeiten, so sich schließlich ein komplexes Beziehungsgeflecht und Machtgefüge zwischen den verschiedenen Feldpositionen aufbaut. (Dörner/Vogt, 98)

42. Das gesamte Interaktionsgeflecht des literarischen Feldes kann angesehen werden als ein ständiger Kampf um die Benennungsmacht, um die Macht bzw. Autorität dazu, den Bereich der legitimen Literatur festzulegen und Zugehörigkeit zum Feld zu definieren. Dadurch wird zugleich diejenige Literatur bestimmt, welche zu Zwecken der Distinktion und Lebensstilbildung gebraucht werden kann. Die Klassifikationsfunktion, die das literarische Feld für die Gesellschaft erfüllt, versorgt die verschiedenen Gruppen und Klassen mit hinreichend deutlich unterscheidbarem Zeichenmaterial für deren kulturell-semiotische Positionierung. Die aktuellen Machtpositionen der einzelnen Autoren, Verleger und Kritiker sind dabei immer das Produkt vorangegangener Interaktionsprozesse.

Als Ergebnis einer Reihe von Interaktionsprozessen strukturiert sich das literarische Feld schließlich in eine Dichotomie von ‘hoher’ versus ‘niederer’ Literatur. Im Bereich der hohen Literatur ist das Hauptinteresse der Beteiligten eher auf ein nicht direkt konvertierbares symbolisches Kapital gerichtet: Kommerzieller Massenerfolg gilt geradezu als unfein. Im Bereich der niederen Literatur ist es umgekehrt, kommerzieller Erfolg wird angestrebt, symbolisches Kapital ist Nebensache. (Dörner / Vogt, 98f.)

43. Im Unterschied zu Foucault versteht Bourdieu unter dem Feld nicht ein diskursives Regelsystem, das die Bedingungen der Möglichkeit sprachlicher Aussagen nennt, sondern den agonalen sozialen Raum, innerhalb dessen sich die einzelnen Akteure des jeweiligen Feldes bewegen und in ihrer strategischen Position zu behaupten suchen.

Ersetzt der Begriff des Habitus bei B. in gewisser Weise den des Subjekts, so tritt der von Cassirer hergeleitete Begriff der Relation an die Stelle der Struktur.

Gegen den Vorwurf der Reduktion ästhetischer Fragen auf soziologische Probleme macht B. das Konzept des literarischen Feldes als die Analyse des Raumes geltend, der dem Schriftsteller Flaubert in seiner Zeit zur Verfügung stand, um sich als Subjekt seiner Werke zu etablieren.

B. hat gezeigt,  erst eine soziologische Theorie der Kunst die Autonomie der modernen Literatur zu begründen vermag. (Geisenhanslüke, 133f.)


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