5.03 Konjunktur
1. Aus der Kritik des französischen Strukturalismus heraus
entwickelten sich ab Mitte der 1960er Jahre neuere Ansätze, die einerseits
argumentativ bis zu Saussures Nachlass zurückgehen, andererseits aber die
Theorie des klassischen Strukturalismus in Frage stellen. Sie werden deshalb
entweder als neo- oder als poststrukturalistische Ansätze bezeichnet – ‘neo’,
weil sie sich immer noch auf strukturalistische Modelle beziehen, ‘post’, weil sie
die Ära des klassischen Strukturalismus durch ihre fundamentale Kritik beenden.
Entscheidend ist, dass die kritischen Einwände nicht zur Abschaffung
strukturalistischer Theorie führen, sondern sie nachgerade als Voraussetzung
für die eigene Argumentation weiterhin benötigen. (Baasner, 119) 2. Bis zur Aufnahme der Ideen des Neostrukturalismus in
Deutschland vergingen Jahre, denn vor einer Rezeption und Diskussion des
älteren Strukturalismus fehlte jede Grundlage, um die neostrukturalistische
Kritik verstehen und anwenden zu können. Vor allem die ideologiekritische und
sozialhistorische Ausrichtung der Literaturwissenschaft bot keine Anschlüsse
zum Neostrukturalismus. (Baasner, 121f.) 3. Die amerikanische Variante der Dekonstruktion entstand
in den 1970er Jahren und fand in Deutschland erst zehn Jahre später größere
Beachtung. (Baasner, 125) 4. Nach einer Phase großer Verbreitung in den 80er Jahren
hat sich die D[ekonstruktion] als für sich bestehende Zugangsweise zu Texten
eher erschöpft und ist Verbindungen mit verschiedenen ‘inhaltlich’ geprägten
Positionen wie Feministische Lit.theorie, Psychoanalytische Lit.wissenschaft,
Marxistische Lit.theorie und Postkolonialismus eingegangen, wobei sie als
kritisches Korrektiv essentialistischer Konzepte von Geschlechterdifferenz,
Subjektidentität, gesellschaftlicher Wirklichkeit oder nationaler
Kultureigenschaften fungiert und erstarrte Denkmuster auf die Vielfalt
kultureller Differenzen und Interferenzen öffnet. (Zapf, 83) |