Vorwort
Der Kongress möchte aus dem Blickwinkel der nahenden Jahrhundertwende sowie in der historischen Distanz die Notwendigkeit zeigen, die unfruchtbare Opposition zwischen Moderne und Postmoderne und ihre Fixierung auf einseitige Zerrbilder hinter sich zu lassen, um vielmehr die Kongruenz sogenannter postmoderner Ansätze mit Teilen der Moderne, insbesondere mit dem kritischen Zug der Philosophie und der Kunst der Moderne zu bedenken. Eine Reihe von Beiträgen bilanzieren tatsächlich das facettenreiche Phänomen der Moderne aus heutiger Sicht. So wird Berhnard Waldenfels zur Eröffnung des Kongresses die Zweideutigkeit des "Ordnungsbegriffs" der Moderne beleuchten und darin den Beginn eines sich radikalisierenden Prozesses von paradoxalem Selbst- und Fremdbezug erkennen, jenes Paradoxon, das heutige Formen des Funktionalismus und des Fundamentalismus aufzulösen versucht. Der italienische Philosoph Gianni Vattimo, der mit dem "schwachen" Denken das Ende neuer Fortschrittsprojektionen der Moderne und der dialektischen Hoffnungen auf das Ganze verabschiedet hatte, kündigt mit seinem Abschlussvortrag "Die Philosophie und der Untergang des Abendlandes" eine Gewichtung des kulturellen Erbes der Moderne am Ende dieses Jahrhunderts an. Im Bereich dieser Fragen haben sich wie die Beiträge zeigen, spannende Schwerpunkte gebildet.
Die Sektion Kunst, Kapital, Reproduktion an den Jahrhundertwenden, die in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Düsseldorf anlässlich einer Rodschenko-Ausstellung durchgeführt wird, diskutiert die Aufgabe der Kunst in bezug auf neue (globale) Formen technokratischer Hegemonie, neue Ausgrenzungen, Nationalismen und Fremdbilder. Sie wirft somit die Frage nach der Zukunft der Kultur im Verbund globalisierter Welten auf. Daß diese Frage nicht aus europäischer Sicht allein beantwortet werden kann, zeigt die Bearbeitung von Phänomenen der Moderne aus Lateinamerika. Am Ende dieses Jahrhunderts muss vielmehr über mögliche Formen "postkolonialen" Denkens nachgedacht werden, die den Widerstreit zwischen Zentrum und Peripherie durch Pseudo-Multikulturalität nicht bloß verdecken, sondern als Werkzeug des Toleranz-Denkens anzuwenden vermögen. Den Stellenwert einer solchen Mobilität bringt u.a. Tullio Maranhãos Vortrag zu Heidegger und Lévinas im Amazonas-Urwald auf den Punkt.
Mit der provozierenden Anspielung auf Oswald Spengler kündigt Gianni Vattimo den Willen an, dieser Jahrhundertwende einen anderen Stempel aufzudrücken als jenen des Entzugs und des Verlustes, der im 20. Jahrhundert mit der erschreckenden Geschichte neuer Totalitäten kompensiert wurde. Der italienische Philosoph, der am 1.8.98 den Preis San Casciano dei Bagni für Kulturjournalismus erhielt, spricht im Düsseldorfer Schauspielhaus, um auf die nötige Verbindung von Kulturphilosophie und Medienalltag aufmerksam zu machen. Ein solches Zeichen ethischen Engagements, das allen Beiträgen gemein ist, wird - wie ich hoffe - auch die Postmoderne der Beliebigkeit endgültig verabschieden. Es scheint, als könnte der Kongress, dessen Konzeption sich schon im Ansatz an Jean François Lyotard orientierte, inzwischen zu einer Hommage an den im April diesen Jahres verstorbenen französischen Philosophen werden.
Das Romanische Seminar will akademisches und kulturwissenschaftliches Arbeiten demonstrieren, das interdisziplinäres und grenzüberschreitendes Denken in die Praxis umsetzt und einen gesellschaftsrelevanten Dialog verschiedener Sektoren des Wissens anregt. Dass diese Konzeption von der DFG, dem Wissenschaftsministerium NRW und der Universität großzügig gefördert wurde, ist Zeichen eines wissenschafts- und bildungspolitischen Willens für Mobilität und Erneuerung, das wahrgenommen zu werden verdient.
Eröffnung (Audio)
Fotografien
Ausgewählte Daten zur Person (1998)
Biographische Daten
Vittoria Borsò promovierte an der Universität Mannheim zum Thema der Metaphorik im französischen Roman des 19. Jahrhunderts. Sie habilitierte mit einer Untersuchung über Mexiko: Mexiko jenseits der Einsamkeit. Versuch einer interkulturellen Analyse (1994). Mehrmals war sie Stipendiatin von z. B. der Feodor-von-Lynen- und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Derzeit lehrt sie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf als Lehrstuhlinhaberin (französische, spanische und italienische Literaturwissenschaft). Seit 1998 Dekanin der Philosophischen Fakultät.
Buchpublikationen
Ihre Veröffentlichungen behandeln folgende Gebiete: Kultur- und Diskurstheorien; italienische und französische Literatur; spanische Literatur des 18. Jahrhunderts; hispanoamerikanische Literatur (Argentinien, Mexiko, Peru) und Literaturgeschichte (Mexiko, Venezuela, Kolumbien); Intermedialität (Film, Malerei, Literatur); Gender-Studies am Beispiel der Lyrik von spanischen und lateinamerikanischen Autorinnen.
Forschungs- und Publikationsgebiete:
Literatur und Historiographie im neuen historischen Roman; Theorie- und Philosophietransfer sowie Übersetzungsphänomene (Spanien-Frankreich-Deutschland sowie Lateinamerika-Deutschland).