„In seinen Artikeln verbindet Gianni Vattimo
Nachrichten zum aktuellen Tagesgeschehen mit Überlegungen zum zeitgenössischen
Leben und zur Krise der neuen Generation. Durch Il pensiero debole und
La fine della modernità, zwei programmatischen Aufsatzsammlungen
zur italienischen Postmoderne, wurde Gianni Vattimo zu einem der führenden
Philosophen auf internationalem Niveau. Mit dem Begriff des "schwachen
Denkens" kennzeichnet Vattimo ein philosophisches Programm und einen Denkstil,
die der heutigen Bewußtseinslage entsprechen. Sie verabschieden jene
Seite der Moderne, welche den Entzug des klassischen Totalitätsdenkens
durch neue dialektische Hoffnungen auf das Ganze und durch Fortschrittsprojektionen
zu überwinden suchte. Vielmehr kommt Vattimo zurück auf Nietzsches
und Heideggers Versuch der Überwindung bzw. "Verwindung" der Metaphysik
und verlangt die Verabschiedung von "harten" Kategorien, die den Marxismus
ebenso wie den Kapitalismus des 20. Jahrhunderts inspirierten, um sich
im Gegensatz dazu auf das Werden und das unaufhaltsame Fließen zu
besinnen.
Mit der Zeitlichkeit rekurriert Vattimo
auf jene Erfahrung der historischen Moderne, die Kunst und Literatur kritisch
gegenüber dem utopischen Fortschrittsprogramm der Modernisierung gestimmt
hatte. Das Besondere an Vattimos Rettung moderner Formen ist der Versuch,
den Entzug prämoderner Totalitäten und metaphysischer Gewißheiten
nicht als Mangel zu deuten. Es ist vielmehr die Normierung des "Werdens"
durch die traditionellen, harten Kategorien, die er als Verlust wertet;
die Pluralität des Seienden, die Vielfalt der Sprachspiele und Wissensformen
sowie die Fragmentierung sind für ihn positiv wahrzunehmende Bestände
eines "postmetaphysischen" Zeitalters. Gewiß hat die Philosophie
Vattimos die Ablehnung des Einheitsgedankens moderner Utopien mit der Postmoderne
gemeinsam. Er unterscheidet sich aber von anderen Denkern der Postmoderne
dadurch, daß er die Konzepte der historischen Moderne, wie Subjekt,
Geschichte und Sprache nicht verabschiedet oder als funktionslos deklariert,
sondern metaphysisch nüchtern denkt, d.h. ohne die (auf den Zeitfluß
zurückgehende) Instabilität der Begriffe durch (metaphysisch)
harte Kategorien zu überwinden.
Das "schwache Denken" ist somit ein "fröhlicher
Nihilismus", der aus der Sackgasse jener Postmoderne führt, welche
das Ende der Geschichte, des Subjektes und der Ethik proklamiert hat und
somit - im Gegenzug - auch neokonservative Positionen heraufbeschwörte.
Vattimo sieht die Gründe für das Unbehagen der heutigen Kultur
darin, daß sie noch an "prämodernen" und "modernen" Idealen
und Utopien festhält. Ein radikaler Nihilismus, der die Endlichkeit
hinnimmt, verliert dagegen die nostalgische Komponente, die zu einem nicht
geringen Maße an der Gewalt des 20. Jahrhunderts beteiligt war. In
einer Epoche des Wertewandels bzw. einer Wertekrise bietet das "schwache
Denken" den Horizont für die sinnvolle Gestaltung der Endlichkeit
menschlichen Daseins und Zusammenlebens. Das "schwache Denken" ist der
Kunst und der Literatur kongenial. Es beansprucht, dem Geschehen des Lebens
näher zu stehen als das metaphysische Denken.“
Vittioria Borsò
Fotografien
Ausgewählte Daten zu Gianni Vattimo
Biographische Daten
Gianni Vattimo, geb. 1936 in Turin, studierte in Turin bei Luigi Pareyson, wo er 1959 das Studium abschloß, sowie in Heidelberg bei Karl Löwith und Hans Georg Gadamer, dessen Werke er in Italien bekanntmachte. Von 1964-1969 war er professore incaricato für Ästhetik in Turin. Seit 1982 ist er dort als Professor für Theoretische Philosophie tätig. Als Gastprofessor hat er an verschiedenen Universitäten in den USA gelehrt. Er ist Herausgeber der Rivista di estetica, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats zahlreicher Fachzeitschriften sowie der Accademia delle Scienze in Turin.
Ausgewählte Publikationen
Erschienen sind: Il concetto di fare in Aristotele (1961); Essere, storia e linguaggio in Heidegger, "Filosofia" (1963); Ipotesi su Nietzsche, (1967); Poesia e ontologia, (1968); Schleiermacher, filosofo dell'interpretazione (1968); Introduzione ad Heidegger (1971); Il soggetto e la maschera (1974); Le avventure della differenza (1980); Al di là del soggetto (1981) (dt.: Jenseits vom Subjekt: Nietzsche, Heidegger und die Hermeneutik, übers. von Sonja Puntscher Riekmann (1986)); Il pensiero debole (1983) (a cura di G. Vattimo e P. A. Rovatti); La fine della modernità (1985) (dt.: Das Ende der Moderne, übers. von R. Capurro (1990)); Introduzione a Nietzsche (1985); La società trasparente (1989); Etica dell' interpretazione (1989); Filosofia al presente (1990); Oltre l'interpretazione (1994); Credere di credere (1996). Überdies ist Gianni Vattimo Herausgeber der Zeitschrift Filosofia.
Verweise