Unsere Jahrhundertwende scheint fast identisch
eine Frage zu wiederholen, die schon Dichter und Dramatiker gegen Ende
des letzten Jahrhunderts stellten: Was soll, was kann Theater in einer
Gesellschaft, die selbst zum allumfassenden Theater wird?
Während das letzte Fin de Siècle
das Heraufziehen der Mediengesellschaft und das mögliche Ende der
Buchkultur nur ahnen konnte, befinden wir uns heute auf dem Gipfel dessen,
was Guy Debord als Gesellschaft des Spektakels analysiert hat. Die traditionellen
Funktionen des Theaters scheinen vom Spektakel absorbiert und von Fernsehen
und Internet wahrgenommen zu werden. Zumindest wird dies von weltweiten
Medienereignissen, wie zum Beispiel dem Sündenbockritual mit Präsident
Clinton als Hauptdarsteller nahegelegt. Auch die ästhetischen Revolten
der Theateravantgarden sind heute in das Spektakel integriert. Was könnte
da noch die Funktion des Theaters sein?
Mit Guy Debords Werk - nicht nur der Theorie,
sondern auch seiner künstlerischen und schriftstellerischen Praxis
- sollen in einem ersten Schritt Antworten auf die Herausforderung durch
das Spektakel diskutiert und mit zeitgenössischer Theaterpraxis konfrontiert
werden.
Sie sollen in einem zweiten Schritt zeigen,
daß die Kunst des Lachens und die Kunst des Lesen, die respektive
Stéphane Mallarmé und Alfred Jarry vor hundert Jahren als
Theaterutopien formulierten, auch heute als Strategien des Widerstands
gegen die Homogenisierung durch das Spektakel nicht obsolet geworden sind,
schlagen sie doch gerade die Auseinandersetzung mit dem Anderen in Form
der Schrift und des Lächerlichen als Utopien eines Theaters des subjektiven
Raumes vor. Mallarmés Théâtre du Livre und Jarrys
Theater des anderen Schauplatzes antizipieren mit der Kunst des Lesens
und der Kunst des Lachens Strategien der Auflösung fixer Repräsentationen
und Utopien von Gemeinschaft in der Singularität.
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Ausgewählte Daten zur Person
Biographische Daten
Helga Finter, Professorin am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Universität Gießen seit 1991, Gastdozentin an den Universitäten Venedig und Straßburg.
Publikationen
hat Bücher zum italienischen Futurismus (1980), zu den Theaterutopien
Mallarmés, Jarrys, Roussels und Artauds (Der subjektive Raum,
2 Bde. (1990) und zum Werk Georges Batailles (Bataille lesen.
Die Schrift und das Unmögliche (1992), veröffentlicht.
Zahlreiche
Aufsätze zur Literatur und zum Theater des 20. Jahrhunderts, zuletzt
"Artaud and the Impossible Theatre" in: The Drama Review, 41,4,
1997, "Le Livre de Mallarmé ou le rite du Livre" in Perspectives, Revue de l'Université Hébraique de Jérusalem, 4,
1997, "Theater als Lichtspiel des Unsichtbaren" in: Girshausen/
Thorau (Hrg.), Theater als Ort der Geschichte, (1998) sowie
"Primo Levi's Version of Se questo è un uomo" in: Claude
Schumacher (Hrg.), Staging the Holocaust. The Shoah in Drama
and Performance (1998). Dramaturgien für Produktionen am TAT
(Elke Lang und Frida Parmeggiani) und am Marstall, München (André
Wilms). Theaterkritiken in verschiedenen Zeitschriften in Deutschland,
Frankreich und Italien. Neben dem Avantgardetext und -theater gilt ihr
besonderes Interesse der Ästhetik der Stimme und der Theatralität
des Buches.