Vielleicht sollte und muß man im
Rückblick auf das zuendegehende von dem traumatischen Jahrhundert
sprechen, dem der Weltkriege, Genozide und Massenmigrationen. Die psychologische
Theorie des Traumas jedenfalls weist eine gut hundertjährige Geschichte
auf, in der sie, beginnend mit dem Einbruch der Technik in die Lebenswelt,
die Bedingungen und Folgen von Gewaltverhältnissen reflektiert. Das
Trauma als ein Erleben, das das Subjekt trifft, ohne daß es schon
oder noch "Herr" in seinem Hause ist, weil es lebensgeschichtlich zu früh
oder weil es zu plötzlich oder zu gewaltförmig davon betroffen
ist, wird aber zugleich zur Figur eines Begriffes der Erfahrung der Alterität,
der Verantwortung und der Fiktionalität. (Die Vorgängigkeit des
Anderen ist eine Wunde, die uns verwundbar macht, sie verpflichtet uns
und bindet uns in die Geschichte.)
Drei Theorien erarbeiten diese Ambivalenz,
und sie erarbeiten sie jeweils in der Konfrontation mit einer historischen
Erfahrung, die eben diese hundertjährige Spanne umfaßt: Walter
Benjamins Theorie der Moderne und der Übersetzung, die er an Charles
Baudelaire entwickelt; Emmanuel Levinas' Theorie der Alterität, in
der sich, wie sich auch in seiner Lektüre Paul Celans zeigt, die Shoah
eingeschrieben hat; und Homi Bhabhas Theorie der Hybridität, die -
aus dem Zwischenraum des Postkolonialen heraus geschrieben - eines ihrer
wichtigsten Beispiele in Toni Morrisons Texten findet.
Verbunden sind diese Theorien nicht nur
in dem, was sie im Trauma als Obsession durch den Anderen fassen, sie sind
es auch in dem, was die Psychonalyse Übertragung nennt: "das reale
Ereignis" (Pontalis) der Übertragung des Fremden in uns hinein, die
nichtreversible Gabe seiner Gegenwart, die Unheimlichkeit des Sagens.
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Ausgewählte Daten bis 1998
Biographische Daten
Reinhold Görling studierte in Hannover. Studium und Forschung führten ihn u.a. nach Spanien und Mexiko. Er ist Privatdozent für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Oberassistent am Seminar für deutsche Literatur und Sprache der Universität Hannover.
Ausgewählte Veröffentlichungen
"Das Geschlecht der Gespenster - Literarische Inszenierungen einer ambivalenten Gegen- wärtigkeit", in: Compar(a)ison. An International Journal of Comparative Literature, 2, (1996) 175-190;
"José Lezama Lima (1910-1976)", in: Frauenliebe - Männerliebe. Eine lesbisch-schwule Literaturgeschichte
in Porträts, hg. v. Alexandra Busch und Dirck Linck, Stuttgart (1997) S. 242-247;
"Zirkulationen - Kleiner Prospekt einer interkulturellen Literaturwissenschaft", in: Ist die Germanistik
zeitgenössisch? Vorträge eines deutsch-polnischen Symposiums, hg. v. Hubertus Fischer, Frankfurt/M (1998) S. 69-87;
"Rahmen - Zeuge - Körper: das Feld der performance", in: Wechselspiel: Körper-TheaterErfahrung,
hg. v. Florian Vaßen, Gerd Koch, Gabriela Naumann, Frankfurt/M. (1998) S. 50-62;
"Trauma and Remembrance: The Body as Rhetorical Figure", in: The Poetics of Memory, hg. von Thomas Wägenbaur, Tübingen (1998) S. 305-312;
Heterotopia. Lektüren einer interkulturellen Literaturwissenschaft (1997).
Gegenwärtige Arbeitsschwerpunkte
Interkulturelle Literaturwissenschaft, Literaturtheorie, Psychoanalyse, Kulturanthropologie, Trauma und Erzählung im 20. Jahrhundert, Spanische und lateinamerikanische Literatur der Gegenwart.