Jenny Golindano

Ethnologin · Kulturwissenschaftlerin

Frauen im Exil
von Jenny Golindano

Warum ueber Frauen im Exil, warum nicht allgemein ueber Frauendiskriminierung schreiben? Wird nicht jede Frau in gleicher Weise diskriminiert?

Tatsaechlich sind Migrantinnen einer doppelten Form der Diskriminierung ausgesetzt, naemlich als Geschlecht und als Rechtsperson.

Genau auf diesen Punkt zielt die Kritik des schwarzen Feminismus und der Migrantinnen. Sie werfen dem weißen Feminismus des Westens vor, die besondere Lage der Migrantinnen vernachlaessigt zu haben. Migrantinnen fuehlen sich in deren Diskursen und Forderungen sich nicht vertreten. (Eine Reihe Theoretikerinnen haben sich mit dieser Problematik beschaeftigt; siehe Literaturliste.)

Besonders zu erwaehnen sind in diesem Zusammenhang die Schriften von Gutiérrez. Sobald Kategorien wie "Nationalitaet", "Ethnizitaet", "Migrantinnen" oder kulturelle/ethnische Differenzen auftauchen, wird - so Guti´rrez - von der feministischen Theorie unterstellt, dass es sich um einen Sonderfall handele, der nicht mit der Kategorie "Frau" erfasst werden koenne.

Auch weist Gutiérrez darauf hin, dass immer noch Studien in der deutschen Frauenforschung durchgefuehrt werden, die rassistische und ethnisierende Hierarchisierungsprozesse unbeachtet lassen. Untersuchungsobjekt dieser Studien sind "weiße Frauen", die von rassistischer Diskriminierung nicht betroffen sind. Ihre Hautfarbe oder ihre Nationalitaet wird nicht als wesentlich fuer ihre gesellschaftliche Position in diesen Studien betrachtet.

screenshot berlineses

Die Texte und Beitraege von Migrantinnen, werden nicht als Ausdruck eines aktuellen gesellschaftlichen Zustands registriert, sondern als Beispiele fuer eine spezifische Situation, als partikulaere Faelle. Damit werden ihre Beitraege zum Rassismus zum Sonderproblem, das nur auftritt, wenn von schwarzen Frauen oder von Migrantinnen die Rede ist.

screenshot berlineses

In diesem Kontext stellt die Gutiérrez fest, dass weiße Europaeerinnen oder weiße Deutsche aufgrund ihrer Hautfarbe und ihrer Nationalitaet Privilegien genießen, die sie in ihrem Alltag als Selbstverstaendlichkeit erfahren. Sie muessen nicht bei jedem Grenzuebertritt innerhalb der EU ihren Pass vorzeigen, auch wird man ihnen bei einem Bewerbungsgespraech in den meisten Faellen anders begegnen; ganz zu schweigen von den Blicken auf der Straße, mit denen schwarze Frauen tagtaeglich konfrontiert sind, und denen die weißen Europaeerinnen in dieser Form nicht ausgesetzt sind.

Weiße Hautfarbe zu haben und einen europaeischen Pass ermoeglicht einige Bevorzugungen, die oft als selbstverstaendlich betrachtet werden. Eben auf diese Selbstverstaendlichkeit, die sich im Alltagsdiskurs offenbart, muss aufmerksam gemacht werden, denn wie Gutiérrez bemerkt: Es sind nicht die Individuen, die Identitaeten schaffen, sondern es ist das Resultat von gesellschaftlichen Zwangslogiken, in die wir als Person eingebunden sind.
Auf diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Migrantinnen in der Oeffentlichkeit agieren und sich artikulieren koennen, wenn die Moeglichkeiten des Sprechens und des Zuhoerens in diesem Raum ungleichmaeßig bis gar nicht verteilt sind?.

Ich habe zu Anfang erwaehnt, dass Migrantinnen sowohl als Geschlecht wie als Rechtsperson diskriminiert werden bzw. sich diskriminiert fuehlen.

Viele Migrantinnen sind im Gegensatz zu deutschen Frauen und Maennern im besonderen Maß auf den Zusammenhalt ihrer Familie angewiesen. Fuer viele Migrantinnen ist deshalb die Notwendigkeit eines familiaeren Zusammenhangs ausgepraegter als bei deutschen Frauen.

Dies ergibt sich aus folgenden, gesellschaftlich und religioes bedingten Umstaenden:

Ein wichtiger Grund fuer die Diskriminierung liegt in dem Dogma, das durch das AuslG festgeschrieben wurde, dass naemlich ein Migrant dem Steuerzahler nicht zur Last fallen duerfe, dass Hilfsbeduerftigkeit also grundsaetzlich aufenthaltsvernichtend wirkt, wenn die MigrantInnen nicht eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung besitzt.

Dabei wird vollkommen ignoriert, wie viel sie insgesamt zum Bruttosozialprodukt beigetragen haben.

Außerdem wird an dem Stereotyp der rueckstaendigen, isolierten und hilfsbeduerftigen Migrantin festgehalten, die nicht arbeite. (Dabei waere uebrigens zu beruecksichtigen, dass viele Migrantinnen nach ihrer Einreise einem Arbeitsverbot unterliegen.)

Es wird oft an das Klischee geglaubt, dass Migrantinnen Familie und Beruf fuer unvereinbar halten. Die Belastung von Migrantinnen in Gegensatz zu deutschen Frauen ist allerdings deutlich hoeher, da viele frueh heiraten und Kinder haben. Bei den Migrantinnen unter den erwerbstaetigen Frauen handelt es sich meist um Muetter. Damit steht ihnen nur ein sehr begrenzter Arbeitsmarkt zur Verfuegung. Wenn ein Arbeitsverhaeltnis zu Stande kommt, dann handelt es sich haeufig um ungesicherte Arbeitverhaeltnisse mit unterdurchschnittlichen Loehnen.

Die hier aufgefuehrten Fakten zeigen gewiss nur einen kleinen Ausschnitt aus der Migrantinnen-Problematik insgesamt, aber ich hoffe, auf diesem Weg dazu beigetragen zu haben, dass uns am Ende des Kongresses ein tieferer Einblick in dieses weite Problemfeld ermoeglicht wird.

Literaturliste

Anzaldúa, Gloria (1987): Borderlands - La Frontera. San Francisco.
Anzaldúa, Gloria (1990): Haciendo Caras - Making Faces. San Francisco.
Castro Varela, Maria del Mar/Gutiérrez Rodríguez, Encarnación (1999): Queer Politics im Exil und der Migration. In: Beger,Nico/Engel, Antje/Hark, Sabine/Genschel, Corinna (Hg.): Queering Demokratie. (i.E.)
Derrida, Jacques (1991): Die différance. In: Engelmann, Peter (Hg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Stuttgart. S. 76-113.
FeMigra (Akin/Apostolidou/Atadiyen/Güran/Gutiérrez Rodríguez/Kanat/Kutz/Mestre Vives) (1994): Wir, die Seiltänzerinnen. In: Eichhorn, Cornelia/Grimm, Sabine (Hg.): Gender Killer. Amsterdam/Berlin. S. 49-63.
Frankenberg, Ruth (1996): Weiße Frauen, Feminismus und die Herausforderung des Antirassismus. In: Fuchs, Brigitte/Habinger, Gabriele (Hg.): Rassismen und Feminismen. Differenzen, Machtverhältnisse und Solidarität zwischen Frauen. Wien. S. 51-66.
Fraser, Nancy (1997): Justice Interruptus: Critical Reflections on the "Postsocialist" Condition. New York.
Gramsci, Antonio (1996): Aufzeichnungen und verstreute Notizen für eine Gruppe von Aufsätzen über die Geschichte der Intellektuellen, Paragraphen 1-3. In: Gefängnisbriefe. Bd. 7. Heft 12 bis 15. Hamburg. S. 1497-1532.
Gutiérrez Rodríguez, Encarnación (1996): Eine Frau ist nicht gleich Frau, nicht gleich Frau, nicht gleich Frau ... Zur Notwendigkeit ... In: Fischer, Ute-Luise u.a. (Hg.): Kategorie: Geschlecht. Opladen. S. 163-190.
Gutiérrez Rodríguez, Encarnación (1999): Intellektuelle Migrantinnen - Subjektivitäten im Zeitalter von Globalisierung. Eine postkoloniale dekonstruktive Analyse von Biographien im Spannungsverhältnis von Ethnisierung und Vergeschlechtlichung. Opladen.
Popoola, Olumide/Sezen, Beldan (1999): Talking Home. Amsterdam.