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friedrich a. kittler

farben und/oder maschinen denken

Friedrich A. Kittler

Farben und/oder Maschinen denken (Auszug)

"(...) Es ist kaum fünfzig Jahre her, daß die ersten gebauten Computer schlichtweg nur Ziffern kannten. Input und Output bei ihnen bestanden aus nackten Binärzahlen, was Gründerhelden wie Turing, die Zeichensalat auch noch lesen konnten, mit verhohlenem Stolz erfüllte. Spätere Betriebssysteme wie etwa UNIX haben diese nulldimensionale Bitoberfläche, aus Rücksicht auf die altehrwürdigen Gewohnheiten von Alphabet und Dezimalsystem, um eine einzige, also eindimensionalen Kommandozeile erweitert. Wieder eine Dekade später ging aus den weltweiten Kopiergebühren, die die Xerox Company in ihr Forschungsinstitut am Dorfrand von Palo Alto investierte, die heute übliche Mensch-Maschinen-Schnittstelle hervor: eine zweidimensionale Bedienungsoberfläche, deren Effekt eine erste Kompatibilität auch zwischen Zahlen und Figuren war. Heute schließlich, nachdem die Schreibtische der ersten Welt mit 2D-Computern gesättigt sind, investiert die gesamte Elektronikindustrie Milliarden in Multimediaprojekte, die erstens zur Anschaffung neuer Computergenerationen einladen und zweitens Kompatibilität auch mit Bildern und Klängen heraufführen soll. So könnte es im Prinzip, von Dimension zu Dimension, immer weiter gehen, wäre die virtuelle Realität menschlicher Sinne nicht auf vier Dimensionen von Raum und Zeit beschränkt. Sicher ist zumindest, daß bei dieser Explosion der Computerschnittstellen und ihrer Dimensionen alle anderen Unterhaltungsmedien, aber wahrscheinlich nicht nur sie, im Supermedium Computer implodieren werden.

Die Effekte dieser Explosion bleiben auch nicht im Technologischen oder gar Kommerziellen stecken. Weil Kulturen, die Sache also der Geisteswissenschaften nicht auf individuellen Intentionen beruhen, sondern auf all den Medien, die auf der Basis natürlicher Sprachen möglich werden, treten im erst im alphanumerischen Licht des modernen Maschinenparks ihre Grenzen zutage. Vor hundertzwanzig Jahren, als der kalifornische Eisenbahnkönig und Gouverneur Leland Stanford senior jenes berühmte Experiment befahl, dessen Kombination von Pferdebeinen und Hochgeschwindigkeitskameras schließlich zum Film führen sollte, mußte der größte Pferde- und Schlachtenmaler der Epoche schließlich die Niederlage seiner Kunst eingestehen. Heute verschieben die Medientechnologien, die auf der Basis formaler Sprachen errichtet sind, noch viel radikaler die Grenzen zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen, dem Denkbaren und dem Undenkbaren. Jeder, der einmal versucht hat, die fuzzy logic seiner Einsichten und Absichten in Computerquellcode zu gießen, weiß aus bitterer Erfahrung, wie einschneidend die formale Sprache dieser Codes diese Ein- und Absichten selber verformt. Sie sind in der Implementierung so gut wie verschwunden. Und schon weil diese Rückkopplungsschleife eher von der Maschine zum Programmierer als umgekehrt führt, können Computer nicht auf Werkzeugbegriffe gebracht werden. Deshalb ist, um universale Maschinen zu denken, der späte Heidegger einschlägiger als der von "Sein und Zeit". Der Vortrag "Die Frage nach der Technik" räumt zwar ein, daß "die gängige Vorstellung von der Technik, wonach sie ein Mittel ist und ein menschliches Tun", für alltägliche Zwecke "richtig bleibt" (VA 14). Aber dieses Zugeständnis nimmt der späte Heidegger, gerade umgekehrt zum Verfahren von "Sein und Zeit", sofort wieder zurück mit dem Satz, daß "die Technik nicht bloß ein Mittel" ist, sondern "eine Weise des Entbergens" (VA 20). Das heißt ganz konkret, "die in der Natur verborgene Energie aufgeschlossen, das Erschlossene umgeformt, das Umgeformte gespeichert, das Gespeicherte wieder verteilt und das Verteilte erneut umgeschaltet wird". Woraufhin Heidegger, als habe er eben den Schaltkreis erfunden, zum Schluß kommt: "Erschließen, umformen, verteilen, umschalten sind Weisen des Entbergens" (VA 24).

Was Wiener Shannons Verrücktheit nannte, muß genau diese Entdeckung gewesen sein. Als junger Student am Massachussetts Institute of Technology soll Shannon die zugleich einfachste, eleganteste und nutzloseste aller digitalen Maschinen konstruiert haben. Die Maschine hatte nur einen Schalter mit den zwei Aufschriften "ON" und "OFF". Wenn Freunde Shannon besuchten, stand der Schalter immer auf "OFF". Wenn die Freunde verspielt waren, legten sie den Schalter auf "ON". Daraufhin öffnete sich der Maschinendeckel, eine künstliche Hand kam hervor, tastete nach dem Schalter, legte ihn wieder auf "OFF" und verschwand unter dem Deckel, der sich wieder schloß..."

Auszug zitiert nach der Version in: Eckhard Hammel (Hrsg.): Synthetische Welten. Kunst, Kuenstlichkeit und Kommunikationsmedien, Essen: Verlag Die Blaue Eule, 1996, S. 119-132 (ISBN 3-89206-598-5)