Christian G. Pätzold @ CultD

Inhalt Vorwort Teil I.1-2 Literatur

Christian G. Pätzold
Von der menschlichen Arbeit

Dissertation am FB Wirtschaftswissenschaft der FU Berlin, 1988


Vorwort

Das Leben der Menschen hängt an Bedingungen, von denen die einen schon von Natur erfüllt sind, während andere den Einsatz menschlicher Aktivität erfordern. Die Erde, auf der wir uns bewegen, die Luft, die wir atmen, sind ohne unser Zutun da. Arbeit dagegen ist eine Äußerung der durch das Leben selbst geforderten Aktivität, denn das Leben kann nur bestehen, wenn für die fundamentalen menschlichen Bedürfnisse, wenn für Nahrung, Wohnung und Kleidung gesorgt worden ist. Die Natur weist die Menschen darauf hin, dass sie um ihres Lebens willen die von Natur gegebenen Bedingungen erhalten und die darüber hinaus notwendige Tätigkeit so organisieren sollen, dass das menschliche Leben nach Möglichkeit erleichtert wird.

Genaugenommen ist Arbeit die einzige Aktivität, die absolut notwendig ist, um das einmal existierende Leben zu erhalten; sie ist daher die für die Erhaltung des menschlichen Lebens zentrale Tätigkeit. Auch alle anderen Lebewesen, die irgendwie beweglich sind, sehen sich der Notwendigkeit der Nahrungssuche gegenüber, während unbewegliche wie die Pflanzen auf die Nahrung angewiesen sind, die sie an ihrem Standort vorfinden. Die Aktivität der Nahrungsbeschaffung ist die Konsequenz der Beweglichkeit von Lebewesen. Beweglichkeit bringt einen Überlebensvorteil, indem sie die Möglichkeit zur Arbeit, und damit zur Nahrungsbeschaffung erweitert. In ihrem Ziel betrachtet dient die menschliche Arbeit wie die entsprechende Aktivität der Tiere zwar auch der Versorgung mit Nahrung und den zum Leben notwendigen Dingen; aber als Grundlage der menschlichen Kultur hat sie eine andere Qualität, die eine Unterscheidung nötig macht.

Auf die existentielle Rolle der Arbeit weist die Genesis hin, die die Mühen der Arbeit den Männern und die Schmerzen der Geburt den Frauen auferlegte. Sieht man diese alte Legende lediglich als eine patriarchalische Konstruktion, so könnte man meinen, diese Verteilung der Funktionen auf die Geschlechter habe der Apologie der Männer gedient, zum Ausgleich für die ihnen fehlende Gebärfähigkeit. Das mag sein; aber diese Geschichte enthält gleichzeitig die richtige Beobachtung, dass Arbeit auch ein Schöpfungsakt, dass sie ebenfalls ein Akt des mühevollen Hervorbringens ist. In dem Bild der verfluchten Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau werden die zwei grundsätzlichen Bedingungen des Lebens, die zwei Arten der Erzeugung zusammengestellt: Die Hervorbringung neuen Lebens im Gebären und die Bewahrung des vorhandenen durch Arbeit, die Reproduktion der Art sowie die Erhaltung des Einzelnen. Liebe und Arbeit sind die beiden zentralen Quellen der menschlichen Existenz. Und Arbeit, das Am-Leben-Erhalten des Einzelnen ist die Voraussetzung für das Weiterleben der Art.

Die verschiedenen Aspekte oder Ebenen des Interesses, die mit Arbeit verbunden sein können, die möglichen Ursachen, die Arbeit zum Problem werden lassen, sind zu unterscheiden und zu beschreiben. Eine dieser Schichten liegt in der Rolle, die Arbeit gegenüber der Natur als Tätigkeit der Nahrungsbeschaffung für das menschliche Leben spielt. Dieser Aspekt lässt sich als die ontologische Dimension von Arbeit bezeichnen, da mit ihr die Grundlagen des Lebens berührt sind. Die Frage ist, wo die Probleme mit der Arbeit jeweils ihre Ursache haben. In der Natur liegt eine dieser Ursachen: Man muss arbeiten, um zu leben, und mit diesem Zwang ist ein erster Aspekt des Arbeitsproblems angesprochen; ein zweiter ist die Gesellschaft. Durch Arbeit erhalten die Menschen sich nicht nur am Leben, sondern sie bewirken damit noch mehr: Sie entwickeln in der Arbeit das gesellschaftliche Verhältnis, sie schaffen einen Bereich der Zusammenarbeit und sich selbst als gesellschaftliche und kulturelle Lebewesen. Sie bestimmen mit ihrer Arbeit auch die Art, in der sie sich am Leben erhalten, ihre Lebensqualität. Arbeit ist daher gleichzeitig eine gesellschaftliche Kategorie, deren Inhalt sich im Lauf der Zeit verändert. Sie ist eine variable Größe je nach dem Grad der Entwicklung des Verhältnisses zwischen den Menschen und der Natur, ein Verhältnis, dessen Grundlage der Arbeitsprozess selbst ist. Die menschliche Geschichte kann daher in ihrem Wesen als erarbeitete Geschichte begriffen werden, als Geschichte der verschiedenen aufeinander folgenden Prozesse der Auseinandersetzung mit der Natur, Phasen der Technik und Arten der Arbeitsorganisation, die verschiedene Formen des Überbaus, von Institutionen, Formen des Eigentums, des Rechts, der Machtverteilung und der Weltanschauungen bedingten. Zu diesen beiden Ebenen der Formulierung, der ontologischen und der historisch-gesellschaftswissenschaftlichen, kommen weitere hinzu.

Als Inhaltsplan ergab sich aus diesen Überlegungen folgendes: Im ersten Teil, der die Grundlagen der Untersuchung enthält, werden die möglichen Formulierungsebenen des Arbeitsproblems unterschieden. Arbeit kann, wie jedes Verhalten, durch die Natur, die Gesellschaft, den menschlichen Körper, durch Leidenschaften und moralische Vorstellungen motiviert sein. In den folgenden vier Teilen wird jeweils eine dieser Ebenen untersucht. Teil zwei befasst sich mit der wesentlichen Funktion der Arbeit für das menschliche Leben, mit ihrer Bedingtheit durch die äußere Natur. Im einzelnen beinhaltet dieser Teil Bemerkungen zum Arbeitsbegriff, zur Notwendigkeit, zur Entwicklung des Bewusstseins in der Arbeit und zu der Dialektik, die mit dem Fortschreiten der kulturellen Tätigkeit verbunden ist. Im dritten Teil wird die gesellschaftliche Ebene des Arbeitsproblems analysiert. Heute hat sich die Situation ergeben, dass der Zugang zur Arbeit nur noch über den Arbeitsmarkt möglich ist. Die Fragen der Lohnarbeit und der Arbeitslosigkeit stehen daher im Mittelpunkt dieses Abschnitts. Der vierte Teil behandelt den Zusammenhang zwischen kultureller Arbeit und der menschlichen Triebstruktur, insbesondere die Frage, ob Arbeit als durch Triebe oder Instinkte verursacht verstanden werden kann oder ob in ihr, wie es der herrschenden Meinung entspricht, eine Form der Unterdrückung oder bestenfalls Sublimierung von Triebenergie zu sehen ist. In diesem Zusammenhang werden auch diejenigen Projekte untersucht, die mit der Tendenz zur Automatisierung der Produktion eine Zukunft ohne Arbeit ins Auge fassen. Der abschließende fünfte Teil befasst sich mit den ideellen Vorläufern der verschiedenen Arbeitslast- und Arbeitsleidkonzepte. Er enthält insbesondere eine knappe Zusammenfassung, Systematik und Erklärung der Phasen, die die europäischen Arbeitsperspektive in ihrer Geschichte durchlaufen hat.

Die Schwierigkeiten mit der Arbeit bedürfen in einer Zeit, in der überall über Arbeitslosigkeit, über Wege zur Erhöhung der Beschäftigung, über die Qualität der Arbeit und über Arbeitszufriedenheit gesprochen wird, keiner weiteren Betonung. Die moderne Gesellschaft ist viel eher eine Arbeitsgesellschaft als ihre Vorgängerinnen in dem Sinn, dass unter marktwirtschaftlichen Verhältnissen jeder darauf achten muss, dass sich seine persönliche Arbeitskraft verkauft. Arbeit ist daher viel problematischer und stärker im Blick als in traditionellen Gesellschaften, in denen die Rollen und Tätigkeiten durch Überlieferung, durch Kastenordnungen und Tabus vorgezeichnet sind und die Möglichkeiten und Anforderungen der Arbeit relativ konstant bleiben. Nachdem die marktwirtschaftlichen Strategien der Therapie nur zu chronischen Leiden geführt haben, dürfte eine Verbesserung am ehesten in einer stärker gesellschaftlichen Organisierung der Arbeit zu finden sein.

Für die folgenden Überlegungen waren zwei Absichten maßgebend: Alles, was über Arbeit bemerkt worden ist, sollte gesammelt und untersucht werden. Irgendein Ergebnis war im vorhinein nicht in Sicht. Am Beginn stand nur die vage Vermutung, dass die Probleme mit der Arbeit weiter geklärt werden können. Mit der Zeit ergab sich aus dieser Beschäftigung die beschriebene Ordnung der verschiedenen Formulierungsebenen des Arbeitsproblems, schließlich der Versuch, die Ergebnisse möglichst klar und ansprechend darzustellen.

Eine zweite Absicht - möglichst vorurteilsfrei an das Thema heranzugehen - ergibt sich aus dem Charakter der Arbeit selbst. Arbeit verführt zu extremen Stellungnahmen, zur Heroisierung oder Dämonisierung, zur Überbewertung oder Unterschätzung ihrer Bedeutung. Weder mit rastloser Arbeit noch mit der Befreiung von ihr lassen sich die menschlichen Probleme lösen. Arbeit ist ein vorbelastetes Thema. Vielen, vielleicht den meisten erscheint sie als eine düstere Angelegenheit, die man möglichst schnell hinter sich bringen sollte, um sich angenehmeren Beschäftigungen widmen zu können. Andere finden ihren Beruf interessant, sehen in der Arbeit die Möglichkeit, ihr Leben sinnvoll auszufüllen. Aber Freude an der Arbeit ist wahrscheinlich ein Gefühl, das nicht leicht zu finden ist.



↑ top