Berlin im März 2008
Rückkehr
Sonderbar ist so eine Rückkehr aus Indien. Es ist so still hier in Deutschland, selbst in Berlin. Die Luft weht klar und sauber über gereinigte Straßen, kaum Staub, auch wenn es gerade einmal nicht regnet.
Die Menschen schauen sich nicht an. Sie rennen aneinander vorbei. Jeder scheint mit sich selbst beschäftigt. Oder aber sie schauen verkniffen und sind mit den Hürden der Bürokratie den Entscheidungen der Politik beschäftigt, die ihr Leben in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf den meisten Gebieten verunsichert, verteuert und beschwert hat.
Nicht dass es uns schlecht ginge hier, mir jedenfalls nicht. Doch wenn ich etwas tun möchte, aktiv werden will, begräbt mich die Masse der Vorschriften, Regelungen und Gesetze unter sich. Ich bin noch zu Deutsch, das alles zu ignorieren, die einzig denkbare Möglichkeit damit klar zu kommen, ohne so zu werden, wie die Bürokraten.
Auch die Inder, mit denen ich gesprochen habe sagen, mit der Hand weit nach rechts ausholend: "Hier sind wir, die Menschen," und mit der Linken weit nach links ausholend: "Und hier sind die Politiker."
Ich ärgere mich nicht mehr darüber. Es ist mir so egal wie die Klimaerwärmung. Wärmer hier kann nur gut sein, weil ich neben inneren Frierens auch einen halben Monat allein für Heizkosten arbeiten muss, für Energie einen weiteren halben Monat, für Wohnung dreieinhalb Monate, für Krankenkasse auch dreieinhalb Monate. Damit sind zwei Drittel des Jahres weg. Die anderen vier Monate arbeite ich für Essen, Trinken und was man noch so braucht. Ein Monat ist reserviert für das, was ich so dringend brauche: Hier heraus zu kommen, in der Welt herum zu reisen, damit ich Abstand gewinne, sehen kann, was wir haben und was uns fehlt. Das ist vielleicht die wichtigste, wenn auch anstrengendste, nachhaltigste und befriedigendste Arbeit.
Manchmal habe ich dann bei der Rückkehr das Gefühl, Deutschland läge auf dem Sterbebett, in einem klinisch sauberen Raum, hell erleuchtet von eiskaltem Neonlicht. Warm allein die Heizung, doch ein Dach über dem Kopf, ernährt selbstverständlich, mit dem Nötigsten versorgt, was ein Organismus braucht, doch nicht von Wärme und Menschlichkeit umgeben, von Freude, Spaß, Humor und Kommunikation. So viel ist das in Indien, dass es wahnsinnig anstrengend ist, dort zu reisen, und auf der anderen Seite wieder so liebenswert, dass sich bei der Rückkehr ein Abgrund auf tut.
Ich kann noch nicht einmal sehen, ob meine Aktien gestiegen sind, was die Zinsen machen, mich an Besitz aufgeilen. Das alles habe ich nicht. Ich kann auch nicht mit versonnen, verblödetem Blick auf meine anstrengenden Kinder schauen, die ich in die Welt gesetzt habe, und anstrengend sind die hier meist. Das ist der Moment, wo ich mich über meine Besitzlosigkeit und mein Unvermögen freue.
Foto + © Stefan Thielke
Und wenn ich dann hinaus gehe, in
geschützte Räume zu Freunden, in Werkstätten und
Ateliers, wenn ich dann sehe, dass hier etwas produziert wird, das
ich anfassen kann, an dem ich mich freuen kann.
Wenn ich die Bücher sehe, die im
Ramsch landen und lese, was die meisten nicht lesen wollen, wenn ich
die Werbung im Radio ausstelle und mich keine Talkshow stört,
dann freue ich mich auch wieder über die Stille, die mir Kraft
und Raum gibt, die Zeit zu überstehen, bis ich wieder reisen
kann.
Und wenn ich dann nicht mehr über Indien schreiben kann und mich langsam wieder über alles Mögliche aufrege, dann ist die nächste Reise ein paar Monate näher gerückt.
... und wenn ich zurück müsste ins Büro, zu Kollegen an Computer und Akten, zu Meetings und Besprechungen, in ein Eigenheim zu Frau und Kindern, dann wäre ich geblieben und weiter gereist bis zum Stillstand meiner inneren Welt. ...
© Stefan W. Thielke