Barbara Koesters
JE WENIGER LEBEN IN DEN DINGEN, UM SO GENIALER DAS BEWUSSTSEIN, DAS IHNEN NACHSINNT
Sabine Kacunkos inszenatorisch hochgradig puristischen Schwarzweiß–Fotos legen den Schwerpunkt auf die produktive Umsetzung ihrer Ideen.
Obwohl die gewählten Sujets den lebendigen Formen der Natur entstammen, verzichtet die fotografische Inszenierung in ihrer freien Form auf jede objektive Wiedergabe und entmaterialisiert aufgrund eines abstrahierenden Kamera–Blicks das ursprünglich Organische: ein Bündel Rüben, Sonnenblume und Iris, Muscheln, unbearbeitetes Gehörn des Widders.
Die polare Grundspannung, welche die Schwarz-weiß- Kompositionen von Anfang an kennzeichnet, ist die Spannung zwischen strenger, rationaler Konzeption und meditativer Wirkung.
Kacunkos Arbeiten sind Meditationen über Abstraktion und Reduktion vermittels einer rationalem Ausgangsbasis. Äußerste Reduktion der Komponenten Farbe und Form, eine Art magischer Beschwörung kosmischer Dualität – und dies auf der Basis genau kalkulierter Foto- und Lichttechnik.
Ausschließlich Arbeit mit Tageslicht, dessen Quelle von oben einen sakralem Bildraum schafft. Das „Wesen“, das Wesentliche der Dinge – so die Künstlerin – sichtbar machen, alle Dimensionen der Wirklichkeit erfassen, nun nicht nur mehr als Fotografie der Körper, sondern als Fotografie des „Wesens“ der Dinge.
Der physiologische Blick weicht dem phänomenologischen Blick, der sich nun auf die Vieldimensionalität der Dinge und ihr perspektivisches Sein richtet. Und für die Künstlerin gilt von ihren ersten Arbeiten an, daß das Alltägliche sich selber unaufhörlich als ortloses Schauspiel gestaltet, das Reale wird spektakulär, es geht eine Faszination von ihm aus. Denn die gewöhnlichsten und alltäglichsten Dinge können geballte Kräfte entwickeln, die der lebendigen Kraft eines Ereignisses gleichwertig sind. Der Gegenstand als das Alltägliche, frontal, von oben einfallendem Licht aufgenommen, suggeriert vordergründig die Rückkehr zu einem „ursprünglichen“ Fotografieren. Doch ist es die Ausarbeitung eines puren, nüchternen Stils.
Kacunkos Stilleben definiert sich durch die Anwesenheit von Dingen, die sich in sich selbst hüllen oder zu ihrem eigenen Behältnis werden.
Leere und Fülle, die als zwei Aspekte der Kontemplation, Nuancierungen im Denken zum Ausdruck bringen. Das Stilleben ist in der Zeit, denn alles, was sich verändert, ist in der Zeit, nur sie selbst verändert sich nicht.
Als reine Kontemplation rühren die Arbeiten ans Absolute und gewährleisten unmittelbar die Verknüpfung von Mentalem und Physischem, Realem und Imaginären, Welt und Ich, nachdem die Aktion in der Fotografie zum Stillstand gekommen ist. Diese rätselhafte Atmosphäre des Stillstands Inbegriff eines merkwürdigen „Sogs“, „Stillkreisend“ in der Erstarrung, in der das Leben gerinnt. Zugleich ist die Stillsetzung des Organisch – Lebendigen die ontologische Passage zur gewesenen Realität, zum Ursprung des Lebens, zur archai, zum Mythos. Erinnerung an die Vergangenheit, an den Ursprung? In der beinahe sakralen Fixierung des Lebendigen im Schwarzweiß der Fotografie als archerypische Symbole für Geburt und Tod wird das reproduziert, was sich existentiell singulär, unwiederholbar ereignet. In diesen Kamera-Arbeiten findet sich keine Zukunft, keine Vergangenheit, darin liegt ihre Melancholie – in der Stillegung der Zeit. Diese rätselhafte Atmosphäre des Stillstands, Inbegriff einer beunruhigenden Stockung blockiert ebenso die Erinnerung wie die Antizipation der Zukunft. Denn der Blick wird gefangen von der Fülle des Bildes, die das Auge okkupiert, so wie die Irisblume – um ihre eigene Achse gedreht – uns die Iris des menschlichen Auges enthüllt.
Bei Sabine Kacunko zielen die Bilder unentwegt darauf ab, Klischees unserer Zivilisation, unserer Kultur zu durchbrechen und sich von ihnen zu befreien. Es kommt darauf an, visionär und sehend zu werden. Es kommt für die Künstlerin darauf an, dem optischen Bild Kräfte zuzuführen, die nicht nur dem Intellekt, sondern der lebendigen Empfindung entstammen.