Sabine Kacunko @ CultD

Selected Works from the 90s ...
 

Rolf Sachsse
RAUM GREIFEN / APPROPRIATING SPACE


RAUM GREIFEN

Das erste Bild, das ich von Sabine Kacunko sah, war ein Selbstportrait. Ganzfigurig als Rückenakt gegeben, von einem breitkrempigen Hut akzentuiert, der allerdings nur als Silhouette sichtbar war. Der Hintergrund war weiß, der Körper stand als helles, gleichwohl deutlich gegliedertes Volumen davor, obendrein auf einem Sockel. Es war dieses Bild, das sie damals davon überzeugte, Photographie könne ihr Medium sein.

Dabei ist es nicht  geblieben, beileibe nicht. Und doch enthält dieses erste Bild - von heute her gesehen als Bild, nicht als Arbeit - in nuce alle Elemente, die das Oeuvre Sabine Kacunkos danach auszeichneten. Die Komposition ist einfach, über eine Achse symmetrisch, bis auf eine kleine Abweichung als Anreiz zum genaueren Hinsehen. Die Valeurs sind schwarz-weiß-grau mit wenigen Abstufungen, an den Grenzen jedoch oft fein ausdifferenziert. Der Hintergrund ist unstrukturiert, selbst nicht als Raum definiert.

Im Thema ist sich Sabine Kacunko treu geblieben. Soweit ich weiß, ist dies die einzige Abbildung ihres eigenen Körpers im bisherigen Werk. Dennoch ist für alle anderen Bilder dieser eine, eben eigene Körper grundlegend geblieben. Das beginnt mit der Lust: am Schauen, am Sublimieren des Tastsinns im Sehen, an Vorstellungen von Können und Wollen. Die skulpturale Präsentation des Rückenaktes verlegt die direkte Begegnung in einen Raum jenseits des Bildes, evoziert aber auch das Bedürfnis des Herumgehens als Erfahrungshorizont aller plastischen Gestaltung. Die Präsentation selbst verweist auf die zweite Ebene aller Aktdarstellung, auf den leidenden Körper.

Denn die Arme sind ausgebreitet, was an eine weibliche Kreuzigung gemahnt. Und der Körper steht auf seinem Sockel nicht etwa erhöht, sondern schlicht unsicher. Das Artifizielle des Aufbaues referiert Vanitas Stilleben  und damit die Vergänglichkeit alles Fleischlichen. Lust und Tod fallen ineinander, und dies im Körper der Protagonistin.

Keine Überinterpretation: Das ist die Aufgabe des Selbstportraits. Sie hat sie angenommen - wie nur Wenige.

Die Bilder sind seither gleichzeitig abstrakter und konkreter geworden, haben Raum und Grösse gewonnen und sind doch immer bewusst Photographien geblieben. Ihr Raum hat sich jedoch verändert, konkret und metaphorisch. Vor allem steht der Raum des Bildes nicht mehr allein, sondern hat seinen eigenen Platz gewonnen, in der Installation als eigener Raum. Damit haben sich die Verhältnisse vor dem Bild umgekehrt: Der Betrachter ist im Bildraum, wird Teil des Ensembles.

Photographie ist das Medium der Ausserkraftsetzung von Größen und Verhältnissen. Ein Baum wird klein, eine Blüte groß, beides nebeneinander; der Mensch ist nicht mehr Maß aller Dinge. Das macht viele Vergleiche möglich, bereitet in der Konsequenz aber auch Angst. So wie eine Photographie das Fortleben der körperlichen Erscheinung nach dem Tod verheißt, so nimmt sie dieser Verheißung die Proportion. Zwischen großen Bildern kleiner Gegenstände stehen zu müssen, bereitet wie alle Disproporitonen Unbehagen, hilft aber manchen Erkenntnissen.

Ein Erfinder dieser Bildtechnik nannte sein Verfahren „Kalotypie“, den schönen Druck. Das trifft auch auf Sabine Kacunkos Photographien zu. Sie sind in sich immer erst einmal schön, werden um dieser Schönheit willen gemacht und in einer hohen Perfektion ästhetisch inszeniert. Selbst die Bildkästen oder -rahmen sind formvollendet und von feinem Finish. Das macht sie allerdings auch unpersönlich und kalt; die Anmutung von Grabsteinen stellt sich nicht umsonst ein. Oft genug ist ihre Plazierung im Raum der Installation noch so, daß sie als aggressiv empfunden werden muß - die Kästen springen einem aus der Wand geradezu entgegen. Sabine Kacunko macht sich ein Stilmittel der Arte povera zunutze die ja auch die Besetzung der trivialen Objekte, einfachen Formen und armen Materialien oder Oberflächen ihren Betrachtern und Benutzern überließ.

Noch fehlt den Bildern die Farbe. Das Schwarzweiß der Photographien und der Kästen oder Rahmen ist für sich eine Abstraktion vom Realen, weil es vom Abgebildeten weg auf tiefere Inhalte verweist. Liebe und Tod, Lust und Schmerz sind nicht wirklich zu sehen - letztlich sind sie nicht Inhalt der Bilder. Dieser bleibt am Ende offen, denn die Belegung mit eigenen Erinnerungen oder Gefühlen überläßt Sabine Kacunko uns, den Betrachtern, schon ganz.

So stellt sich nach einer Weile des Überraschtseins bald tiefe Ruhe im Herumgehen, im Innen und Aussen von Bildern und Installation ein. Der Schritt wird langsamer, die Drehung spiralförmiger Blumenbilder hat die Kunstgeschichte viele, und auch die Photographie sah einige Dutzend wichtiger Künstlerinnen und Künstler in diesem Genre. Darunter sind speziell in den letzten Jahren einige gewesen, denen die erotische - und damit auch morbide - Komponente des Sujets bedeutsam war. Sie alle aber haben ihre Inszenierungen in sich geschlossen vorgeführt, selbstbezüglich und meist selbstgenügsam, eigentlich autoerotisch. Sabine Kacunko dreht, und das ist der Sinn der kalten Materialien in perfekter Präzision, die Blickrichtung um. Sie will ansprechen, im alten Sinn des Wortes anmachen, voller Lust und in vollem Ernst. Es gehört zu ihrem Werk, daß sie andere Künstlerinnen ermuntert, mit ihr gemeinsame Sache zu machen, mit ihr auszustellen und Debatten anzuregen. Selbstbewusst kann ihr Oeuvre zwischen anderen stehen.

Der Weg ist noch lange nicht zu Ende, den Sabine Kacunko geht. Große Schritte muß sie nicht machen, doch ihr Suchen hat ein Ende, die findet nur noch. Die Arbeiten mit Photographien, die in den letzten Jahren entstanden sind, sind raumgreifend. Sie greifen Raum im zweierlei Sinn: von uns, indem sie verlangen, daß wir uns in ihnen bewegen, und von sich selbst, indem sie auf nächste, neue, mögliche und wahrscheinliche, aber immer überraschende Realisationen verweisen.


APPROPRIATING SPACE

The first picture I saw by Sabine Kacunko was a self-portrait, a full-length bach view accentuated by a broad-brimmed hat, which was visible only in silhouette. Thebackground was white, with the body before it, raised on a plinth as a light, yet clearly defined volume. This picture concinced her that her medium lay in photography.

This is certainly no longer the case. However, this first picture, which now appears rather a picture than  an oeuvre, contains in seed all the elements which distinguish the work of Sabine Kacunko. The composition is simple, arranged on a single axis symmertrically, with minimal deviations which excite closer examination. Tonal values are in grey and black-and-white with few gradations, apart from fine differentiation at the borders. The background is unstructured, remaining undegined as space.

Sabine Kacunko has remained faithful to her theme. As far as I know, this is the only depiction of her own body yet to have appeared in her work. Although this image of her own body remains the corner stone for all her other works. It begins with a relish for looking, a sublimation of the tactile sense in seeing; with the envisaging of possibilities and desired effects. The sculptural presentation of the naked back view transposes the direct encounter to a space beyond the picture plane, also evoking the need to wander around, an experience common to all plastic design, the manner of presentation recalls a second level inherent in all nude representation – the suffering human body.

The arms are spread, reminiscent of a female crucifixion. The body on ist plinth appears less exalted than simply unsure. The composition´s artificility recalls „Vanitas“ still-lives, and the transiense off all flesh. Pleasure and death collapse together within the body of the protagonist. No over-interpretation: this is the task of the self-portrait, here undertaken as only few have.

The pictures have since become at once more abstract, and more concrete, they have increased in spatiol volume and in size, conciously remaining photographs. Their space, however, has changed, physically and metaphorically. Above all, the picture space is no longer the only space, the work has gained a place of ist own within the space of an installation. The contexts before the picture have changed round. The viewer is in the picture space, becoming a part of the whole.

Photography is a medium of displacement of size and scale. A tree can be shown amall, a flower large, one next to the other. Man is no longer the measure of all things. Thiws makes many comparisons possible, and even occasions fear. A photograph promises life after death for the physical image, simultaneously robbing this promise of proportion.

Small objects forced into place beside large images, like all disproportion, cause isquiet – yet facilitate certain insights.

A discoverer of this pictorial lechnique called the process „Calotype“ – the beautiful print. The same description is fitting for Sabine Kacunko´s photographs. Firstly, they are always beautiful in themselves, and with this end desired, they are produced with a high degree of aesthetic perfection. Even the show cases and frames are perfect, with their fine finish. This however, makes them cold and impersonal. Grave-stones come to mind. Often their arrangement within the area of the installation gives rise to a sensation of aggression. The cases seem to spring out from the walls at the viewer. Sabine Kacunko borrows a stylistic device from arte povera which also presented users and viewers with settings of trivial objects, simple forms and basic materials or surfaces.

The pictures still have no colour. The black and white of the photographs and the cases and frames is itself an abstraction of the real, leading from the subject depicted to deeper levels. Love and death, pleasure and pain cannot actually be seen, in the end, neither are they the subject of the picture, which remains open. Sabine Kacunko leaves the investment of personal memories and feelings, entirely to us, the viewers. After an initial wave of surprise one quickly adapts to the deep sence of peace of pictures und installation. Tje pace becomes slower, and turning becomes spiral-like.

Flower compositions are common in art history. Photograpy has also produced a few dozen significant female and male exponents of the genre. Amongst these, especially in recent years are those for whom the erotic, and thus also the morbid aspects of the subject have been meaningful. Yet all their work has been self-contained, self-referring and largely self-sufficient- even auto-erotic. Sabine Kacunco reverses this line of vision with her cold materials and perfect precision. She wants to communicate, to arouse, with great zest and deadly earnest. An aspect of her work is her encouragement of other women artists to share projects and exhibitions with her, and to initiate debates. Her ouevre stands self-confidently alongside the works of others.

The path taken by Sabine Kacunko is still nowhere near ist end. She need not take great steps. Yet search has an outcome. She finds without looking. The works with photographs, of recent years, appropriate space. They do this in two different senses – through us, as they demand that we move in them, and in themselves, as they anticipate the next possible, probable, but always surprising new realisations.