Ralph Fischer
documenta 6
E-Kunst mit U-Mitteln?
Die Eröffnungsveranstaltung der 6. documenta, 1977 in Kassel, machte unübersehbar, daß auch für die Bildende Kunst das Medien-Zeitalter angebrochen war. Die Performances dreier Künstler (Paik, Beuys, Davis) wurden via Satellit in mehrere Länder übertragen.
Was bislang nur der U-Kunst vorbehalten war, wurde jetzt also auch für die E-Kunst Wirklichkeit: die Erweiterung der globalen Raum-Genossenschaft zur Zeit-Genossenschaft.
Allerdings berührte dieser Schritt empfindlich das Selbstverständnis der tradierten Kunst-Sparten (Malerei, Plastik, Graphik), die ihre Identität gerade der elitären Exklusivität verdanken, d.h. dem Aussperren des großen Publikums.
Dagegen zielt die innere Logik der Video- und Medien-Kunst, deren Werkzeuge die eletronischen Massenmedien sind, geradewegs auf die weltumspannende Verbreitung. Daß diese Werkzeuge in erster Linie populäre Information bzw. Unterhaltung transportieren, macht sie, wie Paik beweist, nicht kunst-untauglich, im Gegenteil: die (formale) demokratische Qualität des Massenmediums Fernsehen, das potentiell Alle erreicht und beteiligt, macht es zu einem nahezu perfekten Medium auch für eine demokratische Kunst. Und um die geht es Paik seit seinen Anfängen. Denn wie Beuys ist er ein dezidiert politischer Künstler. Beide sehen den herrschenden Kunst-Begriff durchaus in fatalem Einklang mit den Interessen jener herrschenden "Klassen", die die Katastrophen des 20. Jahrhunders zu verantworten haben - und wünschen sich als humane Alternative dazu eine radikale Demokratisierung, auch der Kunst.
Das hieß für beide, sich populärer Mittel zu bedienen; sie wurden zu Kunst-Stars auf internationaler Bühne.
Die fundamentalistische Kunst-Szene hat ihnen diesen Verrat an der heiligen Bruderschaft der Ästheten nie verziehen. Gerade in Deutschland gelten noch immer (oder wieder) Seriosität und Popularität als unvereinbar. Der Ernst verträgt sich hier nicht mit der Alltäglichkeit, das Unterhaltsame nicht mit dem Bedeutsamen.
Beuys fiel es bisweilen schwer, sich aus dieser unseligen Verquickung zu lösen: sein Beitrag zur Kasseler Eröffnungssendung 1977 bestand (sehr deutsch): in einer REDE, die seine politischen Anliegen zur Sprache brachte. Die Sende-Situation bedeutete ihm lediglich eine Vergrößerung seines Forums, aber keine thematische Herausforderung. Paik hingegen, seit Jahren mit Fernseharbeit vertraut, gestaltete die 9 Minuten, die ihm zur Verfügung standen, zu einer regelrechten retrospektiven Show, die sowohl den Erfordernissen des Mediums Rechnung trug als auch seine eigenen Arbeits -Methoden illustrierte.
Assistiert von der souveränen Charlotte Moorman, bot er eine kurzweilige Mischung aus Musik, Erotik, Action, Humor und Technik - wesentliche Elemente seiner Kunst also, die aber ebenso tragende Elemente der TV-Ästhetik sind. Eine Kurz-Lektion in Paiks subversiver Methode: indem er das populäre Modell einer beliebigen TV-Show mit den eigenen, anstößigen Inhalten füllt, unterwandert er dieses Modell zugleich - und rettet so die Kunst vor dem Populismus.
Denn natürlich ist eine Charlotte Moorman in Gala-Robe (eine Gasmaske vor dem Gesicht, mit einem Blumenstrauß Paiks TV-CELLO "spielend") nicht zu verwechseln mit der musikalischen Einlage eines Schlagerstars in einer Fernsehshow.
Zudem verzichtete Paik auf jede klischierte Künstlichkeit der Ausstattung - sein "Show-Room" verbarg das Technische und Handwerkliche nicht hinter glatten Glamour-Kulissen. So behielt die Darbietung etwas Alltägliches und Provisorisches.
Bemerkenswert auch die professionelle Sorgsamkeit in der Vorbereitung. Da Paik bei der Performance selbst mitwirkte, konnte er nicht am Mischpult stehen. Aber bereits vorweg hatte er die Vorführung ebenso fernseh-gerecht strukturiert wie er Video-Aufnahmen bearbeitete: viele kurze, rasch wechselnde Aktionen ersetzten die schnellen, beschleunigenden Schnitte.
Paik hatte die Perspektive globaler Tele-Kommunikation schon seit 1961 vorgedacht. Er entwarf damals ein Klavierkonzert mit einer Bach’schen Fuge, die von 2 Pianisten in San Francisco und Shanghai gleichzeitig gespielt werden sollte, wobei jeder nur den Part e i n e r Hand übernehmen sollte; die komplette Fuge sollte erst durch die wechselseitige Direkt-Übertragung zustandekommen.
Dieses Projekt war 1961 technisch nicht realisierbar. Erst im Juli 1962 begann mit der Inbetriebnahme des Satelliten "Telstar 2" das Zeitalter weltumgreifender Tele-Kommunikation.
In seinem Essay "Medienplanung für das post-industrielle Zeitalter" legte Paik dann bereits 1974 eine komplexe medien-politische Konzeption vor, die äußerst weitschichtig ökonomische, ökologische und kulturelle Aspekte der Kommunikations-Technik verknüpfte. Sie gipfelte in seinem Plädoyer für die Einrichtung elektronischer Daten-Autobahnen – wir erleben seit 1990 den forcierten Ausbau der entsprechenden Trassen.