Susanne Rennert
Mixed Pixels
Siebzehn Jahre Klasse Paik
Paik als Lehrer
Nam June Paik ist ein Kulturnomade, ein Reisender koreanischer Herkunft mit Hauptwohnsitz New York, der zwischen Westen und Osten, zwischen Ländern, Kulturen und Ideologien anscheinend mühelos hin- und herpendelt. (1) Diese Mobilität und Weltoffenheit hat auf seine Studenten an der Düsseldorfer Kunstakademie eine große Anziehungskraft ausgeübt. Paiks Klasse war siebzehn Jahre lang ein Sammelbecken unterschiedlichster Nationalitäten mit aufgeschlossener, multikultureller Atmosphäre. Bolivien, Finnland, Griechenland, Indien, Korea, Kroatien, Spanien, Tschechien und Deutschland - betrachtet man die Herkunftsländer der Künstler, die an unserer Ausstellung teilnehmen, wird die Internationalität erneut sinnfällig. Einige ehemalige Paik-Schüler, wie Mervi Buhl Kytösalmi (Finnland), Ivo Dekovi´c (Kroatien) oder Gul Ramani (Indien), sind nach der Akademiezeit im Rheinland geblieben, für die meisten aber war Düsseldorf nur eine Durchgangsstation. Sie wurden selbst zu Reisenden z.B. (Michael Bielicky, Ingo Günther, Isabel Herguera, Angela Melitopulos, Ricardo Peredo Wende).
Welche Impulse kann ein Lehrer vermitteln, der permanent unterwegs ist? Zwangsläufig hatte Paiks Nomadentum zur Folge, daß er nur sehr sporadisch an der Akademie auftauchte.
"Paik kam zu den Treffen mit seinen Studenten ziemlich selten und unregelmäßig. Wobei das nicht bedeutet, daß es schlecht gewesen wäre. Den meisten von uns war es recht und auch von Nutzen. Es gab immer wieder neue Studenten, die sich bemüht haben, Studenten von Paik zu werden. So sagte er zu ihnen immer, er sei ein schlechter Professor, da er sowieso nie anwesend sei. Davon ließen sich die Neubewerber aber nicht abschrecken und sie drängten darauf, daß der große Meister sich ihre Videobänder anschaute. Er fragte dann immer, wie lang die Bänder wären, und dann ging das Licht aus und die Bänder wurden vorgeführt. Nervös und voller Erwartung warteten die Kandidaten auf den Kommentar. In den meisten Fällen, nachdem das Licht wieder eingeschaltet wurde, schlief Paik. Dann wachte er auf und meinte: ’Nicht schlecht, aber vielleicht ein bißchen zu lang‘." (2)
Einen "Unterricht" hat es bei Paik nie gegeben. Er war weder Vaterfigur noch Pädagoge, hat so auch die Entwicklungsschritte seiner Studenten nie aus der Position des Übergeordneten heraus beobachtet und kommentiert. Dazu basiert sein offener Kunstbegriff zu sehr auf dem freiheitlichen Denken der sechziger Jahre und ist vor allem dem anarchischen "Fluxus-Geist" verpflichtet, dem es nicht darum ging, den Menschen mit einem vorgefertigten Kunstkonzept einzuengen. Vielmehr wollte er Anstöße geben, das eigene kreative Potential zu entdecken und selbst aktiv zu werden. Außerdem war Paik Selbständigkeit gewöhnt. Er selbst hat sich ja bei vielen Experimenten weder auf Vorbilder beziehen können oder wollen, denkt man nur an seine Manipulationen von Fernsehapparaten Anfang der sechziger Jahre, welche die spätere Entwicklung der Videokunst in wesentlichen Aspekten antizipierten.
Im Rückblick gewinnt man den Eindruck, als habe die unkonventionelle Atmosphäre der Video-Klasse vor allem solche Künstler angezogen, die nicht als "Grünschnäbel" an die Akademie gekommen sind, sondern schon vorher Erfahrungen gesammelt hatten, sei es in anderen Ländern, an anderen Institutionen oder auch nur unter anderen akademie-internen Strukturen. Viele Studenten hatten vorher in anderen Klassen studiert und fühlten sich dort eingeengt, entweder weil hierarchischere Organisationsformen existierten oder weil man stärker auf ein spezifisches Medium festgelegt war. Im Gegensatz dazu traf man in Paiks Klasse nicht nur Videospezialisten, sondern auch Maler, Bildhauer und Performance-Künstler. Diese besondere Mischung prägte den Geist, der dort herrschte. Die Voraussetzung für die friedliche Koexistenz der verschiedenen Disziplinen war die gegenseitige Toleranz. Gleichzeitig erhielten die Künstler so die Chance, ihren Horizont zu erweitern und die Grenzen des eigenen Mediums zu verlassen. Indem Paik die kreativen Aspekte der Grenzüberschreitung in seinem eigenen Werk beispielhaft vorgeführt hat - und immer noch vorführt - war sein Einfluß auf die Studenten nachhaltiger, als er selbst vermutet. (Er betont ja immer wieder, er sei ein "fauler Lehrer" gewesen.)
Anders als der mit ihm befreundete Joseph Beuys verstand sich Paik als Lehrer eher als Pragmatiker denn als "Berufener". Schon bedingt durch seine seltene Anwesenheit gab es in der Klasse Paik wenig gemeinsamen Fragestellungen, arbeitete man hier generell überraschend wenig im Kollektiv. Nur einmal kam es zu einer engen Kooperation zwischen Professor und Studenten, als man im Sommer 1978, gleich zu Beginn des Lehrauftrags, die Aktion "Video Venus" vorbereitete. (3) Ivo Dekovic, damals der zweite Kameramann, erinnert sich, daß Paik in der mehrwöchigen Vorbereitungsphase täglich konzentriert am Schnittplatz gearbeitet hat, um die Tapes, die während der Proben entstanden, wieder und wieder zu bearbeiten. "Video Venus" leitete Paiks Entrée als Lehrer an der Akademie mit einem deutlichen Signal ein, das lange nachhallte.
Als seine Schüler später auf sich selbst gestellt waren, haben sie eigene Initiative ergriffen. Für die jährlich stattfindenden Rundgänge, auf denen erste, wichtige Kontakte zur Öffentlichkeit geknüpft werden, stellte man z. B. gemeinschaftlich spezielle Video-Programme zusammen. Ging man an der Düsseldorfer Akademie getrennte Wege, so traf man sich an anderen Orten und zu anderen Gelegenheiten: Mehrmals lud Paik seine Studenten nach New York ein und verknüpfte diese Einladungen mit einer Präsentation im renommierten "Anthology Film Archives". Andere Reisen gingen nach Paris, Berlin oder Korea.
Daß der Zusammenhalt zwischen Professor und Studenten im Laufe der achtziger Jahre immer lockerer und zufälliger wurde, hängt auch mit Paiks zunehmendem internationalen Erfolg in dieser Zeit (und der daraus resultierenden Inanspruchnahme) zusammen: 1982 fand die große Paik-Retrospektive im New Yorker Whitney Museum statt, die - mehr noch als die Kölner Retrospektive 1976 und die "documenta"-Teilnahme 1977 - den künstlerischen Durchbruch bedeutete.
Entschied man sich in Düsseldorf für die Videoklasse, so entschied man sich damit meist auch für eine Technik. Da diese Technik sich rasant weiterentwickelte und die Kosten von dem eher bescheidenen Etat der Akademie nur sehr bedingt getragen werden konnten, sah Paik von Anfang an seine Aufgabe vornehmlich darin, für die Beschaffung der erforderlichen Hardware zu sorgen. Immer wieder stellte er so auch Teile seines monatlichen Gehaltes zur Verfügung. Als er 1978 von Norbert Kricke, dem damaligen Direktor an die Akademie berufen wurde, und zwar zunächst für zwei Jahre als Gastprofessor, war die technische Ausstattung äußerst mangelhaft. (4) Die Video-Abteilung, die von Ursula Wevers aufgebaut worden war - zu Lebzeiten Gerry Schums als seine Frau zugleich seine Mitarbeiterin - und von ihr als Dozentin auch betreut wurde, existierte erst seit zwei Jahren. Sie war aus der ehemaligen Filmklasse von Ole John hervorgegangen, die 1976 aus (akademie-) politischen Gründen aufgelöst worden war. (5) Paik und Ursula Wevers, die bis Mitte der achtziger Jahre an der Akademie lehrte, haben den Standard der Video-Abteilung darum sukzessive verbessert. Zu einer Kooperation zwischen beiden kam es jedoch kaum, schon deshalb, weil ihre Kunstbegriffe zu konträr waren. Während Paik seine Arbeit intuitiv, im Prozeß und unter Einbeziehung des Zufalls entwickelt, verfolgt Wevers einen streng konzeptuellen Ansatz: Das Werk ist zu Beginn der Arbeit bereits festgelegt. Bei Paik findet dagegen die Montage erst am Mischpult statt. Das Schneiden der Bänder vergleicht er selbst in dem amüsanten Tape "Was ist Video" von Peter Kolb (1978) mit dem Improvisieren auf dem Klavier.
Anfang der achtziger Jahre hatte Düsseldorf im Videobereich eine Vorreiterfunktion - so lautet das Resümée von Peter Moritz Pickshaus anläßlich der Kölner Ausstellung "Videokunst in Deutschland" (1982). (6) Düsseldorf war damals die Kunsthochschule mit dem größten Interesse für Video, das sich technisch inzwischen so weit entwickelt hatte, daß professionelle Arbeit möglich wurde. Eingebettet war die Akademie in eine rheinische Kunstszene, die sich dem Medium gegenüber ebenfalls offen verhielt. In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, daß 1984 die erste Bonner "Videonale" von Dieter Daniels, Bärbel Moser und Petra Unnützer initiiert wurde, auf der eine Woche lang Beiträge internationaler Video-Künstler gezeigt wurden. (7) Das Festival, das in der Folge im Zweijahresrhythmus wiederholt wurde, hat auch Düsseldorfer Studenten der Video-Klasse ermöglicht, ihre Arbeiten in einem internationalen Kontext zu präsentieren.
Die damalige Aufbruchstimmung ist deutlich abgeklungen. Heute muß man konstatieren, daß von der Video-Abteilung an der Düsseldorfer Akademie nur noch marginale Impulse ausgehen. Dies resultiert z.T. daraus, daß Düsseldorf den Übergang von der analogen zur digitalen Technik nur unzureichend vollzogen hat und so hier - technisch gesehen - mit anderen Institutionen, wie der Hochschule für Medien in Köln oder dem ZKM in Karlsruhe, nicht konkurrieren kann.
"Das wirkliche Problem, das die Verbindung ’Kunst und Technologie‘ beinhaltet, ist nicht, ein weiteres wissenschaftliches Spielzeug herzustellen, sondern wie man die Technologie und das elektronische Medium, das sich schnell entwickelt - zu schnell - HUMANISIEREN kann." (Paik, 1969)
Paik hat die Video-Technik ausgiebig genutzt, aber gleichzeitig an ihre Grenzen geführt, hat sie kritisch hinterfragt und ironisiert. Ähnlich verstehen die "Students of Paik" die Technologie lediglich als ein zeitgemäßes Mittel zur Beantwortung zeitgemäßer Fragen.
Auch das ist eine positive Auswirkung der Tatsache, daß Paik selten in Düsseldorf war: Er hat den Studenten nicht den eigenen Geschmack diktiert, wie dies so häufig an Kunsthochschulen zu beobachten ist. Gerade berühmte Professoren bringen oft mittelmäßige Schüler hervor. Aus Paiks Klasse sind jedoch keine Paik-Imitatoren hervorgegangen. Das belegen auch die Arbeiten der 18 teilnehmenden Künstler und Künstlerinnen unserer Ausstellung, von denen einige speziell konzipiert wurden, um so auf die jeweilige Raumsituation Bezug zu nehmen. Trotz der großen Heterogenität dieser Werke können einige typische Strukturbegriffe extrapoliert und einem Oberbegriff zugeordnet werden. Dabei wird deutlich, daß manche Künstler ähnliche Themen bearbeiten bzw. ähnliche Fragestellungen aufwerfen, obwohl die Werke auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben scheinen.
Der Zufall
Gemeinsam mit dem Autor Ralph Fischer haben Elke Eßer und Frank Essers, die seit Beginn ihrer Akademiezeit im Team arbeiten, eine CD-Rom über Paiks Leben und Werk konzipiert. Für den phantasievollen elektronischen Katalog haben die Künstler nicht nur die bisher zugängliche Paik-Literatur sorgfältig recherchiert und mit kritischen Kommentaren versehen, sondern auch eine Vielzahl bisher unveröffentlicher Texte, Tapes, Filme und Fotos aus unterschiedlichen Quellen verarbeitet. Manches wurde von Mary Bauermeister zur Verfügung gestellt. In ihrem Kölner Atelier, in den frühen 60er Jahren ein "Salon" für Avantgarde-Kunst, führte Paik einige seiner ersten aktionistischen Stücke auf. Ein anderes Materialkonvolut kommt aus der Video-Bibliothek des New Yorker Galeristen Howard Wise. Eßer, die in New York lebt und Essers/Fischer (Köln) haben ein Jahr lang an dieser CD-Rom gearbeitet, wohl einer der ersten "Künstlerfilme" mit dem neuen Medium. Spannend ist, daß die Künstler hier nicht in die Rolle des Kunsthistorikers oder Biographen geschlüpft sind und Paiks Leben und Werk eine logische Struktur (chronologisch oder sonstwie objektivierbar) gegeben haben. Ausgehend von der persönlichen Erfahrung, daß Paiks Arbeitsweise nicht logisch zu erfassen ist, sondern sich im Prozeß entwickelt, haben sie seine Strategie, Zufallsentscheidungen zum werkkonstituierenden Faktor zu machen, auch zu ihrer eigenen gemacht: "Man weiß nicht, wo man hingeht. Es ist wie ein Dschungel, in den man einsteigt" (Esser). Der Betrachter, der am Bildschirm sitzt, kann mit der Mouse diejenigen thematischen Felder anklicken, bei denen er zufällig hängenbleibt oder über die er - wenn er über Vorwissen verfügt - mehr erfahren will (Paik und Zen, Paik und Cage, Paik und Robots etc.) Für die CD Rom, die wie ein Puzzle oder eine Collage aufgebaut ist, muß der Betrachter Zeit mitbringen. Läßt er sich nicht darauf ein, wird er weder einen Zusammenhang noch einen "Sinn" entdecken. Der "Sinn" allerdings, so führten es bereits die Fluxus-Künstler in den frühen sechziger Jahren vor, kann für jeden ein anderer sein: Der Betrachter hat genügend Freiraum, sich sein eigenes Bild über Paiks Arbeit zu machen.
Die Aufhebung gewohnter Wahrnehmung
In seinen Videotapes der achtziger Jahre verzichtet Axel Klepsch auf narrative Erzählstrukturen zugunsten kompositorischer, collageartiger Bildverfahren. Musik, Geräusche, Bewegung - der Rhythmus einer angedeuteten Handlung - wird immer wieder durch harte Schnitte unterbrochen, die den Betrachter in seinen Sehgewohnheiten aufstören und Überraschung hervorrufen. Zudem provoziert die Kombination realer Personen und Gegenstände mit Requisiten von prononcierter Künstlichkeit immer wieder die Frage, wo die Schnittstelle zwischen Realität und Fiktion anzusetzen ist. Ein ähnliches Phänomen beschreibt auch das Werk "1. Versuch die Erde zu verlassen". Die Arbeit besteht aus einem knallrot lackierten, dreibeinigen Tisch, dessen viertes, verkürztes Bein auf einem großen Monitor steht, der dem Tisch so Stabilität verleiht. Ein Videoplayer auf dem Tisch sorgt für die Software: Der Monitor zeigt zunächst das fehlende Stück Tischbein, das plötzlich die in sich ruhende Vertikale verläßt und in tänzelnde Bewegung gerät. Es beginnt, mühelos hin- und her zu schweben und "durchbricht damit den schlüssigen Regelkreis der Veranschaulichung von Schwerkraft, von Tragen und Lasten (...) Es ist so wie bei einer Fernsehübertragung des klassischen Zaubertricks der schwebenden Jungfrau" (Peter Friese). Kurioserweise scheinen sich die Bewegungen auf dem Monitor wie bei einem feedback auf den ganzen Tisch zu übertragen. Kann die Virtualität die Realität in Schwingungen versetzen?
Das Internet verändert die gesamte Informationsstruktur und nimmt dadurch auch Einfluß auf das soziale Verhalten des Menschen. Diese Entwicklung wird bislang noch sehr ambivalent rezipiert: was der eine verteufelt, wird vom anderen euphorisch begrüßt. Michael Bielicky, der seit 1991 die Abteilung Neue Medien an der Kunstakademie Prag aufgebaut hat, verfolgt den aktuellen Diskurs aufmerksam, aber gelassen. Für ihn steht die innovative kulturelle Komponente im Vordergrund, die eine sinnvolle Beschäftigung mit dem Medium zur Folge haben kann. Bielicky arbeitet daran, Grenzen nun auch mental zu überwinden. Die Installation, die er für das Kunstmuseum konzipiert hat, bietet dem Besucher die Möglichkeit, auf einer Projektionsfläche mit anderen Menschen, die ans Netz angeschlossen sind, zu interagieren. Zeit und Raum sind aufgehoben. Für Bielicky ist das Internet primär ein Synonym für Kommunikation und für die Begegnung in einem neuen, erweiterten öffentlichen Raum.
Zeit und Stille
Die Finnin Mervi Buhl Kytösalmi war in den späten siebziger Jahren Paiks erste Studentin und arbeitete zugleich eng mit Ursula Wevers zusammen. Ihre frühen, durch Videotapes dokumentierten Performances, versuchen mit minimalen Mitteln die Beziehungen des eigenen Körpers zum umgebenden Raum und der Zeit zu erfassen: "Das Körpererlebnis in Zeit und Raum ist für mich ein zentraler Bewußtwerdungsvorgang." Die Künstlerin interessierte die Videotechnik nur so weit, wie sie für ihre Vorstellungen nutzbar waren. Technologien, die immer perfektionistischer wurden und nicht selten einen inhaltlichen Verlust zur Folge hatten, waren ihr suspekt und so arbeitet sie seit den achtziger Jahren nurmehr im installativen Bereich bzw. mit der Fotografie. Auch in ihrer Arbeit "o.T." thematisiert sie den Körper und die Zeit: Drei überlange, schmale Kleider hängen an der Wand, das mittlere ist schwarz, die Kleider links und rechts sind aus durchsichtiger Gaze. Sie verjüngen sich nach unten, ihr Saum verschwindet in der Öffnung von drei großen, bauchigen Keramikvasen. Dies ruft eine surreale Wirkung hervor, die durch den Aufbau von Gegensätzen - schwarz-weiß, schlank-dick, absorbierend-reflektierend - noch verstärkt wird. Mit einem Strahler an der Decke wird auf das schwarze Kleid ein Kreuz projiziert. Durch das schräg von links einfallende Tageslicht nimmt der Betrachter das Kreuz immer deutlicher wahr, je tiefer die Sonne steht. Auf diese Weise macht sich der Zeitfaktor im Werk geltend: Das Kreuz wird sukzessive stärker, während die Kleider langsam verschwinden. "o.T." ruft die Assoziation an die mystische Stimmung eines Kirchenraums hervor, in dem man das Spiel des Lichts - den Lauf der Zeit - durch die bunten Kirchenfenster eher unbewußt wahrnimmt.
Der Deutsch-Bolivianer Ricardo Peredo Wende, der seit seinem Postgraduate-Studium an der Kunsthochschule für Medien in Köln (1992-1994) mit der Holographie arbeitet, spielt in der Arbeit "Keine Grenzgeschwindigkeit" ebenfalls auf die meditative, mystische Atmosphäre sakraler Räume an. In einem abgedunkelten Raum installiert er ein Hologramm auf Glas. Auf die Glasscheibe wird mit dem Beamer ein abstraktes Video projiziert, dessen Farben in der Realität nicht existieren. Ein virtueller, atmosphärischer Raum entsteht, der durch das kaleidoskopartige Farb- und Formenspiel belebt wird. Der Betrachter wird in der Dunkelheit mit einem bunten, leuchtenden Fenster im "Nichts" konfrontiert. Mit der Technologie wird hier eine Stimmung evoziert, die von der Intention her den Bildern Caspar David Friedrichs vergleichbar ist, auf denen der einsame Mensch selbstversunken und überwältigt dem Wunder der Natur gegenübersteht. Trotz der romantischen Konnotationen verkörpert "Keine Grenzgeschwindigkeit" die westliche, eher technisch orientierte Seite in Peredo Wendes Werk. In seiner Performance "Opera el Ranchero", die am Eröffnungsabend aufgeführt werden soll, zeigt er uns die enge Verbindung zur elegisch-sentimentalen Erzähltradition seiner südamerikanischen Heimat.
Drei Monitore hängen, an Seilen befestigt, von der Decke herab. Drei weitere schweben auf schlanken Stelen aus Stahl im Raum. Jeder Monitor zeigt ein individuelles Augenpaar - männlich oder weiblich, geschlossen oder offen, den Betrachter anblickend oder ihn ignorierend. Durch die Verteilung der Geräte im Raum kann man nur zu einzelnen Augenpaaren einen Kontakt herstellen, sie aber nicht in ihrer Gesamtheit erfassen. Die Gestaltung des Raumes ist so hier auch Zeitgestaltung.
Dziga Vertov, russischer Filmer und Theoretiker der zwanziger Jahre, strukturierte sein dokumentarisches Filmmaterial derart, daß ein Rhythmus entstand, der den Film – obwohl noch Stummfilm – "zum Klingen brachte" (Hans Richter). Annebarbe Kau, deren Installation in Anlehnung an Vertov den Namen "Kinoki" (Kinoauge) trägt, rhythmisiert den Raum, indem sie ihn skulptural erfaßt und dadurch gleichfalls ohne Ton – "zum Klingen" bringt.
Lauter Zeitgeist
Stefan Hoderlein, schon zu Akademiezeiten der Initiator der "Geheimnisvollen K-Strahlung" (GKS) ist ein wacher Beobachter gesellschaftlicher Phänomene, die Ausdruck aktuellen "Zeitgeists" sind. Seit einigen Jahren beschäftigt er sich mit der Techno-Kultur, jedoch nicht als neutraler Beobachter, sondern als Aktiver in der Szene. Hoderlein ist ein leidenschaftlicher Sammler und Archivar von Techno-Material unterschiedlicher Provenienz. Musik, Flyer, Plakate, Aufputschmittel, Souvenirs und sonstige Relikte - das ganze Material, das er auf Parties einsammelt, arbeitet er später in seine Projekte ein, indem er damit z.B. ganze (Lebens-) Räume gestaltet.
In seiner aktuellen Arbeit projiziert Hoderlein Gruppen großformatiger "Raver", die wie in Trance automatisierte Bewegungen ausführen, per Beamer auf die Fenster des Museumsfoyers. Wieder wird mit dem Prinzip der Akkumulation gearbeitet. Nicht das Individuelle interessiert ihn, sondern die Anhäufung von Personen oder Gegenständen, die ständig neue Konstellationen, Strukturen und Rhythmen ergeben. Vergleichbar arbeitete in den frühen sechziger Jahren der französische Künstler Arman aus der Gruppe der Nouveaux Réalistes, der Objekte des Alltags und der Massenkultur akkumulierte, um gesellschaftliche und sozio-ökonomische Zusammenhänge zu visualisieren.
Zwischen Kunst und Politik: Alternative Denkmodelle
"Flüchtlinge und Migranten sind keineswegs nur Problem, sondern auch Lösung und in diesem Sinne auch Kapital. Als trans-globales Netz verstanden und mit einer eigenen Staatsform ausgestattet, sind Flüchtlinge die besten Kandidaten, eine sozio -ökonomische und politisch-ideologische Avantgarde fürs nächste Jahrtausend zu sein. Die Zukunft dieser Welt, die sich neuen Möglichkeiten gegenüber orientierungslos auf das graduelle Modifizieren ausgedienter Strukturen aus der Geschichte beschränkt, mag sehr wohl auf diese Flüchtlingsrepublik angewiesen sein." (Ingo Günther) Ingo Günther arbeitet seit 1992 an seinem Projekt der "Refugee Republic". Ausgehend von der Tatsache, daß die Zahl der Flüchtlinge aufgrund politischer Umwälzungen weltweit hoffnungslos ansteigt und so eine fortdauernde Migration provoziert, während im Gegensatz dazu geographische Konstellationen unverändert bleiben, entwirft Günther seine "Refugee Republic" als supranationalen und -territorialen Staat. Er hat Utopie- oder Modellcharakter und soll die Funktion der Transparenz staatlicher Grenzen und zivilisatorischer Schranken positiv vor Augen führen. Visualisiert wird das Projekt in der Ausstellung durch eine Reihe von Objekten, die wie Symbole oder auch als pars pro toto die Idee der "Refugee Republic" veranschaulichen, wie z.B. Paß, Währung oder Flagge.
Für Ingo Günther ist die "künstlerische Freiheit" das Gegenteil von Weltflucht. Er versteht sie als Auftrag, sich in die Belange der Welt einzumischen und exemplarisch tätig zu werden. Als Künstler zugleich Nicht-Experte auf anderen Gebieten, will Günther in seiner Arbeit deutlich machen, daß ein kreativer Umgang mit etablierten Strukturen wie Wissenschaft, Wirtschaft, Presse und Politik möglich ist.
Zwischen den Kulturen
In ihrem Tape "Transfer" filmte Angela Melitopulos Situationen in der Pariser Untergrundbahn, wo sich tagtäglich Millionen von Fahrgästen begegnen, ohne miteinander in Kontakt zu treten. Mit schnellen, fast brutal wirkenden Schnitten und ständig wechselnde Perspektiven findet sie eindringliche Bilder für die einsame Sprachlosigkeit der Menschen und die erschreckende Trostlosigkeit des Ortes. Melitopulos’ "Geographic Room" ist ebenfalls ein Ort, der nur Durchgangsstation ist. Die Installation besteht aus mehreren Tischen und Stühlen, die umgefallen sind, als sei der Raum plötzlich verlassen worden. Die Atmosphäre wirkt trist. Lichtkegel mit Videoaufnahmen von Horizonten fallen in schrägen Winkeln auf die Tische und Stühle. Angesichts der angedeuteten Ödnis scheinen sich die Horizonte weniger auf die Zukunft (das neue Ziel) als auf die Vergangenheit (die verlorene Heimat) zu beziehen. Der Horizont ist Metapher für Sehnsucht und Wehmut. Angela Melitopolus, die deutsche und griechische Staatsbürgerin ist, beschreibt in "Geographic Room" die einsame Erfahrung des Emigranten.
"Ich habe kein Geld, keine Hilfsquelle, keine Hoffnungen. Ich bin der glücklichste lebende Mensch. Vor 3 Jahren hielt ich mich für eine Künstlerin. Alles, was Kunst war, ist von mir abgefallen. Schluß mit der Kunst, die gemacht werden muß, Gott sei dank." (Kyung-Ja Na)
Die Koreanerin Kyung-Ja Na hat ihre Video-Performance "Ein Denker" genannt. In ein strenges, schwarzes Gewand gekleidet, das einer Mönchstracht ähnelt, hebt sie sich schon rein äußerlich vom Publikum hervor, unter das sie sich während der Performance mischt. Na trägt ein Stirnband mit integriertem Monitor, auf dem ein Text durchläuft. Mit diesem Text will die Künstlerin, so formuliert sie thesenartig, die Gedanken und das Unterbewußtsein sichtbar machen. Zur Sprache kommt Paradoxes, Bedeutungsschweres und Banales. Leitmotiv des Textes ist die Verlorenheit des Künstlers und seine Fremdheit in der Welt. Nur eingeschränkt sind eigene Erfahrungen wiedergegeben, vor allem mit Klischees wird gespielt, insbesondere solchen, wie sie seit dem 19. Jh. in Deutschland das "Bild" vom Künstler - als einsamer Kreatur, die an der Welt leidet - geprägt haben. Im Land der "Dichter und Denker" reflektiert die Koreanerin Kyung-Ja Na über die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft und bringt dabei subtil tradierte und mißverständliche Sichtweisen ins Spiel.
Isabel Hergueras Trickfilme sind bunte, entfesselte Feuerwerke mit zeit- und gesellschaftskritischem Unterton. Durch das permanente Kreieren neuer Farben und Formen, durch den collageartigen, freien Umgang mit dem Material (vor allem animierte Zeichnungen und Fotos), durch unterschiedlich schnelle Bewegungsabläufe und durch die Überlagerung von Bild und Ton entsteht eine außergewöhnliche Dynamik. Anders als synthetisch hergestellte Computeranimationen wirken die per Hand gezeichneten Filme sehr malerisch und - da technisch nicht perfektioniert - umso "phantastischer".
Als roter Faden zieht sich das Motiv der Reise durch Hergueras filmisches Werk. In "Spain loves you" (1988) ist es die Reise in ihre spanische Vergangenheit: Familiengeschichte wird mit zwei markanten Ereignissen der Zeitgeschichte verknüpft - der Mondlandung (1969) und dem Tod des Diktators Franco (1975) - die eigenwillig und phantasievoll interpretiert werden. Auf dem Mond z.B. wird der amerikanische Astronaut Armstrong von Engeln umzingelt, die so heftig mit ihren Flügeln schlagen, daß sie ihn zerfleddern. In "Los Muertitos" - 1994, nach ihrer Ausbildung am California Institute of Arts in Los Angeles entstanden - verlassen Geister den Friedhof in der mexikanischen Grenzstadt Tijuana und treten die beschwerliche Reise in die USA an, von einem amerikanischen Vertreter verführt, der eine Welt voll materieller Erfüllungen verspricht ("America: Home of opportunity"). Auf der Reise wird der Verlust ihrer kulturellen Identität immer eindringlicher vor Augen geführt: "Once you cross the border it closes behind you." Hergueras aktuelles Filmprojekt basiert auf einer Shortstory des spanischen Schriftstellers Bernardo Atxaga. Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der an die Plätze der Kindheit zurückgeht, um seine kindlichen Traumata endgültig zu überwinden: "I felt it resumes very well the spirit of our show" (Herguera).
Es gibt Haustiere, die wie menschliche Surrogate behandelt und verwöhnt werden, Nutztiere, mit denen gearbeitet wird und Tiere in der freien Natur, die wir als Städter oft nurmehr am Rande wahrnehmen. Ganz gleich, welche Funktion Tiere in unserer Gesellschaft übernehmen, ihre Rolle ist insoweit festgelegt, als sie dem Menschen zu Dienste sind. In anderen Kulturkreisen, z.B. in Afrika und Asien, bestehen völlig andere Beziehungen zwischen Mensch und Tier. Gul Ramani kennt als gebürtiger Inder die östliche wie die westliche Kultur. Sein aktueller Film, nach einer Reise durch Indien, Nepal, China und Tibet entstanden, zeigt die ambivalente Beziehung Mensch-Tier in Südasien. Ramani stellt zwei Beziehungsmuster heraus. Auf der einen Seite: Der Mensch nutzt als Herr über das Tier dessen Arbeitskraft bis hin zur Ausbeutung aus. Auf der anderen Seite: Das Tier ist heilig, steht über dem Menschen. Diesen beiden extremen Polen entsprechend, hat Ramani den einstündigen Film zweiteilig aufgebaut. Als Kameramann nimmt er dabei die Rolle des neutralen Beobachters ein, der sein Material weder kommentiert noch kritisiert. Er konstatiert und scheint so mit asiatischer Gelassenheit, Gegensätze wie "gut und schlecht", "Ost und West" genauso wie das Prinzip des "Yin und Yang" im Leben zu akzeptieren.
"TV-Kokons", so der Titel der neuen Arbeit von Ivo Dekovi´c, sind Fernsehgeräte, die mit groben, zusammengeknüpften Sisalseilen wie Raupen verpuppt sind. Nur die Antennen ragen oben heraus. Mit Schnüren am Treppengeländer des Museumsfoyers befestigt, schweben die Kokons im Raum. Vom aktuellen Fernsehprogramm, das auf den Monitoren läuft, ist außer schwachen Impulsen nichts mehr wahrzunehmen. Mit einfachen Mitteln wurde hier die Bilderflut, die täglich auf uns einstürmt, zum Stillstand gebracht. Der verpackte TV-Kokon mag auch als Demonstrationsobjekt für Zivilisationskritik zu verstehen sein. Wichtiger noch erscheint die ungewöhnliche Kombinatorik des Materials: einfaches derbes Sisalseil und die hochsensible Technologie. Dekovi´c spielt in seiner Arbeit mit dem Gegensatz des Archaischen und zeitgenössischer Technik als Ausdruck unterschiedlicher Zivilisationsformen, den er zusammenzuführen sucht. Aus dem mediterranen Dalmatien stammend, bringt er dabei immer wieder auch ursprüngliche Erfahrungen aus seiner Heimat ein.
Die deutsch-spanische Künstlerin Carmen Mankel hat für die Ausstellung die Video-Installation "Winzerei" konzipiert, bestehend aus fünf Fernsehgeräten, auf denen Hunderte Flaschen spanischen Roséweins lagern. Auf den Monitoren flimmert "Schnee", als wäre die Technik in einen Zustand des Gärens geraten. Mit durchsichtigen Folien sind Textauszüge unterschiedlicher Autoren aus unterschiedlichen Zeiten auf die Flaschen etikettiert. Die Texte fokussieren bestimmte Themen: Medien, Körper, Maschinen und Technik. In der Kombination steckt aktuelle Brisanz, aber ebenso wie die Bildschirme keine Information übermitteln, sind auch die Texte auf den Weinflaschen durch die Überlagerungen unlesbar. Damit wird auf die zunehmende Unübersichtlichkeit der Literatur zu diesen Themen, aber auch auf die inhaltliche Vernetzung der Texte angespielt. Ebenfalls angesprochen werden die kulturellen Überlagerungen in Carmen Mankels Werk. Ähnlich wie Ivo Dekovi´c arbeitet die Künstlerin immer wieder mit Motiven aus ihrer (spanischen) Heimat.
Christine Bernhard hat ein Medium gewählt hat, das "aus dem Rahmen" der Ausstellung fällt und doch den grenzüberschreitenden Geist, der in der Klasse Paik herrschte, eindrücklich wiedergibt. Ihr Medium ist die Koch- und Eßaktion. Christine Bernhard arbeitet aber auch mit Photographie und Video. Schon zu Akademiezeiten veranstaltete sie anläßlich der Rundgänge "Essen", die sie unter bestimmten thematischen Gesichtspunkten konzipierte. "Essen" hat für sie nicht nur einen bedeutenden kommunikativen Aspekt, sondern spiegelt vor allem Lebensweise, Status und Nationalität des Menschen wieder, also die gesamte Kulturgeschichte. Diesmal wird der Entwicklungsgeschichte der Nudeln, einem der weltweit beliebtesten Nahrungsmittel, nachgegangen. Wo sind die Nudeln entstanden? Wie kamen sie nach Europa? Die durch Bernhards Aktionen provozierten Fragen bewirken mehr als das bloße Nachdenken über Rezepte.
Identität
In Gudrun Teichs Installation "In Schale geworfen" geht es um schöne, leere Hüllen. Mit dem Videobeamer projiziert sie Abendkleider auf Wände und Treppenaufgang des Museums, deren Material von Fernsehaufnahmen aus Pret-â-porter-Shows stammt. Die Körperkonturen der Trägerinnen sind unter den Kleidern sichtbar, während die nicht bedeckten Körperteile fehlen - Arme, Beine, Kopf (und die Sinnesorgane). Durch die absurden, sich permanent wiederholenden Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen wirken die Kleider einerseits animiert, andererseits wie zu Robotern oder Statuen erstarrt.
Seit einigen Jahren ist in der Modewelt das Phänomen zu beobachten, daß Topmodels den Status von Superstars erreichen, wie dies etwas bis zur Mitte der achtziger Jahre Musikern und Filmschauspielern vorbehalten war. Während Mannequins früher meist namenlos blieben, sind es heute vor allem ihre Namen, die vermarktet werden - nicht die der Designer, deren Kleider sie tragen. Aber hat der, der einen Namen hat, damit auch eine Identität? Was bedeutet Identität überhaupt? "In Schale geworfen" greift, wie der Beitrag von Kristine Schröder, ein derzeit kontrovers diskutiertes Thema auf, das besonders vor dem Hintergrund von Simulation und Cloning immer unkontrollierbarer zu werden scheint.
Kristine Schröder zeigt in ihrer Installation "Simulation and more" einen beklemmenden Identitätsverlust. Erzählt wird die Geschichte einer Frau, die durch zwanghaftes Imitieren der Umwelt frühzeitig verstirbt. Ständig ängstlich bemüht, in neue Rollen zu schlüpfen, verliert sie die eigene Persönlichkeit. Die psychotische Struktur der Handlung erinnert an Erzählungen von Paul Auster, in denen die Menschen an ihren eigenen Wahnvorstellungen irre werden. Schröder, die von der Musik und der Performance kommt, beschränkt sich selten auf ein einziges Medium. Bild, Text und Ton ergänzen und verdichten sich gegenseitig. "Simulation and more" läuft in Form von Text und Bild auf zwei Monitoren und erhält durch drei illuminierte Bildkästen mit integrierten Walkmen, aus denen Sound ertönt, einen subtilen Unterton. Unentwegt werden die Fragen gestellt: Do you remember me? Do you know me? Do you want to be like me?
Paiks Spuren
Paik war, so sagt er selbst, ein fauler Lehrer. Meist war er abwesend und ließ seine Schüler gewähren. Ihre Betreuung, vor allem auch die technische Hilfestellung haben andere übernommen, die in der Video-Abteilung tätig waren - früher war es Ursula Wevers, heute sind es Hubertus Neuerburg und Heinz Getrost. Dennoch hat er den Studenten durch seine Persönlichkeit, seinen "scharfen Geist" (Kristine Schröder) und auch durch sein Werk Impulse vermitelt. Zufall, Wahrnehmung, Zeit, Stille (Zen), Zeitgeist, alternative Denkmodelle, kulturelle Identität - die hier dargestellten Leitmotive finden sich als Themen alle auch im Werk von Paik wieder. Er hat in seiner Arbeit Spuren ausgelegt, die seine Schüler aufgenommen und weiterentwickelt haben, so daß daraus wieder Neues, Eigenständiges entstehen konnte. Eher indirekt schuf er damit also die Rahmenbedingungen für eine Diskussion. Ob man sich darauf einlassen wollte, blieb jedem selbst überlassen. Trotz der Plurialität ihrer Positionen ist den "Students of Paik" die inhaltliche, kritische Auseinandersetzung mit der Zeit und der Gesellschaft, in der sie leben, gemeinsam. "Global denken", ganz im Sinne von Paik, kann nur der, der hinaus in die Welt geht, Zusammenhänge erkennen nur der, der sich in das Kommunikationsnetz einklinkt, das die Welt umspannt.
Fußnoten
1 Vgl. Edith Decker, Nam June Paik, Niederschriften eines Kulturnomaden, Köln 1992 top
2 Michael Bielicky, Big sleep 1993, in: Nam June Paik, Eine Data Base, Ausst. - Kat. Biennale di Venezia, hrsg. von Klaus Bußmann und Florian Matzner, Venedig 1993, S. 148. top
3 Mit Mervi Buhl Kytösalmi (damals Mervi Deylitz), Ivo Dekovi´c, Hans Peter Suhl, Peter Kolb, Ursula Wevers und Janice Guy – einer Schülerin aus der Rinke Klasse – als "Venus". top
4 Vgl. Ursula Wevers, Über die Videoabteilung der Kunstakademie Düsseldorf, in: Ursula Wevers/Georg F. Schwarzbauer, Video in Düsseldorf, Düsseldorf 1984, S. 7 f. top
5 Vgl. dazu Ole John, Erinnerung an die Filmklasse, in: Brennpunkt 2, Die Siebziger Jahre, Entwürfe, Joseph Beuys zum 70. Geburtstag, Ausst.- Kat. Kunstmuseum Düsseldorf, Düsseldorf 1991, S. 104 und Stephan von Wiese, Die Düsseldorfer Filmklasse, in: ebd., S. 105 f. top
6 Peter Moritz Pickshaus, Video als Fach – und wer denkt dabei was, in: Wulf Herzogenrath (Hg.), Videokunst in Deutschland 1963 –1982, Stuttgart 1982, S. 90. top
7 Vgl. dazu z.B. die Broschüre 1. Videonale, internationales Festival und Wettbewerb für Kunstvideos, Bonn, 21.– 29.9.1984. top