mixed pixels - nam june paik
name june paik students. video dreams - ausstellung im kunstmuseum duesseldorf vom 5.4.-5.5.1996

Petra Unnützer

Analog und Digital
Vom Verlust der Unschärfen und Zwischentöne und der Suche nach Reibungsflächen

Der radikale technologische Wandel von analoger hin zu digitaler Ton- und Bildaufzeichnung, d.h. von der optischen zur numerischen Speicherung von audiovisuellen Materialien, prägt seit den Achtzigern nicht nur die Video/Medienkunst, sondern schickt sich an, unter dem Stichwort "Multimedia" weite Teile der Gesellschaft zu revolutionieren. Die Abbildung von Realität kommt im Digitalen einer Simulation von Realität anhand relativ simpler mathematischer Modelle gleich. So wird nicht mehr ein Ausschnitt der Realität per Optik auf ein Darstellungsmedium – sei es nun eine photographische Platte, ein Filmstreifen oder ein Videoband – projiziert. Digitale Bilder können als binäre Zahlencodes in beliebigen elektronischen Datenspeichermedien aufgezeichnet werden. Wesentlich dabei ist, daß die digitale Aufzeichnung von numerischen, elektronischen Mikroimpulsen im Gegensatz zur analogen n i c h t kontinuierlich verläuft. Vergleicht man das Wesen der digitalen mit dem der analogen Darstellung der Realität, kann man durchaus zu dem Schluß kommen, daß man es mit "seltsamen, paradoxen, vollkommen hybriden Kreationen" (1) zu tun hat. Solche synthetischen Bilder können sich aber durchaus in Gestalt von realistischen Photographien präsentieren. Denn durch den Zugriff auf jeden einzelnen Bildpunkt ist die perfekte Manipulation möglich geworden.

Wie reagieren Künstler auf diese technische Revolution? Wie arbeiten sie mit diesen Medien? Die folgende Beschreibung scheint gleichermaßen treffend und aufschlußreich: "An der Schnittstelle von analoger Abbildung und digitalem Imageprocessing sitzend, arbeite ich unter anderem mit den Methoden Dechiffrierung, Verschiebung, Dekonstruktion und Remontage. Auf der Suche nach ästhetischen Ordnungsprinzipien verfalle ich immer wieder dem Vitalismus des Zufalls, des Verborgenen, des schnellen Denkens und des Unbestimmten. Verfahrensweisen, die einem Zustand des Oszillierens adäquat sind." (2) Das wesentliche Merkmal der digitalen Bildbearbeitung ist, daß man unterschiedliche Medien wie Video, Film, Photographie und Heimcomputer parallel schalten und in einem Bild oder Bildraum miteinander kombinieren kann. Neue labyrinthische Bild- und Tonräume sind möglich. Verschiedene Techniken und Ausdrucksformen können in einem Bilde und folglich umso vielfältiger über die Länge einer Sequenz konfrontiert werden. Die Digitalisierung liefert die einheitliche Norm, in der sich Materialgrenzen auflösen.

Obwohl die auf diese Weise hergestellten Bilder organisch wirken, ihren ursprünglich heterogenen Charakter weitgehend beibehalten, strahlen die digitalen Videobilder meist eine spezifische Kälte und Künstlichkeit aus. Das hängt auch mit der Beschaffenheit der digitalen Aufnahme zusammen.

Gespeicherte exakte Zahlencodes sind immun gegen Abnutzung und jegliche Beschädigung. Kratzer müssen einprogrammiert werden.

Falls es denn so etwas wie eine "Patina der elektronischen Bilder" im Sinne von Abnutzungs- bzw. Alterserscheinung gibt, sind es die Unschärfen, die nicht punktgenau trennbaren Überlagerungen der analogen Bilder, die uns die Videopioniere der ersten und zweiten Generation geliefert haben. Farbschlieren, Verwischungen, selbst eine analoge, mehrkörnig flirrende Bildstörung hat eine andere Qualität als eine digitale, Punkt für Punkt exakt abgebildete. Solche analogen Bilder irritierten nicht nur bei der Betrachtung, sie störten auch den Denkvorgang, zeigten Widersprüche auf und lieferten ihre eigene Ästhetik der elektronischen Bilder. Hier offenbart sich ein weiterer Mangel der audiovisuellen Kunst, der seit dem Ende der Achtziger immer wieder beklagt wird: Es gibt keine umfassende Geschichte der Videokunst.

Mit ein bißchen Fingerspitzengefühl kann heute jeder mit einer erschwinglichen Ausrüstung zuhause seinen eigenen "optischen Gedächtnisspeicher für den Heimgebrauch" programmieren. Wo unser Alltag immer stärker duch das Mediale geprägt ist, was sich auch in einer immer symbiotischeren Beziehung von Kunst/Kultur, Technik und Kommerz ausdrückt, gilt es, dieses kulturelle Phänomen kritisch zu beleuchten. Die Bedeutung des audiovisuellen Materials muß sichtbar gemacht werden, ob als sich einmischender Beitrag im Fernsehen oder außerhalb dieses Apparates. In der Kunst kann man inzwischen auf zahlreiche, unterschiedliche Präsentationsforen und -formen für audiovisuelle Produktionen zurückgreifen, auch sie sowohl innerhalb (Museen, Galerien, Vertriebe etc.) als auch außerhalb (unabhängige Videogruppen, alternative Fernsehproduktionsstätten, Festivals) des Kunstsystems angesiedelt. Dort können nach wie vor audiovisuelle Kritik und eigenes, zwischengeschaltetes Medienmaterial Reibungsflächen aufzeigen und für eine digitale Kunst/Kultur sichtbar machen.

Fußnoten

1 Edmond Couchot, Vom Bild zur Digitalkultur, in: ars electronica 1986, S. 118 top

2 So Ilse Gassinger in: Katalog Video 4, Ferdinandeum Innsbruck, Innsbruck 1989 top