Stefan Thielke

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Puri, 01.03.2013

Zu den Tieren hier in Indien / Puri

Verwunderlich ist kaum noch etwas hier in Indien für mich. Neben der Welt und den Menschen ansich lernt man jedoch auch Tiere von einer völlig anderen Warte aus zu betrachten. Wenn man in Deutschland sagt: „Blödes Kamel, dusselige Kuh, dummer Affe oder fauler Hund!“, so mag das richtig klingen und auf Menschen bezogen auch zutreffend sein. In Indien wirkt es nach längerer Beobachtung der Tierwelt vollkommen falsch. Also bitte immer daran denken, dass es in Deutschland fast ausschließlich Menschen sind, die tierisch abschätzig tituliert werden. Auf die mögen oben genannte Charaktereigenschaften auch ohne weiteres zutreffen, nicht jedoch auf die fälschlicherweise damit verbundenen Tiere:

Das Kamel, dieses sanft schauende, fein bewimperte Mädchen dort am Strand zog seinen Führer zu den Kokosnüssen. Dort verweilten die beiden, während ich auf den Freiluftverkaufsstand zustapfte, um mir eine frische Kokosnuss zu genehmigen, wie eingefleischte Abziehbildberliner sich das morgendliche Sternburg Export. Wenn´s im Magen grummelt, raten die Inder zu Kokoswasser und dem frischen Fruchtfleisch, das eigentlich kaum nach uns bekanntem Kokos à la „Bounty“ schmeckt, ein Glück. Kokoswasser jedoch ist mir ein Genuss, wiewohl in unseren Breiten nur schwer zu bekommen und dann garantiert hoffnungslos überteuert.

Na ja, der kleine braune Mann mit dem Lendentuch hackt die Spitze der grünen Nuss auf, reicht sie mir mit einem Strohhalm, während das Kamel näher kommt. Als der Strohhalm nur noch schlürfend Luft zieht, ist mir das Kamel auf Kussdistanz nah gekommen. Ich sehe in die großen, dunklen Augen, spüre seinen Atem und gebe dem Verkäufer die Nuss, damit er sie aufhackt. Nachdem die zwei Hälften neben ihm liegen, schaufelt er das Fruchtfleisch, das die Konsistenz von glitschigen Litschis aufweist, in eine Hälfte und meint, auch das Kamel möge Kokosfleisch. Das merke ich schon die ganze Zeit, denn neben mir tauchte vor einem Moment eine weiche Schnauze auf und tippt an meine Wange. So teile ich mit dem freundlichen Tier, dass mir die eine Hälfte zärtlich aus der Hand schnappt, und dann auch nicht weiter bettelt, sondern vondannen stapft. Ganz im Gegensatz zu aufdringlichen Perlenhändlern, Erdnussverkäufern und dergleichen sonderbarer menschlicher Erscheinungsformen.

Die heilige Kuh in Indien, das eigentliche Wappentier, nur ist der Kingfisher einfach bunter, eleganter und weniger verbreitet. Doch auch Kühe und Bullen in den Ortschaften dieses wunderbaren Landes würde ich nach den Beobachtungen der vergangenen Wochen ebenfalls alles andere als dumm bezeichnen. Sie ziehen jeden Morgen und häufig auch noch mehrmals im Tagesverlauf ihre Runden und das weitaus effektiver als die Bettler. Kommen sie zu einem Restaurant, steigen sie den Eingang hinauf, grunzen oder schlagen anderswie Lärm. Es dauert dann gar nicht lange, bis jemand aus der Küche gerannt kommt, mit Gemüseresten, den hungrigen Paarhufer zu sättigen.

Hier um die Ecke, bei dem kleinen Geschäft, in dem man von Tomaten bis zum Waschpulver alles bekommt, steigt der Bulle die erste Stufe hinauf und grunzt. Der Besitzer kommt mit zwei Kartoffeln. Der Bulle frißt sie und bleibt stehen. Erst als der Ladenbetreiber eine weitere, große Kartoffel gebracht hat, zieht er weiter. Genau das gleiche Spiel bei den umliegenden Geschäften. Und an der Hauptstraße, bei den kleinen Restaurants und Straßenverkäufern, gibt es Brotfladen, Roti und wie erwähnt, Gemüsereste. Da rede noch einmal jemand von blöder Kuh oder dummem Ochsen. Die Tiere gehen spazieren, ein Snack hier, einer da - sie werden versorgt, während die „dummen Menschen“ für ein Schälchen Reis mit Daal in der Sonne schuften müssen dass der Schweiß läuft, während sie sich in den Läden die Füße plattstehn, Steine schleppen oder um Kunden und Fahrgäste werben müssen...

Die Affen brauchen nicht einmal freundlich zu sein. Die fallen einfach in Horden oder Sippen ein, fressen alles weg und nehmen noch mit, was brauch- oder fressbar ist. Dann klettern sie auf die Dächer, duschen oder saufen die Wasserbehälter leer. Zuweilen annektieren sie leerstehende Gebäude und Rohbauten, die dann für lange Zeit keinem Menschen mehr zugänglich sind. Das ist sicherlich besonders in der Monsunzeit, während täglich einige Stunden Regen fällt, „gemütlicher“. Irgendein kluger Affe muss die Menschen dazu gebracht haben, dass er und seinesgleichen nicht gejagt oder getötet werden dürfen.

Auf mein Angebot hin, die plündernden Rhesusaffen in Puri abzuschießen, schauen mich die Inder verständnislos oder gar feindseelig an. Wo Mäuse und Ratten frei und ohne Verfolgung leben, auch zwischen Reisenden in der Eisenbahn, wo Termiten ihre Burgen an den unmöglichsten Orten bauen dürfen, Ameisenstraßen ungestört über Balkone führen, nächtliche Vollbremsungen wegen schlafender Hunde auf warmem Asphalt tödliche Unfälle verursachen – wo Tiere derartige Freiheiten genießen, kann es wohl so schlecht nicht sein, von tierischer Dummheit ganz zu schweigen.

Dass es in anderen Regionen vor kranken, räudigen Hunden, zerzausten, einäugigen Katzen und Rindern mit kranken Hufen nur so wimmelt, steht an anderem Orte geschrieben.

Ach so, die Hunde habe ich vergessen. Bei dem Lärm, den die fast jede Nacht veranstalten, wären sie in Deutschland ins Tierheim gewandert, gejagt worden oder in irgendwelchen Versuchslabors der Pharmaindustrie gelandet. Wenngleich sie hart um ihre Nahrung kämpfen müssen, ein Dasein zwischen Abfallvegetarier und Aasfresser fristen, so kann man sie doch wild am Strand herumjagen sehen, mit sichtlichem Vergnügen durch die Wellen preschend oder ungestört schlafend in Sandkuhlen liegend. Sie sind frei.

So eine Freiheit gibt es in Deutschland nicht einmal für Menschen. Von Marionetten regiert, die aus Brüssel ferngesteuert werden, zwangsweise in Renten- und Sozialversicherung gepressst, den Generationenvertrag, der für Beamte,... und Vielverdiener nicht gilt. Mit Steuernummer und anderen Erkennungszeichen markiert, von einer teuren Krankenversicherung ausgesaugt und gespeichert, was bei Freiberuflern auch mal 50 Prozent oder mehr vom Monatseinkommen betragen kann, sowie mit vielen weiteren Fesseln oder Zwängen versehen, leben die meisten relativ „sicher“ im Zoo „Bundesrepublik Deutschland“. Freiheit sieht für mich jedoch anders aus!

Schmeißt man das alles von sich, wird man zuerst einmal von den Behörden verfolgt, gilt dann als Verweigerer und ist schließlich ausgestoßen, mittellos. Das wäre ansich gar nicht schlimm. Alles bedeutet mehr Freiheit als der „Zoo“. Doch sicher kann man auch als Armer, Besitzloser nicht sein, der kaum soeben erwähnten Zwänge unterliegt. Denn in Deutschlands Städten haben sich leider, doch verständlicherweise Kreaturen ohne humane Regungen und jegliche Wertvorstellung entwickelt, die auch mal wohnungslose Menschen im Park anzünden oder aus Spaß an der Freude Arme, Wehrlose oder junge Menschen prügeln oder treten, bis sie tot sind! Das werden bei dieser sozialen Entwicklung mehr werden!

Es wächst auch die Zahl derer, die Tiere gefangen halten in einem Land, das an Spieltiergefangenschaft und Zwangsgesellschaft für die Einsamen verdient, auf Kanarienvögel und Zierfische Mehrwertssteuer erhebt, Hundemarken verkauft und Tierschutzgesetze zumindest erlassen hat.

Andererseits beginnen beispielsweise immer mehr Hundehalter, ihre Tiere wie Kinder zu kleiden und ihre Kinder wie Hunde zu befehligen, hin und herzuscheuchen, von einer Aktivität zur nächsten, als ob es das Wichtigste im Leben wäre, unendlich viele Stöckchen zu ergattern. Die einen bekommen zur Belohnung Leckerli und jede Menge Streicheleinheiten, die anderen Ökoleckerli und einen kleinen Moment Zuwendung. Die Grenzen verschwimmen. Vielleicht weil viele es nicht einmal mehr zu Kindern bringen, der ersten humanen, biologischen Bestimmung überhaupt folgen können...

Doch möge jeder selbst entscheiden, was Freiheit ist und wieviel man selbst davon benötigt, Kindern und Hunden erlaubt, so er/ sie es noch vermag, freie Entscheidungen zu fällen...

Von Indien aus besehen, entlocken mir diese Gedanken lediglich ein Lächeln. Derartige Zustände und das Leben im „Zoo“ am eigenen Leibe erleben zu müssen, hilflos zu sein, immer wieder gegen abstrakte Gebilde der Bürokratie … kämpfen zu müssen, um nicht vollends die Selbstachtung zu verlieren und als „dummes Schaf“ mit Millionen anderen zur Schlachtbank zu trotten - das zermürbt, macht krank und tötet letztendlich. In diessem Sinne: Bitte nicht vergessen zu denken. Bitte weiterhin gute Gespräche. Bitte weiter kämpfen. Sonst lohnt sich eine Rückkehr nicht.

36°C, nachts angenehm kühl, Luftfeuchtigkeit niedrig – gute Laune.

Stefan


Puri, 9.3.2013

Nachdem ich nachts meine Tür offen lasse, um Luftzug genießen zu können, teile ich mein Bett mit einem jungen Kater, der seit zwei Tagen neben meinem Kopfkissen auf der warmen Decke, die ich nicht mehr benötige, Asyl sucht. Er kommt irgendwann in der Nacht und ist kurz vor Sonnenaufgang verschwunden. Tagsüber hält er etwas mehr Abstand.

Es gibt nichts Schöneres, als die Zeit um Sonnenaufgang, den frühen Morgen. Ich genieße das hier wie auch im Garten in Berlin oder auf dem Land. Selbst Friedrichshain ist schön, wenn ich über morgendlich verlassene, stille Straßen radele. Das Leben erwacht hier noch langsamer. Wenn bei uns Bäcker, Bus- und Bahnfahrer, Zeitungsverkäufer und Betreiber von ordentlichen Cafés die Frühaufsteher sind, so sind es hier in Indien die Frauen, die Armen, die Chai bereiten, backen und kochen. Pumpen surren und lassen Wasser in die Zisternen auf dem Dach plätschern. Irgendwann laufen sie über. Zu dieser Zeit liegt kein Hund im Sand neben dem Haus. Hunde hassen es, geduscht zu werden, wenn der Überlauf sprudelt.

Vor mir, in den Zweigen der Mangobäume, hüpfen zwei quittengelbe Vögel von Amselgröße mit schwarzem Kopf und schwarzen Flügeln durch die Zweige. Neugierig kommen sie näher, näher als die Nebelkrähen. Es gibt also immer noch etwas Neues zu entdecken. Für mich bricht hier morgen, am Sonntag, die letzte Woche an.

Gestern habe ich Aikitom, dem Nachbarn aus Berlin-Neukölln Espresso aus unseren umfangreichen Vorräten versprochen, da Pradip in seinem Schrank schon eineinhalb Pfund hortet – das auch im Gedenken an die Dame (intern!). Thomas wird noch einige Wochen hier ausharren. Der indische Kaffee ist sehr teuer, sehr grob gemahlen und bei Weitem nicht so kräftig. Oft ist Zichorie beigemischt, was auch keine Aufwertung des Geschmacks verspricht. Da lohnt sich etwas Schlepperei.

Während die Bauarbeiter und Bauarbeiterinnen lautstark ihre Anwesenheit bekunden, ohne die Arbeit aufzunehmen, steigt die Sonne und beginnt, mich zu blenden. Noch ist es zu kühl, sodass das Reservoir im Rohbau nebenan noch nicht als Schwimmbecken genutzt wird. In ein paar Tagen wird es bakterienverseucht sein, denn Badewanne, Waschzuber, Duschtasse und Pool für eine Horde Arbeiter und Kinder ohne Wasserwechsel oder Filter ist bei dieser Wärme und Überbeanspruchung nur begrenzt möglich. … und sie werden trotzdem weiter planschen.

Die Nebelkrähen, bis eben noch stille Beobachter, geben nun ebenfalls lautstarke Kommentare ab. Der durchdringende Ruf des schwarzen Vogels ist verhallt, während auf dem Dachgarten des neuen Hotels an der Straße ein Affe die Bäume kahl frisst. Ich werde mich aufmachen, im lauen Morgenwind meine Reismehlklöpschen mit Kokosnusschutney zu genießen, hoffentlich nicht wieder mit soviel grünem Chili zum Frühstück.

Schließlich bleibt mir noch zu sagen, dass diese Ruhe, die Gelassenheit, die Freundlichkeit und still wirkende Freude der Menschen hier am Golf von Bengalen Balsam für meine geschundene Seele ist. Alles heilt und wird gut. Wenn ich an die Dörfer denke, die grünen Felder, die Bilder der Zug- und Tuctucfahrten der vergangenen Tage, durchzieht mich innere Wärme.

Stefan


Puri, 10.-12.3.2013

Tägliches Leben

Gestern Abend war ich nach zehn Minuten am Strand sitzen komplett durchfeuchtet. Am Metallgeländer der Dachterrasse kondensierte das Wasser. Es naht die Zeit, wo Wäsche nur noch während der zwei, drei Mittagstunden trocknet. Gut, dass ich mit Pradip und seinem Freund, dem jungen Motorrikschafahrer unterwegs war und indische Handtücher gekauft habe. Die sind dünn und trocknen schnell. Frotteehandtücher riechen sehr schnell muffig, werden gar nicht mehr richtig trocken.

Vergangene Nacht gab es einen ausgiebigen Disput in der Hunderotte, so lautstark, dass ich aufgewacht und schließlich aufgestanden bin. Den Hauptquälgeist habe ich nach einer Weile geduscht. Dann war Ruhe.

Vor dem Haus arbeiten die Bauarbeiterinnen unermüdlich, schleppen Sand und Steine zu den Maurern. Die Kleine im grünen Sari schleppt zwölf gebrannte Ziegelsteine auf dem Kopf in den ersten Stock. Bei dem Gerümpel, über das sie steigen muss, hoffe ich, dass kein Ziegel auf ihre nackten Füße in einfachsten Flip-Flops plumpst. Die Sandschüsseln, die sie ebenfalls auf dem Kopf nach oben balancieren, mögen so 30 bis 40 Kilo wiegen. Bauarbeiter verdienen am Anfang knapp drei Euro am Tag. Später, wenn sie handwerkliche Fertigkeiten entwickelt haben, auch mehr. Nur haben die Frauen selten eine Möglichkeitt, sich hochzuarbeiten. Ohne einen Schlafplatz auf der Baustelle und die preiswerten, einheimischen Mahlzeiten, Frühstück und Mittagessen für zehn bis zwanzig Rupies (15 bis 30 Cent etwa), könnten sie nicht überleben.

Die Sonne kämpft nun jeden Morgen und Abend mit dunklen Wolken. Teilweise ist es auch tagsüber bewölkt und so feucht, dass ich mich nicht mehr eincremen muss. Doch fast immer weht eine kräftige Briese. Ich gehe frühstücken, einheimisch, an der Straße für zehn Rupies, doch nichts Fettgebackenes oder Gemüse mit Kartoffeln. Das geht noch nicht um 7:00 Uhr morgens. Ich bin einer der ersten Kunden beim Radjasthani. Das Chutney mit grünem Chili vertrage ich sehr gut.

Später freue ich mich über die kleinen und mittelgroßen Vögel, die hier um die Terrasse herumschwirren und trinke guten, italienischen Café. Heute ist Shivaratri, das große Shivafest mit Beten, Andacht, Essen, Trinken, Musik, Tanz und natürlich jeder Menge Haschisch, neuerdings auch Alkohol. Doch erst einmal wird unten der weiße Hund ausgeführt, der sonst den ganzen Tag im Hauseingang um die Ecke an der Kette liegt. Hunde mit Halsband und Leine oder Kette scheinen weiter auf dem Vormarsch zu sein.

Ich gehe zum zweiten Frühstück ins Café und freue mich auf Müsli mit frischem Obst und Joghurt zusammen mit Thomas. Es gibt nur wenige Menschen auf der Welt, deren Gesellschaft ich mehr als genieße und vor denen ich Achtung habe. Es sind diejenigen, die viel erlebt haben, mutig waren, die riskiert haben, anstatt auf Sicherheit zu achten. Die, die auch wenn sie etwas hatten lebten, ohne auf Gewinn und Wertzuwachs zu spekulieren. Es sind Menschen, die sich und andere konfrontiert haben, anstatt stets zu vermeiden, gegenüber der Obrigkeit zu schweigen. Die, die immer noch Wut im Bauch heraufbrodeln spüren, wenn sie mit Dummheit und Gleichgültigkeit konfrontiert werden. Die, die nicht alles über sich ergehen lassen, hinnehmen. Sie sind reich, ohne zu besitzen, im Gegenteil. Schnell sind sie überall auf der Welt, finden sich einigermaßen zurecht und haben so viele Erlebnisse in Kopf und Herz, dass sie stunden- tagelang erzählen könnten, ohne eine Sekunde mit Konversation zu verschwenden.

Er hat etwas von so jemandem, hat Hochs und Tiefs durchschritten wie das für viele kaum vorstellbar ist. Das fließt immer wieder ein Stück weit in seine Erzählungen, wird stetig angedeutet und verschwindet nie. Ich kann es in den Verwerfungen seines Gesichts lesen, in den wachen, blauen Augen, die seit über 70 Jahren auf diese Welt blicken. Was geblieben ist, sind Aikido und ein gewisser Hang zum Genuss, zu gutem Café und Zigaretten. Wenn das nichts Gutes ist, weiß ich es nicht.

In diesem Urlaub muss ich es schaffen, zu ihm in die Stunde, ins Training um 6:30 Uhr zu gehen.

Doch wir sitzen erst einmal bei ihm vor dem großen, hohen Zimmer des alten Kolonialhauses, in dem er seit Jahren für etwa ein halbes Jahr wohnt – mehr als vier Meter fünfzig hoch, auf der überdachten Terrasse. Wir schauen aufs Fischervillage, das das Grundstück an drei Seiten umgibt, von wo aus sie den Müll in den Garten werfen. Der Besitzer ist gestorben, der neue Pächter tut nichts dagegen. Es ist eine Schande. Ja, so denken wir Deutschen, und das ist in diesem Fall auch einmal alles andere als verwerflich, finde ich.

Was man dagegen tun könne? „Na zurückwerfen! Und dann gibt es zwei Wochen Hin- und Hergeschmeiße, Schreierei, Streit. Jeden Tag, immer wieder. Danach ist es ausgestanden. Da muss man durch. Nur dann bleibt der Garten sauber.“

Schmunzelnd gehe ich durch die Mittagshitze zurück. Während unten im Haus ein Fenster repariert wird, ziehen Wolken über den Himmel, feuchter Wind bläst. Der Strand ist verlassen. Sie sind alle im Tempel. Heute wird Shiva gefeiert. Massen werden einschlägige Tempel überschwemmen. Einige werden totgetreten werden, wenn Panik ausbricht. Nur Puri ist ruhig und fast verlassen.

Der runde Onkel vom kleinen Tempel am Strand, den ich vom vergangenen Jahr kenne, hat mich grinsend zum Essen eingeladen, im Tempel. Doch das ist nichts für mich. Ich habe keine Lust, dem „göttlichen Gerede zuzuhören“ und gierige Augen gegenüber zu haben, während die fauligen Zähne Pan mahlen, roten Saft sabbern und auf Spenden gieren.

Als ich mittags wieder zurück bin, dröhnt so eine Riesenbox mit integriertem Verstärker vom Grundstück gegenüber direkt auf das Kleinsthotel. Furchtbar monotone Hindilieder, Rückkopplungen, Klingeltöne für Handies und immer wieder Abbruch - laut, leise, Abbruch, neuer Titel, Abbruch. Die meisten hier flüchten wie ich. So geht es weiter bis zum Sonnenaufgang, doch in der Nacht um einiges leiser. Zeitweise Stille, denn einige Male muss der Überlastungsschutz, eine Sicherung, gewechselt werden. Es bleibt eine Party für ein halbes Dutzend Hanseln. Zeitweise steht die Musikmaschine allein und verlassen neben dem geschmückten Baum. Wir verstehen das wohl eher nicht. Doch ich habe nach Wochen wieder einmal das Bedürfnis, mir Wachspfropfen in die Ohren zu stopfen. Die Musik ist erträglicher geworden, am Abend, und meine Stopfen in den Ohren regeln sie auf Zimmerlautstärke. Durch die geschlossene Tür und die Fensterläden drängt weiterhin, nur unwesentlich gedämmter Lärm. So gleite ich bei sinkender Zimmerlautstärke in tiefen, traumlosen Schlaf. Kurz vor Sonnenaufgang werde ich wach. Die Musik verklingt mit zunehmendem Licht. Wo eben noch Girlanden hingen, wird jetzt Wäsche getrocknet.

Ich stehe auf und sitze mit starkem Café auf der Terrasse, während die Bauarbeiter mit unverminderter Kraft herumschreien. Die Frauen sind ruhiger, kraftloser heute, wie es scheint. Also doch nicht so ganz ohne, das nächtliche Fest.

In jedem Fall war es so, dass sich keiner über Lärm aufgeregt hat. Auf so eine Idee würde hier kein Mensch kommen. So ein Krach die ganze Nacht über wäre in Deutschland mit den ganzen Lärmschutz- und Imissionsgesetzen undenkbar. Hier kann ich darüber nur grinsen und die Ruhe des Morgens begrüßen, einen neuen, heißen Tag, der schon stickig beginnt.

Ich bin dankbar dafür, nicht neben einem Tempel gelandet zu sein, womöglich einem Krishnatempel, wo sie 24 Stunden singen, rasseln und, wenn die Kraft nachlässt, einfach den Verstärker am CD-Spieler hochregeln bis die Lautsprechermembranen in Fetzen hängen. Das genießen hier in Puri, doch glücklicherweise genügend weit entfernt, vornehmlich „Gäste aus dem Osten“, aus ehemals sowjetischen Kolonien auf der Suche nach Sinn. Wie Geistesgestörte vor sich hinbrabbelnd, während sie durch die Straßen wanken in Pilgerklamotten, die auf weißer Haut wirken wie Fetzen des alten Leders einer sich häutenden Schlange. Die Hand im Sack spielend, um letztendlich am Abend das Meer anzujaulen, musste ich von denen schon eine ganze Maschine ab Moskau ertragen. Da sie mit Vorliebe die kleinen Angestellten hier herumscheuchen und teilweise ihr eigenes Essen und Trinken mit in die Restaurants nehmen, repräsentieren sie für mich die unterste Stufe unkultivierten Barbarentums.

Stefan


13.03.2013

India – Abschluss

Warmer Morgenwind bläst über das Meer. Der Strand liegt sicher annähernd verlassen da. Ich bin vor Sonnenaufgang wach, überlege, was für ein Tag heute ist. Der ist sehr schnell gefunden, ein Glück. Doch noch nicht völlig versackt in der Endlosschleife von Entspannung.

Gestern war ich schon sehr früh beim Friseur/ Barbier. Die Haare sind kurz, rasiert bin ich endlich und durchgeknetet hat er mich ebenfalls. Hat knapp eine Stunde mit mir gearbeitet/ an mir, was den Stammkunden sichtlich gar nicht so behagte, doch schließlich zahle ich das Doppelte, und Haare im Gesicht finde ich ekelig, so ekelig wie Elektrorasierer. Das alles kommt noch früh genug, wenn ich ein ganz alter Mann bin und herumtattere.

Gestern war eine ereignisreicher Tag. Am Nachmittag hatte erst eine junge Katze, später auch die Mutter unter meinem Bett Asyl gesucht und gefunden. Wie es aussieht, hat nur dieses eine Katzenbaby überlebt. Das mit dem Asyl habe ich dann eine Weile mitgemacht, doch ewig konnte es nicht so gehen. Ich kann die doch nicht über Stunden einsperren, wenn ich unterwegs bin. Während ich am Abend mit Pradip überlegte, was man machen könne, trug die Mama das Kleine im Maul heraus und krabbelte durchs Terrassengeländer. Doch kurz darauf kletterte sie zurück auf die Terrasse und wollte auch wieder ins Zimmer mit dem Kleinen. Na ja, meine Tür war nun jedoch geschlossen. Nachts kam sie nicht wieder, doch der Kater muss sie gewittert haben. Er saß jaulend vor der offenen Tür, während die Sterne leuchteten und ließ sich nur mittels einer Dusche vertreiben. Das jedoch mit nachhaltiger Wirkung.

Ich war jedenfalls früh genug wach, um zu Thomas´ Aikidostunde zu gehen, dachte ich, und nahm mir unten an der Straße eine Fahrradrikscha. Das sind so knapp zwei Kilometer. Mit der Rikscha hätte ich superpünktlich ankommen müssen. An der Kreuzung, kurz vor dem Puri-Club, traf ich ihn mit seinem Schüler an, auf dem Rückweg. Gut, wenn der Unterricht um 6:30 Uhr beginnen soll und Vorbereitung für alle und für das Auslegen der Matten nötig ist, bin ich etwas spät. Doch ich habe Urlaub. Ohne Planung, ohne Verpflichtung, Wecker oder Uhr. Nur für die Abreise müssen alle Fahrverbindungen stehen.

Also gehe ich zum Strand, der hier wirklich sauberer ist. So ein morgendlicher Strandspaziergang tut gut, wenn man nicht vollgequatscht wird. Die hier rumtorkeln sind auch noch nicht wach. Außerdem schaue ich alle böse an und beginne fast zu knurren, als so ein junger Typ auf mich zustapft.

Das anschließende Idleefrühstück ist mehr als nötig. Ich habe Hunger. Doch kurz darauf zurück im Schatten der Terrasse kriecht die Hitze herauf, während Pinocchios verbale Luftblasen inhaltsleer durch die Luft der Terrasse segeln. Unten balanciert eine dicke Frau einen Baumstamm auf dem Kopf, der meinen Ofen in Berlin sicher mindestens zwei Tage heiß halten würde. Da ist kein schönes Wetter, bei Familie, Freunden und den Politverbrechern. Ich bin weit, weit weg. Das Hupen schwillt an, doch auch der Wind nimmt zu. Zeit für Müdigkeit, Siesta naht. Die habe ich gestern verpasst.

Der kiffende Penner, der auf der Straße eben noch damit beschäftigt war, Kuhscheiße aus Plastikbeuteln zu schütteln sowie sein Kumpel Pinocchio und die anderen Kiffer haben sich bald zerstreut.

Wie Schopenhauer es beschreibt, findet sich Gesindel zum Saufen und bedröhnen zusammen, um gemeinsam Schwachsinn zu labern und sich alsbald zu zerstreuen. Na, mal finde ich das auch nicht übel, doch täglich von morgens bis abends?...

Stefan