Stefan Thielke

HOME india HOME

Gopalpur, 4.3.–7.3.2013

Gopalpur on Sea (35-40°C Max., ca. 25°C Min., Frühnebel / Dunst)

Sie sind ja sehr hilfsbereit, die kleinen, braunen Freunde, doch nachdem ich gestern um 5:00 Uhr aufgestanden bin und um 7:30 Uhr im Zug von Kurda Road nach Bubaneshwar saß, also in die falsche Richtung fuhr, wiewohl mir mein Gesprächspartner auf der Fahrt nach Kurda Road, dem Umsteigebahnhof, erklärt hatte, das sei der einzig richtige Zug, war ich doch etwas ungehalten. Er hatte es wohl gut gemeint, wollte ausnehmend hilfbereit sein und würde, auch wenn er von meinem Missgeschick erführe, felsenfest davon überzeugt sein, er habe mir etwas Gutes getan mit seinen Hinweisen. So sind sie, die Inder.

Das wäre alles auch nicht so schlimm gewesen, da ich kurz darauf in Bubaneshwar Anschluss in die Gegenrichtung hatte. Doch die zweite Klasse war von Anfang an so hoffnungslos überfüllt, dass wir auch nun wieder wie die Sardinen standen und uns drängten, an jedem Bahnhof aufs Neue enger gepresst wurden, und das satte vier Stunden lang. Dann war ich endlich da raus, jedoch auch völlig geschafft. Es ist mir ein Rätsel, wie die Inder einen halben Tag diese Strapazen ertragen können und dann noch lächeln.

Titu, ein junger Leidensgenosse, ließ sich nicht davon abbringen, mich nach Gopalpur zu begleiten, nachdem wir in Brampur/ Bharampur/ Bherampur – es gibt sicherlich noch diverse andere bezeichnungen, gelandet waren. Glücklicherweise riet er mir vom Bus ab, denn schon die Tuctucfahrt brauchte ihre Zeit und der Bus, den wir überholten, bot nicht einmal mehr Platz, sich draußen dranzuhängen, denn da hingen schon zwei am Einstiegsgriff.

Jedenfalls habe ich nach ersten Erkundungen und ausgiebigem Strandgang sowie Leuchtturmbesteigung sehr gut geschlafen. Heute hat ja auch keiner angerufen, um mitzuteilen, dass die deutschen Damen am Abend nicht im Hotel angekommen seien – zehn Stunden nach Zugankunft und dass sie vermisst würden. Das stellte sich 24 Stunden später schlichtweg als falsch heraus, doch wusste ich an diesem Tag nicht, was denn da vorgefallen sei und ob wirklich alles mit den Damen in Ordnung sei. Besorgnis von Seiten des Personals ist zwar liebenswert, doch wenn die Kollegen derart unkoordiniert sind, auch stressig... Leider wusste der eine Mitarbeiter im Hotel selten, was der andere tat oder zu tun hatte. Es war „das Ding mit der linken- und der rechten Hand“, während die Damen im ICE Richtung Berlin rollten. Mir wird wieder einmal klar: Gelassenheit, bloß keine Gedanken machen. Wir können so viele Dinge sowieso nicht ändern.

Mein Hotel hier in Gopalpur, das Green Park Hotel liegt wirklich perfekt in einer Straße, die parallel zur Küstenstraße verläuft. Ich musste ein wenig handeln, doch neben Preisnachlass darf ich bei Abreise mittags auschecken, nicht am frühen Morgen und bin jetzt auch im Seebalkonzimmer ganz oben gelandet – herrlich! Seife, Toilettenpapier, Handtuch, also schon etwas gehoben, das Ganze.

Bei Sonnenaufgang ist das Wetter noch schön, ganz klar, doch zeitgemäß recht dunkel. Sobald der Ball steigt und mehr Licht macht, breitet sich Dunst über Küste und Inland aus, sodass die Sichtweiten teilweise kaum bei zehn Metern liegen. Bis ein zwei Stunden danach die Sonne alles geklärt hat, ist es höllisch nass und vergleichsweise kühl. Ich weiß das, weil es mir ein Vergnügen ist, gegen 5:30 Uhr aufzustehen. Nachtleben gibt es hier ja auch nicht nach meinem Geschmack, und die Ruhe am Morgen ist himmlisch.

Gopalpur selbst ist ein verschlafenes, etwas zu groß geratenes Dorf, das nicht einmal ein vernünftiges Restaurant mit breiter Auswahl bietet, wenn man von den Luxusresorts absieht (könnte ich mir vorstellen?). Heute warteten vor den Toren dieaser piekfeinen Unterkunftsghettos drei Busse auf gehobenes „Gulf-Management“ – Luxusbusse versteht sich. In den Resorts selbst war ich noch nicht. Die sind gesichert. Vielleicht weil sie direkt neben den Fischerslums liegen – und das sind im Vergleich zu Puri sehr arme Behausungen mit eine Kloake vor der Tür. Dort flicken sie Netze, verrichten Handarbeiten und sitzen palavernd im Kreis. Doch angemacht wird man nicht, nicht gedrängt, etwas zu kaufen, mit dem Boot rauszufahren oder für vergleichsweise viel Geld Fisch bei ihnen zu essen. Draußen am Strand vor der Nase dieser scheuen, armen Menschen rennen derweil junge, gesundheitsbewusste Inder in passender Joggingkleidung, die vom Preis her sicherlich einige der Familien hier ein, zwei Monate ernähren könnte. Sie rennen strandabwärts, bevor sie sich verschwitzt hinter die Mauern des Resorts und ihre verspiegelten Scheiben zurückziehen. Das sehe ich zum ersten Mal. Näher und größer könnte der Gegensatz von Lebenswelten gar nicht sein.

Das Hinterland ist auch schon so ziemlich aufgeteilt. Viele Luxusappartements und Baustellen von derlei Wohnstätten zieren die Landschaft. Daneben Wellblechbarracken, in denen die Arbeiter wohnen. Hier wird mit der „Schere zwischen arm und reich“ wenigstens offen umgegangen.

Ich habe glücklicherweise in diesem Land soviel Toleranz und Liebenswürdigkeit erfahren, dass Wut über derlei Gegebenheiten ausbleibt – ganz im Gegensatz zu meinen Erfahrungen und emotionalen Reaktionen in Deutschland. Da geht es ja auch, wenn man den Politikern Glauben schenkt, allen „gut“ und vor allem wieder „aufwärts“. Na ja...

Hier ist es einfach schön warm und sonnig. Was soll ich mich also aufregen, auch wenn ich mir einen Resortaufenthalt nicht länger leisten kann und können werde. Mit den jungen Leuten oder auch den Alten hier am Strand zu reden und zu scherzen, wiegt die lästige Konversation, den langweiligen Informationsaustausch und die Floskelei hinter derlei Goldkäfigmauern mehr als auf. Ganz zu schweigen von blödsinnigen Anspielungen und Reden auf meine äußerliche Erscheining, die an Schwachsinnigkeit Deutschen Äußerungen annähernd gleichkommt. Also auf zum Strand, zu denen, die höflich und freundlich sind.

Während die meisten Besucher allein den Strand genießen, sich mit Alkohol versorgen und nachts dem Fernseher zuprosten, zieht es mich immer wieder auch in die kleine Stadt selbst. Gopalpur hat nicht einmal 7.000 Einwohner und ist ein typisches, indisches, zu groß geratenes Dorf mit unzähligen Krämerläden, kleinen Gassen, staubigen Straßen, doch wenig Verkehr und vielen freundlichen Menschen. Da stehen später am Vormittag, wenn es wärmer ist (über 30 ° C) die Kleinkinder nackt unter den Pumpen und werden von Vater oder Mutter geduscht. Wäsche, in Lauge eingeweicht und auf Stein geschlagen wird rein gewaschen, der Weg vor dem Haus gefegt und gegen Staub mit Wasser besprenkelt. Reis wird ausgelesen, Linsen gesiebt, auf dem Markt hocken die Frauen vor buntem Obst und Gemüse. Ich kaufe eine Kokosnuss, die nicht aufhören will, mir gesundes Wasser zu spenden, danach wohlschmeckende, kleine Banannen und später Idlies, die kleinen Reismehlklöpse mit Kokoschutney am Straßenstand auf Rädern. Das Essen bekomme ich auf einem Blatt serviert, was kurz nach Genuss von einer Ziege verspeist wird, deren Artgenossen auch meine Bananenschalen haben verschwinden lassen. Kleine Kinder, überhaupt ganz viele Menschen winken mir zu, ohne gleich Geschäfte machen zu wollen, Verdienst zu wittern. Bunte, schmale Häuser, etwas größer, als ich aus dem Fischerumfeld herauskomme, doch nun auch weniger Frauen mit metergroßen Körben im Durchmesser auf dem Kopf.

Der Barbier, grandios schnell und sanft hat er mich rasiert, ohne mir noch eine Massage aufzudrängen. Er nimmt gut die Hälfte des üblichen Touristenpreises. Ich bin vielleicht nicht sein erster Kunde, doch viele können noch nicht dagewesen sein.

Die Menschen lassen sich durch meine Kamera am Morgen nicht beirren. Da wird weiter unter den Pumpen geduscht oder Wasser geholt. Die Tiere, Katzen und Hunde leben friedlich mit Kleinstabstand nebeneinander und sehen fast so gepflegt aus wie Haustiere in Deutschland. Sie räkeln sich dösend in der Morgensonne. Frauen tragen riesige Reisigbündel und auch Holzstämme zu diversen Öfen. Ich bekomme noch einmal frisches Kokoswasser und als die Nuss kaum etwas hergibt, eine zweite zum halben Preis. Die Männer radeln oder gehen gemächlich zur Arbeit, Kinder winken und Mädchen kichern. Die Jungs wollen fotografiert werden. Also hinter der Strandkulisse von Gopalpur, die ausnehmend freundlich und recht sauber ist, wo die Fischer einen in Ruhe lassen und nicht hemmungslos in die Gegend scheißen, egal ob ich zuschaue oder nicht. Ich laufe ungestört Kilometer, während nur das Rauschen der Wellen zu hören ist. Hinter dieser Strandkulisse gehen ganz normale, ehrliche Menschen ihrem Tagwerk nach. Ich freue mich, wieder einmal einen Ort gefunden zu haben, der nicht so touristenfixiert ist, wo ich mein Leben und das indische- einfach genießen kann. Die grandiose Landschaft mit den Lagunen, Palmenhainen und dem Meer ist mir Genuss. Und eine Weile wie die Inder zu essen, macht mir ebenfalls nicht viel aus. Auf Dauer wäre das jedoch nichts.

Darum freue ich mich auch, als ich wieder in Puri bin, dieses Mal mit Sitzplatz und kräftigem Aufpreis (130% - bei gut 1,- € regulärem Fahrpreis für knapp 200km – das ist zu verkraften), weil ich eine Klasse höher eingestiegen bin. Kaum stehen muss ich nach dem Umsteigen, da sie mir kurz nach unser Abfahrt Platz anbieten, „Single, single!“ - das sind die begehrten Einzelplätze hier in der 2. Klasse – sitzend.

Ich verhandle auch kaum noch Preise im Voraus, nicht einmal mehr für das Tuctuc – gebe ihnen einfach ihr Geld und keiner beschwert sich. Assimilation mag das sein, während mein Bauch und die Verdauungsorgane vollständig regeneriert sind. Das mag wohl das Essen gewesen sein, was angepasster und bekömmlicher zu sein scheint als Nudeln, Toast, Rührei und Obstsalat. Doch ehrlich gesagt, freue ich mich nach vier Tagen auch wieder ein wenig auf westlich angehauchtes Frühstück und Kommunikation...

Stefan

arrow abbildung arrow